Rückkauf der Energienetze Warum Hamburg zum Bürgerschreck werden könnte

Seite 2/5

Konzession als Chance

Diese Unternehmen produzieren ihren Strom selbst
VolkswagenVolkswagen betreibt inzwischen eigene Kraftwerke unterschiedlicher Art an fast allen Standorten. Im Werk Emden läuft zum Beispiel eine Biomasseanlage. Dabei sind die Anlagen nicht alle umweltfreundlich. Viele werden von Dieselmotoren der Konzerntochter MAN angetrieben. Aber der Wille von Konzernchef Martin Winterkorn zur dezentralen Eigenversorgung mithilfe erneuerbarer Energien ist da. So will VW 600 Millionen Euro bis zum Jahr 2020 für den Ausbau erneuerbarer Energien an den Unternehmensstandorten ausgeben Quelle: dpa
Aldi SüdStromerzeuger in besonders großem Stil ist der Discountgigant Aldi Süd geworden. Auf rund 300 Dächern seiner Filialen hat der Billigriese aus Mülheim an der Ruhr Solaranlagen schrauben lassen. Hinzu kommen riesige Panelflächen auf den Dächern von 30 Logistikzentren. Damit ist Aldi in der Lage, Strom mit einer Gesamtleistung von über 70 Megawatt zu produzieren, immerhin ein Zehntel eines kleinen Kernkraftwerks. Die prognostizierte Stromproduktion aller Anlagen pro Jahr liegt bei 71 Millionen Kilowattstunden. Das entspricht laut Aldi-Angaben dem Stromverbrauch von rund 24.000 Vier-Personen-Haushalten. Gerechnet auf zwölf Monate werde Aldi Süd fast die Hälfte der produzierten Menge für den Eigenverbrauch nutzen, heißt es aus dem Discount-Imperium Quelle: dpa
Metro-GroupDer Düsseldorf Handelskonzern Metro hat Anfang des Sommers 2013 für seine Großverbrauchermärkte am Konzernsitz sowie in Berlin-Marienfelde eigene Blockheizkraftwerke in Betrieb genommen. Künftig können die beiden Standorte sich selbst mit Strom und Wärme aus Erdgas versorgen. Die beiden Kraftwerke wurden in Kooperation mit dem ebenfalls in Düsseldorf beheimateten E.On-Konzern errichtet, der für den Gaseinkauf verantwortlich ist. „Dank der Blockheizkraftwerke können wir die Energieversorgung für die beiden Standorte langfristig sichern und zugleich die Kosten beträchtlich senken“, sagt Olaf Schulze, Geschäftsführer der Metro Properties Energy Management. „Mit einer Eigenproduktion können alle Kosten, die mit dem Netzbezug verbunden sind, wie zum Beispiel EEG-Umlage und Nutzungsentgelte, vermieden werden.“ Quelle: dpa
ReweDer Kölner Lebensmittel-Filialist Rewe schickte vor wenigen Wochen für ihr Logistikzentrum in Eitting bei München ein Biogas-Blockheizkraftwerk an den Start. Die Anlage versorgt den mehr als 60.000 Quadratmeter großen Büro- und Lagerkomplex dezentral und bedarfsgerecht mit umweltfreundlicher Energie. In den Sommermonaten wird mit der Heizenergie Kälte produziert, was die Großkälteanlagen für das Tiefkühl- und Kühllager des Logistikzentrums entlastet. Die rund 4,5 Millionen Kilowattstunden Strom, die pro Jahr produziert werden, werden in das Stromnetz eingespeist. Quelle: dpa
Molkerei GropperNeben Joghurts, Kaffeespezialitäten und Säften produziert die bayrische Molkerei Gropper seit Beginn des Jahres auch Energie. Die durch das gasbetriebene Blockheizkraftwerk gewonnene Energie kommt dabei in erster Linie der Stromversorgung zugute, die zu 65 Prozent den Eigenbedarf deckt. Auch Gropper erzeugt aus einem Teil der Abwärme Kälte, um damit seine Produkte zu kühlen. Mit dem anderen Teil wird Wasserdampf erzeugt, der der Herstellung von Joghurt, Pudding oder haltbarer Sahne dient. „Die steigenden Kosten der vergangenen Jahre, auch im Energiebereich, haben diesen Schritt für uns notwendig und auch sinnvoll gemacht“, sagt Gropper-Inhaber Heinrich Gropper. Er geht davon aus, dass er sein Blockheizkraftwerk bald ausbauen wird, um den Energiebedarf langfristig nur noch aus Eigenproduktion zu decken. Quelle: dpa
StuteAls Vorreiter der Eigenversorgung in der Lebensmittelindustrie gilt der Handelsmarkenproduzent Stute in Paderborn, der Säfte und Konfitüre für Handelsunternehmen wie Aldi herstellt. Das Familienunternehmen hat in den vergangenen Jahren fast 15 Millionen Euro investiert: 9,5 Millionen Euro flossen in mehrere Fotovoltaik-Anlagen, die sich am Firmensitz auf Dächern und Freiflächen mittlerweile auf 95.000 Quadratmetern erstrecken. 4,5 Millionen Euro steckte Stute in drei Windräder, die pro Jahr 7,2 Millionen Kilowattstunden liefern. Den Energiemix komplettiert eine Biogasanlage, die mit Abfällen aus der Fruchtverarbeitung arbeitet. Die Investitionen in die Autarkie zeigen Wirkung. Stute liegt bei der Eigenversorgung mit Strom schon bei rund 50-Prozent. Und das zu günstigen Tarifen. Weil keine Abgaben für den selbst produzierten und verbrauchten Strom anfallen, rechnet Stute mit Stromkosten von weniger als fünf Cent pro Kilowattstunde – fast so wenig, als würde sich das Unternehmen jeden Tag preiswert auf dem Spotmarkt an der Leipziger Strombörse bedienen. Quelle: dpa
BMWVier knapp 180 Meter hohe Windmühlen stehen am Westrand des BMW-Werksgeländes in Leipzig. Im Herbst dieses Jahres startet dort die Serienproduktion des Elektrofahrzeugs BMW i3, im Frühjahr 2014 soll die Sportwagenvariante BMW i8 folgen. Die vier Mühlen schaffen eine Leistung von zehn Megawatt und sollen mehr als 25 Millionen Kilowattstunden pro Jahr liefern, so viel, wie 8000 Haushalte verbrauchen. Weht kein Wind, muss BMW seinen i3 mit ganz ordinärem Strom aus dem öffentlich zugänglichen Netz produzieren. Der Strom der Windräder allerdings ist komplett dem Verbrauch im Werk vorbehalten und geht nicht ins Netz. Realisiert hat das Projekt der Entwickler wpd aus Bremen. Er betreibt den Miniwindpark und verkauft den Strom an BMW. Quelle: dpa

