Ölmüller kämpft mit den Gaspreisen „Wir können uns nicht vorstellen, dass man so viele Betriebe den Bach runtergehen lässt“

Detlef Volz, Geschäftsführer von dem Ölmüller C.Thywissen in Neuss. Quelle: Patrick Schuch für WirtschaftsWoche

Er produziert Pflanzenöl. Fürs Frittieren, die Chemie, für Biodiesel. Die Klimapolitik macht’s ohnehin schon eng – und jetzt lastet der hohe Gaspreis schwer auf Geschäftsführer Detlef Volz. Wie soll das alles gehen? Ein Besuch.

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„Was die Energie betrifft, haben wir hier das große Los gezogen“, sagt Detlef Volz, 56 Jahre. Ironie kann er noch, auch wenn’s gerade gar nicht lustig ist. Wie sehr der hohe Gaspreis ins Kontor schlägt, weiß er genau. Volz ist Geschäftsführer bei C.Thywissen, einem Ölmüller in Neuss, in der Industriestraße. 130 Mitarbeiter. Mittelstand.

Thywissen verarbeitet die Samen von Lein, Raps und Sonnenblumen zu Öl und Proteinfuttermittel. Öl zum Frittieren, Öl für die Chemie, Öl für Biodiesel. Energie braucht Volz für jeden Produktionsschritt. Fürs Wärmen, fürs Pressen, fürs Extrahieren, fürs Destillieren. 240.000 Megawattstunden fressen seine Maschinen pro Jahr, 80 Prozent davon kommen übers Gas.

Gemeinsam mit seinem technischen Leiter Gerhard Wittmann steht Volz mit Helm und Leuchtweste auf einer Messwarte, einer Plattform über einem Arm des Neusser Rheinhafens, direkt hinter dem Werk. Seine Leute saugen mit einem Rohr Leinsamen aus der offenen Luke eines vertauten Binnenschiffs. „Auf der gegenüber liegenden Seite des Hafens wartet schon ein Tanker, die ‚Echternach‘. Die nimmt das fertige Öl mit. „Wir verarbeiten jeden Tag etwa 2000 Tonnen Saat, daraus machen wir 800 Tonnen Öl und 1200 Tonnen Schrot.“ Gearbeitet wird hier rund um die Uhr. „Anfang des Jahres hatte die Energie noch einen Anteil von 20 Prozent an unseren Produktionskosten“, sagt Ölmüller Detlef Volz. „Jetzt sind es 38. Das macht uns nervös. Das macht die Branche nervös.“

Brandgefährliche Preise

Der Gaspreis macht gerade sehr viele Branchen nervös. Energieintensive Industrien wie die Chemie und den Stahl. Aber eben auch die Ernährungswirtschaft. Vor allem die großen Konzerne haben sich in der Regel gegen Preisschwankungen langfristig abgesichert. Aber vor allem Mittelständler deckten sich zuletzt eher kurzfristig ein. Dass die Kosten derart explodieren würden, konnte auch niemand ahnen: Im vergangenen Jahr, inmitten der Coronakrise, sackte der Gaspreis auf den Spot-Märkten zeitweise unter fünf Euro für die Megawattstunde – zuletzt schoss er dagegen in die Höhe und steigt immer weiter – derzeit liegt er über 80 Euro. Für viele Unternehmen ist das brandgefährlich.

Volz und Wittmann führen durch ihr Werk – und erklären dabei ihr Geschäft. Volz ist keiner, der sofort plump mit Abwanderung drohen würde. Er will ja investieren. Vorne, direkt an der Industriestraße, wo jetzt der Parkplatz ist, bauen sie in nächster Zeit kräftig um. Und hier hinten am Hafen wollen sie demnächst auch neue Silos aufstellen. Aber die aktuelle Entwicklung wirft Schatten auf die Projekte. „Pflanzliches Öl“, sagt Volz „ist eine Commodity. Alles läuft über den Preis. Natürlich machen wir hier das beste Öl der Welt. Aber am Ende ist das Produkt gleich.“ Für Käufer macht es keinen Unterschied, ob sie in Deutschland, in der Ukraine oder in Nordamerika kaufen. Hauptsache, der Preis stimmt. Und genau das mache es gerade so schwierig in Europa.

Europäern drohen Wettbewerbsnachteile

Über ein paar Treppenstufen geht es ins Innere des Werks, zuerst in die „Extraktion“. Mit dem Kohlenwasserstoff Hexan wird hier nach dem Pressen der Saat das verbliebene Öl vom Schrot gelöst. Hexan bildet schnell hoch entzündliche Luft-Dampf-Gemische. Deshalb haben Volz und Wittmann, nur zu Sicherheit, gerade noch einmal die Hexanwerte gemessen, denn wir haben Fotoapparate und Handys dabei. Alles sicher. Ein riesiges Zahnrad, angetrieben über eine riesige Kette, hält die tosenden Maschine am Laufen. Ohrstöpsel sind Pflicht.

