Neid gilt gemeinhin nicht gerade als edelstes aller Motive. Im Hochschwarzwald aber sieht man das nicht so eng. „Seitdem das Netz bei uns privat betrieben wird, hat man hier neidisch auf die Gewinne der Nachbargemeinden geschaut“, sagt Andreas Graf, der die Netzgesellschaft Titisee-Neustadt leitet. Während dort die Stadtwerke mit ihren Netzen Gewinne einsammelten, hatte die Stadt am gleichnamigen Bergsee ihre längst verkauft – auch, weil der teure Unterhalt einer kommunalen Skisprungschanze den Haushalt belastet. Vor ein paar Jahren wollte die Stadt sich dann mit dem Zusehen nicht mehr zufriedengeben. 2011 lief die Konzession für das örtliche Stromnetz aus, das in der Hand der EnBW lag. Also gründete die Stadt selbst eine Netzgesellschaft und holte den lokalen Stromversorger EWS mit ins Boot.
So weit, so typisch. In diesen Tagen laufen überall im Land Konzessionen aus, das ist meist der Anlass für Städte, den Rückkauf überhaupt in Erwägung zu ziehen. Die meisten Netze wurden zu Beginn der Neunzigerjahre erstmals vergeben, die Verträge liefen über 20 Jahre. Wo die Städte sich damals für eine Privatisierung entschieden haben, bietet sich jetzt die Chance zum Rückkauf. Am Titisee tat sich in der Folge ein Problem auf, das die meisten Gemeinden nicht auf der Rechnung haben: Eine Konzession muss erst mal gewonnen werden, das hat ein Wettbewerb so an sich. Auch im Hamburger Wahlkampf wurde kaum thematisiert, dass die Ausschreibung für das Stromnetz erst 2014 ansteht, Vattenfall will in jedem Fall wieder antreten.
In Tititsee wollten sie sich auf so viel Risiko nicht einlassen: Da die Stadt sich nicht nur um das Netz bewarb, sondern auch für die Ausschreibung verantwortlich war, fügte die Verwaltung einen Passus hinzu, wonach „Bewerber in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft“ zu bevorzugen sind. Das Bundeskartellamt räusperte sich, dann ging aus Sicht der Kommune zunächst alles glatt, die Netzgesellschaft übernahm 2011 das Netz. Doch das böse Ende der Geschichte sollte noch kommen.
Denn was da so einfach klingt, ist nicht gerade marktwirtschaftlich. Der Fall Titisee zeigt aber, wie sich das Selbstverständnis der Kommunen in den vergangenen Jahren gewandelt hat. Noch vor zehn Jahren mussten sich Städte für jede Aufgabe rechtfertigen, die sie noch selbst wahrnahmen. Schwimmbäder, Müllabfuhr, Stromnetze, Krankenhäuser: Alles, was Verluste machte, wurde verkauft. Und selbst wo spärliche Gewinne flossen, hatten die Kämmerer immer die großen Summen im Hinterkopf, die sich durch einen Verkauf erlösen lassen würden. Mit Düsseldorf und Dresden machten gleich zwei Großstädte vor, wie man mit dem Verkauf von Stadtwerken auf einen Schlag alle Schulden loswerden konnte. Keine Schulden, keine Zinsen, mehr Bewegungsfreiheit – so lautete die Kausalkette. Dass selbst der rot-grüne Kanzler Gerhard Schröder den „schlanken Staat“ als Ziel ausgab, zeigt, dass sich diese Einsicht bis weit ins linke politische Spektrum durchgesetzt hatte.
Spätestens seit der Finanzkrise hat sich der Wind gedreht. Von Privatisierung spricht fast keiner mehr. Im aktuellen Wahlprogramm der FDP taucht das Wort nur ein einziges Mal auf – 2002 gab es noch 16 entsprechende Forderungen. Unter anderem stand da: „Für die FDP ist die Privatisierung wirtschaftlicher Betätigungen der öffentlichen Hand ein Kernziel liberaler Politik.“ Gar nicht so lange ist das her.
Stattdessen wird die Rolle der Konzerne, die einstige Staatsaufgaben wahrnehmen, immer häufiger infrage gestellt. Auf Kosten der Bürger, so der Vorwurf, erwirtschafteten sie risikolose Renditen.