Rückkauf der Energienetze Warum Hamburg zum Bürgerschreck werden könnte

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Das Bundeskartellamt sieht die Sache anders

Dennoch provoziert Hörmann mit diesen Aussagen Widerspruch. Das Bundeskartellamt, das ebenfalls für sich in Anspruch nimmt, die Interessen des günstigsten Preises und damit des Verbrauchers zu vertreten, sieht die Sache anders. „Die Rekommunalisierung der Stromnetze dient nicht per se den Interessen der Verbraucher“, sagt Präsident Andreas Mundt. Eher hat er Grund zu der Annahme, dass es sich umgekehrt verhält: Immer häufiger werden Fälle publik, wo Kommunen ihre Doppelrolle zum Schaden der Verbraucher nutzen. So zeigt eine Auswertung des Energiedienstes enet, dass die städtischen Stromvertriebe dort, wo sie selbst Netze besitzen, deutlich höhere Profite erwirtschaften als außerhalb ihres Netzgebietes.

Erst vor wenigen Wochen hat das Kartellamt in der Schwarzwald-Gemeinde Titisee dann doch die Reißleine gezogen. Schon während der Konzessionsvergabe hatte die Gemeinde den Hinweis der Bonner Behörde ignoriert, dass die Art der Ausschreibung den Prinzipien des Wettbewerbs widerspreche. Jetzt hat die Behörde das Verfahren für nichtig erklärt, was daraus folgt, ist noch unklar. Im für Titisee schlechtesten Fall muss die gesamte Vergabe neu aufgerollt werden. Deutschlandweit schauen jetzt Städte auf den Fall im Schwarzwald, vielen von ihnen könnte Ähnliches drohen. Denn mit dem Wettbewerb nehmen es die Kommunen nur selten genau. Sie berufen sich darauf, dass sie über die Daseinsvorsorge nach eigenen Kriterien entscheiden dürften.

Wettbewerb und Preissenkung im Sinne der Verbraucher und offenbar selbst das Bundeskartellamt als Instanz werden mehr und mehr zu verblichenen Relikten einer vergangenen Zeit. Die Behörde hat zwar noch ihre starken Werkzeuge, doch wenn sie die einsetzt, stehen die anderen staatlichen Instanzen inzwischen Schulter an Schulter, um die Behörde zu stoppen.

So hat der Deutsche Bundestag zum Ende der Legislaturperiode das Wettbewerbsrecht im Sinne der Kommunalkonzerne verändert. Die achte Novelle des „Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen“ trägt im Namen noch die alten Ideale, doch drinnen steckt das Gegenteil. Nach der Verabschiedung jubelte der immer mächtiger werdende Verband der kommunalen Unternehmen (VKU): „Die Hauptforderungen von VKU und kommunalen Spitzenverbänden wurden erfüllt.“ Denn die Neufassung legalisiert auf dem fast komplett staatlichen Wassermarkt eine Praxis, gegen die das Bundeskartellamt jahrelang in einem Musterprozess gegen die Stadt Wetzlar gekämpft hatte. Eigentlich soll die Behörde die Zusammensetzung der Preise kontrollieren. Wenn sie Exzesse feststellt, kann sie Senkungen vorschreiben. Auf diese Weise wurden in Berlin oder Mainz die Preise auf einen Schlag um mehr als 15 Prozent verringert. Doch die Kommunen haben einen Trick entdeckt, um das zu umgehen. Sie ändern die Rechtsform ihrer Betriebe, meist GmbHs, zu öffentlich-rechtlichen Betriebsformen. Dann werden aus Preisen Gebühren, und das Bundeskartellamt kann nur noch zusehen. Einige Jahre hatten Gerichte über diese Frage gestritten, mehrmals entschieden sie zugunsten des Kartellamts. Jetzt gibt der Gesetzgeber den Kommunen freie Hand, bezeichnenderweise stammt die Vorlage aus dem FDP-geführten Wirtschaftsministerium.

Auch Theo Christiansen zeigt sich flexibel, wo Wettbewerbsrecht und Wunschdenken in Konflikt stehen: „Am Ende müssen die Ziele der Bürger über denen der Konzerne stehen.“ Ob in Hamburg, Wetzlar oder Titisee: Wenn es um die Rolle öffentlicher Unternehmen geht, nimmt der Staat seine Rolle als Wettbewerbshüter immer seltener wahr. Das entspricht dem Geist einer Zeit, die vor lauter Bürgerbeteiligung die Grenzen zwischen Staat und privat immer mehr verwischt.

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