Der Rettungsschirm heißt „Kapazitätsmarkt“ und bei RWE möchte das Management vermeiden, dass diese finanzielle Unterstützung Subvention genannt wird. Das Problem: Der Konzern wankt, da der durch das EEG bevorzugte Ökostrom die konventionellen Kraftwerke des Essener Versorgers unwirtschaftlich macht. Im ersten Halbjahr brach der Gewinn (das für die Dividende entscheidende „nachhaltige Nettoergebnis“) um 62 Prozent auf 749 Millionen Euro ein.
Bereits vor zwei Tagen kam RWE mit einem Novum an die Öffentlichkeit: Drei Kraftwerke sollen stillgelegt werden, eines davon ist ein Braunkohlekraftwerk in Köln-Hürth. Bisher galten Braunkohlekraftwerke als stabil, weil sie Grundlaststrom produzieren. Doch steuern dringend notwendige Erhaltungsinvestitionen das Kraftwerk in die Unwirtschaftlichkeit. Zum 1. Juli 2015 will RWE nicht nur Hürth (110 Megawatt) abschalten, sondern 2016 auch Block C des Steinkohlekraftwerks in Hamm (284 Megawatt) und das Steinkohlekraftwerk im nordrhein-westfälischen Werne (610 Megawatt).
RWE-Spartenchef Matthias Hartung betonte, nicht länger unrentable Kraftwerke betreiben zu wollen. Jede vierte Anlage erwirtschaftet nicht einmal mehr die Kosten für Brennstoff und CO-2-Ausstoß. Die Kette von Schließungsplänen für deutsche Kraftwerke lässt nun bei RWE die bange Frage entstehen: Befinden sich die Braunkohlekraftwerke im Kölner Becken, in Frimmersdorf, Neurath und Niederaußem demnächst auch vor dem Aus?
RWE könnte auseinanderbrechen
Die Unwirtschaftlichkeit der sehr viel größeren Braunkohle-Anlagen mit dem daneben liegenden Braunkohlerevier könnte für RWE ein Anlass sein für einen Rettungsschirm, den sich die RWE-Manager von der Politik erhoffen. Weil sie betriebswirtschaftlich nicht mehr weiter können, muss nun die Volkswirtschaft ran, so das Kalkül. RWE wäre dann in seiner jetzigen Form als Unternehmen gefährdet. RWE könnte auch auseinanderbrechen.
Wo ein Anlass ist, da ist auch ein Druckmittel. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) könnte kaum zusehen, wie ihr der wichtige Wirtschaftsfaktor RWE mit seinem Braunkohlerevier auseinanderbröckelt. Zur Zeit ist die Lobby-Maschine angeworfen. Ein Kapazitätsmarkt soll von den Politikern geschaffen werden. In Kraft treten soll er 2016, 2017 oder 2018. Spätestens, wenn das letzte Atomkraftwerk 2022 vom Netz geht, soll der Unterstützungsmarkt funktionieren.
Es läuft auf ein zweites Umlagesystem neben der EEG-Umlage hinaus und kommt Kraftwerksbetreibern zu, die keinen Strom mehr produzieren. Geld für Leerstand, ist die Devise. Oder auch: Leistung muss sich wieder lohnen. Die reine Kraftwerkskapazität, auch wenn sie stillsteht, soll entlohnt werden. Das Umlagesystem, dass dieses Geld heben soll, landet am Ende beim Stromkunden, der einen weitaus höheren Strompreis zahlen muss. Ein notwendiger Tribut an die Energiewende, so der Standpunkt nicht nur bei RWE, sondern auch bei den anderen Versorgern.
Ein bisschen Marktwirtschaft, ein bisschen Planwirtschaft
Die Lobbyisten von RWE haben in Berlin bereits vorgefühlt. Der Energieverband BDEW hat ein eigenes Modell für den Kapazitätsmarkt entwickelt, der eine Mischform von Marktwirtschaft und Planwirtschaft ist. Davon profitieren auch die anderen Versorger. RWE treibt die Diskussion jetzt voran und ist Speerspitze. Die liberale Devise lautet zwar: Soviel Markt wie möglich, so viel Staat wie nötig.
