Sigmar Gabriel „Nord Stream 2 war ein richtiges Projekt“

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„Wir werden massive Investitionen in die Infrastruktur brauchen“

Was folgt nun daraus?
Wir werden massive Investitionen in die Infrastruktur brauchen. Seit vielen Jahren scheitert zum Beispiel der Bau eines deutschen Terminals für Flüssiggas, weil es sich wirtschaftlich nicht betreiben lässt. Wenn wir unsere Energieversorgung diversifizieren wollen, wird wohl der Staat diese Infrastrukturinvestition begleiten müssen. Das ist nur ein Beispiel. Sicher wird Europa auch mit Norwegen darüber reden, ob und unter welchen Bedingungen das Land bereit ist, seine unerschlossenen Reserven in der Barentssee zu erschließen. Eine Milliardeninvestition.

Das heißt, dass die Energiekosten weiter steigen.
Die Gaspreise werden jedenfalls in solchen Zeiten nicht fallen. Ich hoffe immer noch darauf, dass es im Ukrainekonflikt zu einer vernünftigen Lösung kommt. Wenn sich die Lage weiter verschärft, wird Gas auf absehbare Zeit deutlich teurer werden. Katar und die USA sind zu Lieferungen bereit, aber letztlich ist der Preis entscheidend. Bislang haben beide Länder vor allem nach Asien exportiert, weil die Preise dort höher waren.

Die USA bemühen sich, die Energieversorgung Europas zu sichern, Präsident Joe Biden hat sich zudem vor das umstrittene Pipeline-Projekt Nord Stream 2 gestellt. Ist es da ratsam, dass sich Deutschland im Ukrainekonflikt sehr zögerlich verhält?  
Ich habe Nord Stream 2 immer für ein richtiges Projekt gehalten. Und die Skepsis der USA war nichts Neues, seit 1963 haben sie deutsch-russische Pipelines immer wieder kritisiert und vorübergehend auch sanktioniert. Der heutige Außenminister Anthony Blinken hat 1987 sogar ein Buch über die „sibirische Pipelinekrise“ geschrieben. Niemand wird Nord Stream 2 öffnen, wenn Russland in die Ukraine einmarschiert. Umgekehrt wäre es ziemlich dumm, dieses Projekt jetzt vom Tisch zu nehmen. Denn wenn man verhandeln will, muss man auch etwas anzubieten haben. Ich bin sicher, dass die USA exakt so denken.

So klar scheint das für die SPD nicht zu sein, die Partei gibt in dieser Frage keine gute Figur ab, wohl auch durch die engen Russlandverbindungen des früheren Bundeskanzlers Gerhard Schröder.
Ich bin in dieser Frage völlig anderer Meinung als Gerhard Schröder, aber ich habe großen Respekt davor, dass er seine Meinung öffentlich verteidigt und sich nicht weg duckt. Im Übrigen wird seine Auffassung durchaus von einer ganzen Reihe von Vertretern der „Realpolitik“ in der außenpolitischen Debatte der USA geteilt. Ich bin aber sicher, dass Bundeskanzler Olaf Scholz das Thema durchdrungen hat und gemeinsam mit den USA und innerhalb von NATO und EU die richtigen Entscheidungen treffen wird.

Sollte Deutschland auch Katar in der Krise politisch entgegenkommen?
Katar orientiert sich nach Westen und nach den USA gilt Deutschland als zweitwichtigster Partner. Wir haben dort das Image eines zuverlässigen und technologisch führenden Landes, mit dem man gerne zusammenarbeitet. Der Bedarf dafür ist groß, schließlich befindet sich das Land in einer großen Transformation, mit der es sich langfristig unabhängiger von Öl und Gas machen will.



Für viele deutsche Unternehmen ergeben sich hier große Chancen. Kooperationen bieten sich aber auch bei sozialen Themen an. In einem solchen Projekt hat Katar bereits gegen interne Widerstände die Arbeitsbedingungen deutlich verbessert, den Mindestlohn erhöht und die Wahl des Arbeitsplatzes erleichtert. Eine derartige Zusammenarbeit bietet sich auch bei einem Thema wie der berufsgenossenschaftlichen Absicherung von Arbeitsunfällen an. Ich bin sehr sicher, dass die Regierung Katars jedes Angebot zur Zusammenarbeit und Unterstützung bei den begonnenen Reformen auf dem Arbeitsmarkt gern aufgreift.

Katar hatte vor drei Jahren angekündigt, zehn Milliarden Euro in den deutschen Mittelstand zu investieren. Warum ist daraus nichts geworden?
Das kann ich nur vermuten. Die Initiative zielte vor allem auf Mittelständler, die grundsätzlich skeptisch sind, wenn sie Anteile an ihren Unternehmen abgeben sollen. Bei ihren Beteiligungen streben die Kataris oft Minderheitsanteile an, weil sie selbst wissen, dass sie die Unternehmen nicht beherrschen wollen.  Das Interesse an Deutschland ist aber sicher weiter vorhanden. Es mag auch eine Rolle spielen, dass derzeit die Investitionen für die Fußball-WM alles überschatten.

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Wie sollten sich Politiker und Unternehmer im Hinblick auf das Großereignis verhalten?
Ich sehe keinen Grund dafür, sich nicht auf die WM zu freuen oder nicht hinzufahren. Wir messen leicht mit unterschiedlichem Maß. Wenn die WM in Mexiko stattfände, würde sich niemand darüber aufregen, obwohl dort vieles im Argen liegt und insbesondere Gewalt gegen Frauen leider zum Alltag gehört. Kein Politiker muss in Katar mit den Arbeitern reden, die ihm von offizieller Seite präsentiert werden. Er kann sich seine Gesprächspartner selbst aussuchen und sich selbst ein Bild machen. Das ist grundsätzlich immer eine empfehlenswerte Herangehensweise.

Mehr zum Thema: Wenn Russland den Gashahn zudreht, soll Katar die Energieversorgung Europas sichern. Kurz vor der Fußball-WM hofft das umstrittene Emirat nun auf eine neue Annäherung – auch an deutsche Unternehmen.

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