




Plötzlich konnte es RWE-Chef Peter Terium nicht schnell genug gehen. Im Eichensaal des Wirtschaftsministeriums in Berlin tagte gerade die Atomkommission. Das Gremium soll klären, ob die Konzerne RWE, E.On, Vattenfall und EnBW die im Extremfall bis zu 70 Milliarden Euro Folgekosten der Atomkraft zahlen können. Da präsentierte der Chef des zweitgrößten deutschen Versorgers in einer eilig einberufenen Telefonkonferenz mit Investoren und Medien einen radikalen Umbauplan:
Der Essener Konzern soll, ähnlich wie sein Düsseldorfer Wettbewerber E.On, als eine Art Zwillingsunternehmen weitermachen. Im bisherigen RWE-Konzern verbleiben die vom Ökostrom gepeinigten fossilen Kraftwerke sowie die zur Abschaltung verdammten Atommeiler.
Deutschlands Energieriesen im Vergleich
Mit über 122 Milliarden Euro Umsatz und weltweiten Kapazitäten zur Stromerzeugung von 61 Gigawatt im Jahr 2013 ist Eon Deutschlands größter Energiekonzern. Doch den Düsseldorfern machen die Folgen der Energiewende zu schaffen. Das klassische Stromgeschäft wirft wegen des wachsenden Anteils von Sonnen- und Windenergie immer weniger Geld ab. Zudem häufte Eon durch seine Expansion einen Schuldenberg von 31 Milliarden Euro an. Ende 2013 hatte der Konzern 62.200 Mitarbeiter.
Die Gewinne des zweitgrößten deutschen Versorgers sind wegen des niedrigen Börsenstrompreises 2014 rapide geschrumpft. Das betriebliche Ergebnis sank auf 4 Milliarden Euro und lag 25 Prozent unter dem Vorjahreswert. Der Außenumsatz des Konzerns ging von 52,4 auf 48,5 Milliarden Euro zurück. Die Nettoverschuldung von RWE bewegte sich 2014 mit 31 Milliarden Euro auf Vorjahresniveau. Ende 2014 beschäftigten die Essener weltweit knapp 59.800 Mitarbeiter.
Die Nummer drei der Branche will zum Treiber der Energiewende werden. Ende 2013 erzeugte EnBW knapp 20 Prozent seines Stroms aus erneuerbaren Energien wie Wind, Wasser, Sonne und Biomasse. Bis 2020 soll der Anteil 40 Prozent betragen. Die Karlsruher haben rund 20.000 Mitarbeiter und einen Umsatz von über 20 Milliarden Euro. Unrentable Kraftwerke und niedrige Strompreise sorgten unter dem Strich in den ersten neun Monaten 2014 für ein Minus von über 770 Millionen Euro.
Fallende Preise machten dem schwedischen Konzern 2014 zu schaffen. Der Umsatz sank auf 166 Milliarden Kronen (18 Milliarden Euro). Auch das bereinigte Betriebsergebnis von 2,6 Milliarden Euro fiel geringer aus - teils wegen Rücklagen für den deutschen Atomausstieg. 2015 will das Staatsunternehmen aus Stockholm mit 30.200 Mitarbeitern einen strikten Sparkurs fahren. In Deutschland erwägt Vattenfall einen Verkauf seiner Braunkohle-Sparte in Brandenburg und Sachsen.
In einer neuen Tochter (Arbeitsname „Newco“) soll dagegen das Geschäft mit erneuerbaren Energien, Stromübertragung und -vertrieb aufblühen. Dazu soll „Newco“ 2016 via Kapitalerhöhung bei Investoren frische Milliarden einsammeln. „Wir schaffen zwei zukunftsfähige Unternehmen unter einem Dach. Die neue Tochtergesellschaft mit eigenem Zugang zum Kapitalmarkt stärkt unsere Wachstumsperspektive“, behauptet Terium.
Intern ist der Abschied von der Braunkohle längst ausgemacht
Doch schon heute ist klar, dass von der alten RWE nicht viel übrig bleiben wird. Denn mit der Neuordnung bereitet Terium zugleich einen Wandel des Konzerns vor, der dem durch den Abschied vom Atom ausgelösten durchaus ebenbürtig ist: den langsamen Ausstieg aus der klimaschädlichen Braunkohle. Intern ist das längst ausgemacht. „Nach dem Ende der Kernenergie kommt nun der schleichende Ausstieg aus der Kohle“, sagte RWE-Vizechef Rolf Martin Schmitz auf der Jahrestagung des Berliner Instituts für Energie- und Regulierungsrecht vor knapp drei Wochen in exklusiver Runde.
Eine Stiftung sei dafür wohl nicht notwendig, aber „spätestens nach der Bundestagswahl im Jahr 2017 müssen die Verhandlungen über einen sozial verträglichen Ausstieg aus der Kohle mit der Bundesregierung beginnen“. Im Klartext: Der Steuerzahler oder der Stromkunde soll in irgendeiner Form den Ausstieg mitfinanzieren.
Schmitz empfiehlt sich für Polit-Deals
Das Wort des 58-Jährigen hat Gewicht. Er ist die Stimme der vier Stromkonzerne gegenüber der Atomkommission. Zugleich gilt er als möglicher Chef des alten RWE-Konzerns, in dem Kohle- und Atomstrom gebündelt werden sollen. Das Timing seines Appells, den Ausstieg aus der Braunkohle abzufedern, ist wohl gewählt: 2016 will die Bundesregierung mithilfe der Atomkommission die endgültige Begleichung der schwer abschätzbaren Atomfolgekosten regeln. Danach, so RWE-Vize Schmitz, müsse eine Lösung für die Braunkohle her. Für Polit-Deals hat sich der promovierte Ingenieur bereits empfohlen.
Zusammen mit IGBCE-Chef Michael Vassiliadis war es ihm kürzlich gelungen, für RWE, Vattenfall und den ostdeutschen Wettbewerber Mibrag bei Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) 1,6 Milliarden Euro für einige alte Braunkohlekraftwerke zu erkämpfen, davon mindestens eine halbe Milliarde für RWE. Das Geld müssen die Stromverbraucher aufbringen, damit die Unternehmen acht Anlagen vier Jahre lang nur noch in Bereitschaft halten und dann stilllegen.
Ursprünglich wollte Gabriel den CO2-Schleudern eine Klimaabgabe aufbrummen, um sie aus dem Markt zu treiben. Doch dann machte er daraus eine „Klimareserve“, die den Konzernen nun sogar Einnahmen beschert. Bei RWE werden dadurch fünf Braunkohleblöcke finanziert, 15 andere laufen weiter. Diese sozial verträglich stillzulegen dürfte weitere Milliarden kosten.
Energie
IGBCE-Chef Vassiliadis machte nach Teriums Ankündigung des RWE-Konzernumbaus schon mal klar: „Wir werden mit dem Unternehmen regeln, dass im Zuge möglicher Veränderungen keine weiteren Unsicherheiten oder Lasten auf die Beschäftigten zukommen.“ Dabei können der Gewerkschafter und sein RWE-Kompagnon Schmitz auf die Hilfe von NRW-Wirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD) rechnen. Aus seinem Haus ist zu hören, dass der Staat die gesetzlichen Rahmenbedingungen so gestalten soll, dass Kohle- und Gaskraftwerke zumindest eine gewisse Zeit noch Einnahmen erzielen.