Neid gilt gemeinhin nicht gerade als edelstes aller Motive. Im Hochschwarzwald aber sieht man das nicht so eng. „Seitdem das Netz bei uns privat betrieben wird, hat man hier neidisch auf die Gewinne der Nachbargemeinden geschaut“, sagt Andreas Graf, der die Netzgesellschaft Titisee-Neustadt leitet. Während dort die Stadtwerke mit ihren Netzen Gewinne einsammelten, hatte die Stadt am gleichnamigen Bergsee ihre längst verkauft – auch, weil der teure Unterhalt einer kommunalen Skisprungschanze den Haushalt belastet. Vor ein paar Jahren wollte die Stadt sich dann mit dem Zusehen nicht mehr zufriedengeben. 2011 lief die Konzession für das örtliche Stromnetz aus, das in der Hand der EnBW lag. Also gründete die Stadt selbst eine Netzgesellschaft und holte den lokalen Stromversorger EWS mit ins Boot.

So weit, so typisch. In diesen Tagen laufen überall im Land Konzessionen aus, das ist meist der Anlass für Städte, den Rückkauf überhaupt in Erwägung zu ziehen. Die meisten Netze wurden zu Beginn der Neunzigerjahre erstmals vergeben, die Verträge liefen über 20 Jahre. Wo die Städte sich damals für eine Privatisierung entschieden haben, bietet sich jetzt die Chance zum Rückkauf. Am Titisee tat sich in der Folge ein Problem auf, das die meisten Gemeinden nicht auf der Rechnung haben: Eine Konzession muss erst mal gewonnen werden, das hat ein Wettbewerb so an sich. Auch im Hamburger Wahlkampf wurde kaum thematisiert, dass die Ausschreibung für das Stromnetz erst 2014 ansteht, Vattenfall will in jedem Fall wieder antreten.

In Tititsee wollten sie sich auf so viel Risiko nicht einlassen: Da die Stadt sich nicht nur um das Netz bewarb, sondern auch für die Ausschreibung verantwortlich war, fügte die Verwaltung einen Passus hinzu, wonach „Bewerber in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft“ zu bevorzugen sind. Das Bundeskartellamt räusperte sich, dann ging aus Sicht der Kommune zunächst alles glatt, die Netzgesellschaft übernahm 2011 das Netz. Doch das böse Ende der Geschichte sollte noch kommen.

Netzentgelte pro Jahr

Denn was da so einfach klingt, ist nicht gerade marktwirtschaftlich. Der Fall Titisee zeigt aber, wie sich das Selbstverständnis der Kommunen in den vergangenen Jahren gewandelt hat. Noch vor zehn Jahren mussten sich Städte für jede Aufgabe rechtfertigen, die sie noch selbst wahrnahmen. Schwimmbäder, Müllabfuhr, Stromnetze, Krankenhäuser: Alles, was Verluste machte, wurde verkauft. Und selbst wo spärliche Gewinne flossen, hatten die Kämmerer immer die großen Summen im Hinterkopf, die sich durch einen Verkauf erlösen lassen würden. Mit Düsseldorf und Dresden machten gleich zwei Großstädte vor, wie man mit dem Verkauf von Stadtwerken auf einen Schlag alle Schulden loswerden konnte. Keine Schulden, keine Zinsen, mehr Bewegungsfreiheit – so lautete die Kausalkette. Dass selbst der rot-grüne Kanzler Gerhard Schröder den „schlanken Staat“ als Ziel ausgab, zeigt, dass sich diese Einsicht bis weit ins linke politische Spektrum durchgesetzt hatte.

Spätestens seit der Finanzkrise hat sich der Wind gedreht. Von Privatisierung spricht fast keiner mehr. Im aktuellen Wahlprogramm der FDP taucht das Wort nur ein einziges Mal auf – 2002 gab es noch 16 entsprechende Forderungen. Unter anderem stand da: „Für die FDP ist die Privatisierung wirtschaftlicher Betätigungen der öffentlichen Hand ein Kernziel liberaler Politik.“ Gar nicht so lange ist das her.

Stattdessen wird die Rolle der Konzerne, die einstige Staatsaufgaben wahrnehmen, immer häufiger infrage gestellt. Auf Kosten der Bürger, so der Vorwurf, erwirtschafteten sie risikolose Renditen.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%