
Für ölreiche Länder haben „die heutigen Ölpreise eindeutig negative Folgen“, betont der selber vom Ölexport so abhängige Staatschef: „Und darum wächst im Nahen Osten die Einsicht, dass der Ölmarkt stabilisiert und Angebot und Nachfrage ausgeglichen werden müssen.“
Stehen wir also vor dem Ende der lockeren Exportpolitik der arabischen Länder, die den Ölpreis in wenigen Monaten halbiert hat? Ach was! Der besorgte Spitzenpolitiker heißt Wladimir Putin, und seine Äußerungen im Interview mit einer ägyptischen Zeitung waren ein Appell an die Ölscheichs am Golf, ärmere Ölförderer wie ihn selbst nicht hängen zu lassen.
Die Araber denken aber gar nicht daran, dem Russen diesen Gefallen zu tun. Zu unterschiedlich sind die Interessen: In Saudi-Arabien und seinen Nachbarländern sind die Produktionskosten selbst auf neu erschlossenen Feldern so niedrig, dass sich die Förderung auch bei 35 oder 40 Dollar für das Barrel Öl noch lohnen würde – in Russland dagegen droht die Ölwirtschaft zum Verlustgeschäft zu werden, wenn der Preisaufschwung der vergangenen Wochen nicht bald wieder in die Region um 80 Dollar oder mehr führt. Vor allem bleiben sonst die internationalen Investoren weg – eine solche Sorge kennen die arabischen Ölmonarchen nicht, weil ihre eigenen Staatsfonds mit Riesenabstand die größten Investoren auf ihren Öl- und Gasfeldern und im wachsenden Raffineriegeschäft sind.





Beruhigender Reichtum
Die Staatsfonds der Golfstaaten sind reich genug, um neben den Investitionen auch eventuelle Lücken in der staatlichen Budgetplanung der Scheichs und Emire aufzufüllen. „Unsere Volkswirtschaft ist stark und vielseitig, und darum haben niedrige Ölpreise keine negativen Auswirkungen“, versicherte Scheich Mohammed, der Kronprinz von Abu Dhabi, vor ein paar Tagen auf einer Wirtschaftskonferenz in Dubai – „auch als die Preise noch niedriger waren als dieses Jahr, blieb unser Staatsschiff auf Kurs.“
Natürlich kennen auch die Experten am Golf die Studien, in denen ausgerechnet wird, dass ein Staat wie die Vereinigten Arabischen Emirate einen Ölpreis von annähernd 80 Dollar braucht, um seinen Haushalt zu finanzieren – beim bevölkerungsreichen Nachbarn Saudi-Arabien wären es wegen der Milliardenausgaben für Sozialleistungen und Waffenkäufe sogar mehr als 100 Dollar.
Nur: Das nimmt keiner der Mächtigen wirklich ernst, solange die milliardenschweren Staatsfonds die Lücken füllen. Die jüngsten Preissteigerungen am Weltmarkt sind den Saudis und Emiratis Beweis genug, dass ihre Strategie aufgeht, die amerikanischen Fracking-Konkurrenten mit niedrigen Preisen kleinzukriegen. Sie sehen sogar noch Spielraum für eine Fortsetzung: Der saudische Staatskonzern Aramco hat seinen Verkaufspreis für ostasiatische Kunden vergangene Woche auf das niedrigste Niveau seit 2001 gesenkt, berichtet der Rohstoffexperte Ole Hansen von der Saxobank in Kopenhagen.
Mit Blick auf den Weltmarkt verweist Hansen darauf, dass die Rohölmenge in den nordamerikanischen Vorratsspeichern in den vergangenen Wochen dramatisch gestiegen ist – trotz der gleichzeitigen Nachrichten über abnehmende Erschließung von Fracking-Vorkommen. Die Welt hat derzeit offenbar Erdöl im Überfluss. Darum rechnet Hansen mit einem Markt, der nach der Teuerung in den letzten Wochen „in einer größeren Bandbreite rund um das heutige Preisniveau“ – also etwa 50 Dollar – schwanken wird.





Langsamer Anstieg
Zu schön, um wahr zu sein? Die Internationale Energieagentur in Paris (IEA) hat vergangene Woche davor gewarnt, politische Gefahren für die Ölversorgung zu unterschätzen: Das blutige Chaos in Libyen oder der Verfall in Venezuela könnten jederzeit und ganz schnell Preisschübe auslösen. Trotzdem: Tendenziell wächst das weltweite Angebot, die Nachfrage stagniert, und die Produzenten am Golf verteidigen ihre Marktanteile.
Solche Faktoren weisen in Richtung langsam ansteigender, aber im historischen Vergleich nicht sehr hoher Rohölpreise. Letztlich verlassen sich die Ölanalysten auf die Einsicht der aktiven Marktteilnehmer. Was die erwarten, ergibt sich aus den Öl-Futures, also den Tausenden von Geschäften auf Lieferung und Abnahme des Rohstoffs zu einem jeweils bestimmten zukünftigen Datum.
Die IEA-Forscher haben die durchschnittlichen Preise für diese Futures an der Londoner Börse für die Jahreszeiträume bis 2020 ermittelt. Daraus ergibt sich ein klares Bild: Erdöl wird teurer, ohne je wieder das Preisniveau der vergangenen vier Jahre zu erreichen. Bis 2016 springt der Preis von 55 auf 62 Dollar für das Barrel, dann geht es gemächlich weiter nach oben bis zu 75 Dollar. Das reflektiert den Durchschnitt der Einschätzungen von Produzenten und Verbrauchern, optimistischen und pessimistischen Spekulanten.
Aber wird es wirklich so kommen? Es gibt ein eindeutiges Warnzeichen: Im Juni 2014, vor nur acht Monaten, lagen die entsprechenden Future-Durchschnitte bei 102 Dollar für 2015 und 87 Dollar für 2020. Prognosen sind halt unsicher – vor allem, wenn es um die Zukunft geht.