Nord Stream, Gaspreisdeckel, Atomkraft Was kommt da auf uns zu? Die 5 wichtigsten Energiefragen der Woche

Energiekrise: Nordstream-Sabotage, Windkraft, Heizen und Milliarden-Entlastungen vom Staat. Was bedeutet das für die Wirtschaft? Quelle: imago images

In der Energiekrise gibt es täglich neue Wendungen, hinter denen man kaum herkommt. Hier beantworten wir fünf Fragen, auf die es wirklich ankommt.

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Wofür sich früher kaum einer interessiert hat, ist heute in aller Munde: die Energieversorgung. Unternehmerinnen sind damit beschäftigt, tragbare Tarife zu finden, die ihre Betriebe nicht überlasten. Haushalte fürchten sich vor einem kalten Winter. Und die Politik versucht, die schlimmsten Folgen für Verbraucher und die Wirtschaft abzufedern. Jeden Tag gibt es neue Entwicklungen, zig neue Meldungen, vieles ändert sich.

Auch uns schwirrt da bisweilen etwas der Kopf. Deshalb versuchen wir hier, die vergangenen Tage ein wenig zu ordnen und Orientierung zu bieten – anhand von fünf Fragen.

1. Was bedeutet der Nord-Stream-Terror für deutsche Verbraucher?

Was für Bilder, was für eine Szenerie: Da steigt das so teure, das so umstrittene Gas aus den Lecks der Pipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 in Blasen an die Oberfläche der Ostsee auf. Es ist wie eine Szene aus einem James-Gott-hab‘-ihn-selig-Bond-Film, zehn Minuten vor Schluss, wenn Dr. No, Auric Goldfinger oder Ernst Stavro Blofeld, ihre weltzerstörenden Maschinen scheinbar zum letzten Schlag hochfahren. Aber dieses Mal ist es eben keine Fiktion, sondern Wirklichkeit, auch wenn vieles nach wie vor mysteriös erscheint.

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Denn die doch so entscheidenden Fragen – Wer war’s? Wem nutzt das? – sind nach wie vor nicht beantwortet. Moskau? Putin? Ist freilich alles zuzutrauen. Die USA? Die Ukraine? Scheint äußerst unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich. Der ehemalige polnische Außenminister Radoslaw Sikorski hat sogar einen denkwürdig verwirrenden Tweet abgesetzt, in dem er den USA ausdrücklich dankt. Die Aufklärung ist jetzt Sache der Geheimdienste.

Gut möglich, dass der Täter nie ganz eindeutig identifiziert werden kann, auch wenn das etwas kurios anmutet. Die Gegend gehört schließlich zu einer der am meisten befahrenen und wohl auch überwachten Schifffahrtsstraßen der Welt. Und dennoch scheint es möglich, dass Terroristen, vermutlich Staatsterroristen, hier unbemerkt Bomben hochgehen ließen.

Aber selbst wenn der Täter nicht feststeht, lässt sich bereits absehen, welche Auswirkungen die Anschläge haben werden, auf die Politik, im Großen und im Kleineren, aber auch auf Verbraucher. Dabei ist es bemerkenswert, welche Wandlung diese Pipelines in der öffentlichen Wahrnehmung durchgemacht haben: von Röhren, auf die, gerade in Deutschland, viel Hoffnung gesetzt worden ist, hin zu einem Namen, der Schrecken verbreitet, weil er bedeutete, dass Russland möglicherweise das so überlebenswichtige Gas abdreht, hin zu einem Begriff, der jetzt für Terror steht.

Die Botschaft hinter der jüngsten Entwicklung ist allerdings klar, vor allem wenn man sie Moskau zuschreibt. Sie lautet: Ihr seid verwundbar, verletzlich, mehr, als ihr denkt, an Flanken, die ihr schlecht geschützt habt. It’s the Infrastruktur, stupid!

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Kommunikation, Energieversorgung, alles geschieht über Kabel und Röhren unter Wasser, die angreifbar sind, auf Tausenden kaum kontrollierbaren Kilometern. Die „Zeitenwende“, die in der Scholzschen Lesart auch eine militärische ist, hat so in der Ostsee einen weiteren Twist erlebt. Genau genommen ist die Attacke auf die Nord Streams eine hybride Kriegserklärung – und erhöht die künftigen Anforderungen an die westlichen Streitkräfte.

Was den Gaspreis betrifft, haben die Attacken für Ausschläge nach oben gesorgt, allerdings nicht für dramatische. Denn über die Pipelines kam zuletzt ohnehin kein Gas. Dennoch darf man die Auswirkungen auf das Angebot in Deutschland und Europa nicht unterschätzen. In diesem Winter mögen sie noch begrenzt sein, denn die Speicher sind gut gefüllt. Aber für den nächsten Winter könnten die Folgen schwerwiegend sein, wenn der Auf- und Ausbau der LNG-Infrastruktur nicht läuft wie geplant. Denn wie sonst sollten die Erdgasspeicher im nächsten Winter gefüllt werden?