Nötig sei es aber nun, tote Kraftwerke mit Geld zu versorgen, um sie betriebsbereit zu halten. Für den Fall eines Stromengpasses. Ein Gutachten malt bereits ein Horrorszenario aus, dass es ohne Kapazitätsmarkt zu Blackouts von einer Dauer von bis zu 33 Stunden im Jahr kommen kann. Ein wahrer Schrecken für die Versorgungssicherheit, ein Schrecken für die Industrienation Deutschland.
Neuausrichtung - So steht es um die Energiekonzerne
Umsatzanteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung: 2,0 %
Gewinnanteil vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen: 15,0%
Installierte Minikraftwerke in Deutschland: 4000
Unterstützung des Neugeschäfts durch Vorstandschef¹: *
Kooperationen mit anderen Unternehmen: 135
¹3 Sterne = groß, 1 Stern = gering
(Stand: Juni 2014)
Umsatzanteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung: 1,7 %
Gewinnanteil vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen: 4,5%
Installierte Minikraftwerke in Deutschland: 1300
Unterstützung des Neugeschäfts durch Vorstandschef¹: **
Kooperationen mit anderen Unternehmen: 90
¹3 Sterne = groß, 1 Stern = gering
Umsatzanteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung: 2,3 %
Gewinnanteil vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen: 10,0%
Installierte Minikraftwerke in Deutschland: 205
Unterstützung des Neugeschäfts durch Vorstandschef¹: ***
Kooperationen mit anderen Unternehmen: 50
¹3 Sterne = groß, 1 Stern = gering
Umsatzanteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung: k.A.
Gewinnanteil vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen: k.A.
Installierte Minikraftwerke in Deutschland: k.A.
Unterstützung des Neugeschäfts durch Vorstandschef¹: *
Kooperationen mit anderen Unternehmen: 300
¹3 Sterne = groß, 1 Stern = gering
Das Argument lautet: Im Namen der Versorgungssicherheit ist ein Unterstützungsmarkt („Kapazitätsmarkt“) nötig, und da ist der Staat und seine Energiepolitiker gefragt. Auf die RWE nun setzt.
Die Planungen laufen hinter den Kulissen schon seit Monaten. Im Berliner Wirtschaftsministerium wird bereits an verschiedenen Modellen des Kapazitätsmarktes gebastelt. Es gibt erste Eckpunkte. Diese besagen, dass es bis 2018 einen Kapazitätsmarkt in Deutschland mit einer Leistung von gut 30.000 Megawatt (soviel wie theoretisch etwa 30 Atomkraftwerke) geben soll. Das entspricht rund 50 mittelgroßen fossilen Kraftwerken (Kohle, Gas). Die Höchstleistung in Deutschland beträgt 87.000 Megawatt. Mit der Reserve würden 60 Prozent der Grundlast abgesichert werden, die in Deutschland Tag und Nacht konstant benötigt wird - besonders von energieintensiven Unternehmen.
Aus den Plänen ergeben sich vier große Fragen:
1. Wird die Öffentlichkeit einen solchen Kapazitätsmarkt als gigantische Subvention für die sowieso schon ungeliebten Energieversorger wahrnehmen und einen Sturm der Entrüstung entfachen?
2. Wird der Strompreis dadurch steigen, weil auch nicht laufende Kraftwerke vom Stromkunden bezahlt werden müssen (gleich einem Restaurant, in dem man das Essen bezahlen muss, das man nicht gegessen hat, um die Küche zu finanzieren)?
3. Wird der Vizekanzler und Wirtschafts- und Energieminister Sigmar Gabriel als Sozialdemokrat einen solchen Rettungsschirm öffentlich vertreten können, auch bei den nächsten Bundestagswahlen?
4. Plant die Energielobby mit dem geplanten Kapazitätsmarkt wiederum einen Alleingang in Europa? Müssen nicht auch die Nachbarländer Frankreich und Polen in einen solchen Markt einbezogen werden? Dann würde der deutsche Stromkunde auch für stillstehende polnische Kohlekraftwerke oder sogar für stillstehende französische Atomkraftwerke die Zeche mitbezahlen. Die Diskussion mit den europäischen Nachbarländern kann langwierig sein. Sie sind die härtesten Kritiker der deutschen Energiewende.
Der Streit, der von der deutschen Energiewirtschaft gerade angezettelt wurde, wird hart und steinig.