Russischer Energieriese Warum Deutschland Gazprom nicht ausgeliefert ist

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Herr über deutsches Gaslager

Ein Arbeiter betrachtet durch ein Rohrsegment Quelle: dpa

Verstärkt wird die Macht von Gazprom durch bilaterale Verträge, mit denen sich der Konzern in Westeuropa unentbehrlich zu machen versucht. So äußerte sich Christophe de Margerie, Chef des französischen Mineralölkonzerns Total, im WirtschaftsWoche-Interview stolz über einen Deal mit Gazprom. De Margerie hat sich 2011 zu 15 Prozent an dem nordsibirischen Jamal-Erdgasfeld beteiligt, das bis dahin Gazprom allein gehörte. Nun will er von Gazprom ein weiteres Gasfeld kaufen.

Besonders gierig auf russisches Gas sind die Holländer. Als Putin einen Staatsbesuch abstattete, sprach er auch mit dem Management von Gasunie, dem größten Gasversorger der Niederlande. Dessen Chef Paul van Gelder interessierte sich für weitere Pipeline-Stränge von Nord Stream und drängte den Russen, Gasunie als zweitgrößten Aktionär in eine weitere Betreibergesellschaft mit aufzunehmen.

Umsatz, Nettogewinn und Erdgasförderung von Gazprom

Der wohl größte Coup in jüngster Vergangenheit gelang Gazprom-Chef Alexej Miller im Sommer vergangenen Jahres mit der BASF-Tochter Wintershall. An deren Gas-Pipeline-Betreiber Wingas hielt Gazprom bisher 50 Prozent der Anteile. In den nächsten Wochen übernimmt Gazprom die übrigen 50 Prozent – mit weitreichenden Folgen. Denn durch den Deal verleibt sich Gazprom einen großen Teil der deutschen Erdgas-Infrastruktur ein. Zu der gehört der größte westeuropäische Erdgasspeicher im niedersächsischen Rheden südlich von Bremen. Inmitten der Krim-Krise greift Gazprom damit nach der Herrschaft über einen großen Teil der deutschen Gasvorräte, die eigentlich dazu dienen sollen, ausbleibende Lieferungen etwa von Gazprom eine Zeit lang aufzufangen.

Zu den wirtschaftlichen Banden, die Gazprom bis zuletzt in Westeuropa knüpfte, kommen die persönlichen. Aufsichtsratschef der Ostsee-Pipeline-Gesellschaft Nord Stream ist Altkanzler Gerhard Schröder (SPD), der als Putin-Freund gilt und sich auffällig zurückhält mit Kritik an dem Krim-Vorstoß. In ähnlicher Mission ist der frühere Hamburger Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) als Aufsichtsratschef von South Stream unterwegs.

Fast scheint es, als wären Europa und vor allem Deutschland damit für immer Gazprom ausgeliefert. Immerhin stammen fast 40 Prozent der hiesigen Erdgasimporte von dem Moskauer Giganten, in der EU sind es immerhin 15 Prozent. Doch dieser Eindruck täuscht. Langfristig läuft viel, wenn nicht zu viel gegen den Kraftprotz von der Moskwa. Trotz aller Kraft nach außen ist das Selbstverständnis des russischen Riesen antiquiert. Nicht das Verständnis für den Wettbewerb in der freien Marktwirtschaft scheint die Leitlinie des Gazprom-Managements zu sein, sondern trotz aller gegenteiliger Beteuerungen der Wille des Kremls. „Wichtige Entscheidungen werden nicht in der Zentrale von Gazprom getroffen“, sagt ein Insider, „sondern im Kabinett von Putin.“

Das gilt etwa für die Frage, welche Nachbarländer wie viel bezahlen müssen. In Weißrussland etwa, wo mit Alexander Lukaschenko ein Diktator nach Putins Pfeife tanzt, kostet das Gas halb so viel wie in der Ukraine. Dort hat Gazprom zwar großzügige Rabatte eingeräumt, als im November Präsident Wiktor Janukowitsch die EU-Annäherung auf Eis legte. Als er vor dem Protest auf dem Maidan-Platz in Kiew im Februar kapitulierte und nach Russland floh, erhöhte Gazprom prompt die Preise für den nun abtrünnigen Nachbarn vom 1. April an – und pocht auf die Rückzahlung von zwei Milliarden Dollar Schulden.

Die Folgen einer solchen Geschäftspolitik dürften Gazprom auf Dauer mehr schaden, als die Marktmacht im Westen dem Konzern hilft. „Wir ärgern uns über den Einfluss der Politik“, sagt ein Insider, „denn sie kann unser Image als zuverlässiger Lieferant gefährden.“

Nicht nur hierin zeigt sich, dass Gazprom offenkundig über weite Strecken jenes Ministerium aus Sowjetzeiten geblieben ist, aus dem der Konzern Anfang der Neunzigerjahre hervorgegangen war. „Gewinne aus dem Gasexport täuschen darüber hinweg, dass Gazprom vor schwierigen politischen, ökonomischen und strategischen Problemen steht“, meint der Moskauer Energieexperte Michail Krutichin. Er meint damit vor allem die Trägheit des Gazprom-Managements, sich auf einen möglichen Weltmarkt für Gas einzustellen, der die Macht der Pipelines infrage stellt.

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