Die Nord-Stream-Pipelines, so scheint es, dürften, selbst wenn Russland liefern wollte, nur schwer zu reparieren sein. Gut möglich, dass hier ein Punkt ohne Wiederkehr für das deutsch-russische-Gasverhältnis erreicht ist, selbst wenn sich über das Leitungssystem der Ukraine weiter und deutlich mehr liefern ließe und auch die Jamal-Pipeline noch nutzbar wäre. Unterm Strich führen die Anschläge also dazu, dass Deutschland und Europa bei der Gasbeschaffung nun tatsächlich ohne Russland rechnen müssen. Das steigert die Anspannung – und, wieder, die Verletzlichkeit. Wobei man sich auch in der großen Politik durchaus an den lebensklugen Titeln von James-Bond-Filmen orientieren kann. Einer hieß: Sag niemals nie.

2. Deckel drauf beim Gas. Wie genau geht’s weiter mit dem Scholzschen Doppel-Wumms?

Der Dreifach-oder-Vierfach-Wumms in der Ostsee hat definitiv eine andere Qualität als ein „Doppel-Wumms“ in Berlin, obwohl beide freilich irgendwie zusammenhängen. Denn der eine Wumms soll den Gaspreis treiben, der andere soll ihn senken, oder genauer: bremsen. Also hat das Triumvirat der Ampelkoalition, Kanzler Olaf Scholz aus dem Krankenstand, die flankierenden Minister Robert Habeck und Christian Lindner, leibhaftig vor Ort, am Donnerstag den 200-Milliarden-Euro-Schutzschirm verkündet, was ja schon mal beruhigend gut klingt, so ähnlich wie der israelische Iron Dome, das allgegenwärtige Raketenabwehrsystem.

Unter diesem Schutzschirm darf man jetzt viel verstehen: Die leidige Gasumlage kommt weg, was an Milliarden noch für Uniper, die Sefe, die frühere Gazprom Germania, und auch die EnBW-Tochter VNG gebraucht wird, soll aus dem Topf bezahlt werden, dann freilich die Gaspreisbremse, die alle wollen, weil auch sie den Eindruck erweckt, man könne alles irgendwie – „You’ll never walk alone“ – staatlich abfedern und kontrollieren.

Und so freuen sich alle, von Verbrauchern über energieintensive Unternehmen bis hin zu Stadtwerken, die sich jetzt auch auf der sicheren Seite wähnen. Der Schutzschirm ist das Gegenbild zu den aus der Ostsee aufwallenden Gasblasen. Er verspricht: Sicherheit. Dazu hält Finanzminister Christian Lindner (FDP) durch diesen Schattenhaushalt zumindest vordergründig Wort: Die Schuldenbremse wird nicht angetastet. Fifty Shades of Grey, das sind in der Ampel-Variation fünfzig Haushaltsvarianten, die alles ermöglichen. Voilà. Aber egal. Das Signal ist richtig, auch wenn die konkrete Ausgestaltung der Gaspreisbremse noch offen ist.

Die Kommission die sich darum kümmern soll, muss jetzt fix, vermutlich Mitte Oktober vorlegen. Die zentrale Frage wird dabei sein: Wie gezielt kann ein Grundverbrauch gefördert werden? Wie kann sichergestellt werden, dass vor allem die Unterstützung bei den Energiekosten bekommen, die es wirklich brauchen? Kurz: Wie genau lässt sich mit der Gießkanne zielen?

Der zweite Themenkomplex dahinter spielt aber eine nicht minder wichtige Rolle: Denn anders als bei den Unternehmen, ist der Preis-Exzess bei den Verbrauchern bisher noch kaum angekommen. De facto wirkt der Preis hier bisher kaum. Für die Sparsamkeit kann das verheerende Folgen haben, die gesamte Schutzschirm- und Wir-fangen-euch-auf-Rhetorik kann eben auch den unerwünschten Nebeneffekt haben, dass der Anreiz sinkt, Energie zu sparen, weil ein falscher Eindruck von absoluter Sicherheit herrscht.

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Recht zerknirscht musste Klaus Müller, der Chef der Bundesnetzagentur, vermelden, dass die privaten Haushalte zumindest in der vergangenen Woche mehr Gas verbraucht haben als in der Vergleichswoche des Vorjahres. Das kann sich ändern, klar. Auch war es in diesem Jahr kälter. Aber das deutet zumindest an, dass trotz aller Kampagnen und Ermahnungen der Bewusstseinswandel noch nicht erfolgt ist – anders als in weiten Teilen der Industrie und der Wirtschaft.

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