Nicht nur der Gaspreis beschäftigt den Chef. Mit dem CO2-Ausstoß seines Betriebs ist Volz automatisch am Europäischen Emissionshandel mit Zertifikation beteiligt. Und auch der Preis der Zertifikate ist zuletzt massiv angestiegen, auf über 60 Euro. Das treibt die Kosten zusätzlich. Volz hat prinzipiell nichts gegen diese gewollte Verteuerung, gegen das Umsteuern auf niedrigere Emissionswerte. Aber er warnt, dass die gegenwärtige Situation die Wettbewerbsfähigkeit deutscher und europäischer Firmen bedrohe. Für ihn ist das so genannte „level playing field“, die gleiche Ausgangslage für alle, entscheidend – und gerade nicht gegeben. „Wir können auch 100 Euro für Gas bezahlen, wenn alle Ölmühlen 100 Euro für Gas bezahlen“, ruft er in das Tosen hinein. „Das ist unser Hauptproblem. Wir können uns nicht vorstellen, dass man so viele Betriebe hier den Bach runtergehen lässt, um dann Waren wie Öl komplett aus Drittländern zu importieren. Damit ist gar keinem geholfen. Das kann nicht sein.“

Von Livesteam und Livestream

Prinzipiell gibt es in der EU das Instrument des so genannten „Carbon Leakage“. Der Grundgedanke: Wenn die Gefahr droht, dass emissionsintensive, europäische Firmen aufgrund der europäischen Regeln nicht mehr wettbewerbsfähig sind und die Produktion und damit die Emission ins Nicht-EU-Ausland verlagert wird, wandern die Emissionen ja auch ab. Damit ist niemandem geholfen. Deshalb gibt es zusätzliche Zertifikate. Und auch über so genannte „Klimazölle“ diskutiert die EU – Abgaben, die auf importierte Produkte erhoben werden, die mit höherem CO2-Aufwand günstiger produziert worden sind als das der heimischen Industrie möglich war. Volz findet, dass das eine gute Idee ist. Allein: Er ist skeptisch, was eine schnelle Umsetzung betrifft.

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Technikchef Wittmann zeigt, wo der Ölmüller die meiste Energie verbraucht: bei der Trennung des Hexans vom Öl. Der hexangetränkte „Kuchen“ wird in mehreren „Toasterstufen“, das heißt wirklich so, erhitzt und das Hexan mit „Livesteam“ ausgetrieben. Danach wird das Produkt gekühlt. Überall auf den Rohren kleben hier rote Bänder mit weißen Pfeilen und weißer Schrift: „Dampf. 10 bar.“

„Im Moment sind die Margen so“, sagt Volz, „dass ich den Preis gerade eben durchsetzen kann. Aber das bleibt nicht so, weil das Drittland jetzt auch reagiert und sagt: Bei den Preisen, die gerade in Europa bezahlt werden, drehen wir auf und schieben die Ware dorthin. Und dann unterbieten die uns. Und da können wir dann nicht mit.“

„Grüner Wasserstoff? Gerne? Nur: Was mach‘ ich in der Zwischenzeit“

Am Ende des Rundgangs zeigen Volz und Wittmann auf das Kesselhaus mit der Gasturbine, die hier hauptsächlich für Energie sorgt. „Bis heute hat sich die Turbine jeden Tag gerechnet“, sagt Wittmann. „Gerade, heute, mit dem Gaspreis, ist das nicht mehr so.“ Und was, wenn C.Thywissen versuchen würde, sich von dem Gaspreis zu entkoppeln, wenn jetzt alles auf erneuerbare Energien gesetzt würde, wie das doch alle fordern? Volz nickt. Klar, er wäre sofort dabei. Aber eine Stromleitung, die ausreichend stark wäre, um seinen Bedarf abzudecken, die gibt es am Ort noch nicht. Und Wasserstoff, grünen Wasserstoff gar, den würde er sofort nehmen – wenn es ihn denn gäbe. „Aber wann ist der hier in Neuss in der Industriestraße? Da bin ich wahrscheinlich schon lange in Rente“, meint Volz. „Und was mach ich in der Zwischenzeit, auf dem Weg dahin?“

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Er verstehe ja die Politik, die die Energie teurer mache, um die Industrie zu zwingen, besser zu werden, effizienter. Aber sie seien hier bei C.Thywissen nun schon sehr effizient. Notgedrungen. Irgendwann gehe eben nicht mehr. „Ich habe in den letzten 20 Jahren nichts anderes gemacht, als immer besser zu werden. Und was mache ich jetzt? Wir stecken da in einer Zwickmühle, das ist frustrierend“ Volz hat Forderungen an die Politik, an die derzeitige Regierung und an die neue, vor allem, was den Gaspreis betrifft. Da müsse doch jetzt politisch etwas getan werden, und wenn es darum gehe, auf Gazprom und Russland einzuwirken. „Berlin muss etwas tun. Es kann nicht angehen, dass sich die Preise aufgrund von politischen Entwicklungen vervielfachen. Das kann nicht gesund sein. Das ist keine Marktwirtschaft.“

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