Streit um South Stream Eine Pipeline als politische Waffe

Beim Streit um die Gas-Pipeline South Stream geht es nur vordergründig um EU-Vorschriften. In Wirklichkeit ringen Moskau und der Westen um Macht und Einfluss auf dem Westbalkan.

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Bestehende und geplante Gas-Pipelines von Russland nach Westeuropa

Die Nervosität in den Hauptstädten des westlichen Balkans ist in diesen Tagen deutlich spürbar. Seit die Europäische Union Russland wegen dessen Vorgehen in der Ukraine mit weitreichenden Sanktionen belegt hat, blicken die Regierungen in Budapest, Belgrad und Sofia immer sorgenvoller in Richtung Moskau.

Wird Russland nicht mehr nur mit Schikanen für McDonald’s, sondern bald auch mit höheren Gaspreisen zurückschlagen, fragen sich etwa Spitzenpolitiker im EU-Land Bulgarien. Der Balkanstaat bekommt 90 Prozent seines Gases aus Russland. Auch in Serbien, das sein Gas ebenfalls fast komplett beim großen Nachbarn im Osten bezieht, regiert die Angst. Sollte Moskau die Preise erhöhen, weil das in die EU strebende Serbien Unterstützung für die Sanktionen aus Brüssel signalisiert, droht dem Land die Staatspleite.

An der Ukraine vorbei

Russlands Präsident Wladimir Putin weiß um die Wirksamkeit der politischen Waffe Gas. Und er will sie stärker einsetzen – mithilfe einer mächtigen neuen Pipeline. South Stream, so der Name der geplanten Röhre, soll künftig auf einer Länge von fast 2400 Kilometern Gas aus Russland durch das Schwarze Meer und weiter über Bulgarien, Serbien und Ungarn nach Westeuropa pumpen. Schon Ende 2016 will der federführende russische Rohstoffkonzern Gazprom die Pipeline in Betrieb nehmen.

Wer den Öl- und Gasmarkt dominiert
Stürmische Zeiten: Trotz der weltweiten Wirtschaftsflaute fahren die größten Ölkonzerne der Welt satte Gewinne ein. Der Energie-Informationsdienst Oilandgasiq hat die zehn größten Öl- und Gaskonzerne nach dem täglichen Fördervolumen zusammengestellt. Stand: Mai 2013 Quelle: REUTERS
Platz 10: Kuwait Petroleum Corporation (KPC)Den letzten Rang unter den Top-10 Ölkonzernen der Welt erreicht der staatliche Ölförderer von Kuwait. Die Kuwait Petroleum Corporation ging aus der Anglo-Persian Oil (heute BP) und Gulf Oil (heute Chevron) hervor. Die Kuwaitis beschäftigen 15.800 Menschen und fördern 3,2 Millionen Fass Öl am Tag. Ein Fass oder Barrel entspricht rund 159 Litern. Im Golfkrieg in den 1990ern setzten irakischen Streitkräfte mehr als 700 kuwaitische Ölquellen in Brand. Quelle: PR
Platz 9: ChevronDie Wurzeln des drittgrößten Unternehmens der USA reichen bis 1879 zurück, als die Pacific Coast Oil Company gegründet wurde. Später schluckte Standard Oil das Unternehmen und nannte es SoCal. 1984 schlossen sich dann SoCal und Gulf Oil unter dem Namen Chevron zusammen. Die Kalifornier fördern 3,5 Millionen Barrel am Tag. Rund 62.000 Menschen arbeiten weltweit für den Konzern. Quelle: REUTERS
Platz 8: PemexMexiko verstaatlichte 1938 die gesamte Ölindustrie. Heute gilt der Energieriese als eines der größten Unternehmen Lateinamerikas und größter Steuerzahler Mexikos. Die 138.000 Mitarbeiter fördern 3,6 Millionen Fass Öl am Tag. Quelle: REUTERS
Platz 7: Royal Dutch Shell Der siebtgrößte Ölförderer der Welt entstand 1907 aus dem Zusammenschluss einer niederländischen und einer britischen Firma. Der weltweit bekannte Konzern setzte sich 2012 mit einer Marktkapitalisierung von 140 Milliarden Dollar an die Spitze des britischen Leitindex FTSE. Mit 87.000 Angestellten fördert der Multi 3,9 Millionen Barrel Öl am Tag. Quelle: REUTERS
Platz 6: BPAuf eine lange Historie blickt auch British Petroleum, kurz BP, zurück. Die Burmah Oil Company ging 1909 in der Anglo-Persian Oil Company auf, die später zur Anglo Iranian Oil und schließlich zu BP wurde. Einen schweren Schlag erhielt der Konzern, als eine Explosion auf der Plattform Deepwater Horizon 2010 mehrere Arbeiter töte. Das auslaufende Öl verseuchte den Golf von Mexiko und richtete eine der größten Umweltkatastrophen an. Der Konzern wurde zu Milliardenstrafen und Entschädigungen verurteilt. Weitere Prozesse laufen. BP beschäftigt 85.700 Menschen und fördert 4,1 Millionen Fass Öl am Tag. Quelle: dapd
Platz 5: PetrochinaDen fünften Rang unter den größten Energiekonzernen der Welt hat Chinas Petrochina erobert. Die Karriere des erst 1999 gegründeten Unternehmens ist steil. Der staatseigene Konzern fördert mit 550.000 Arbeitern 4,4 Millionen Barrel. Quelle: REUTERS

Mit geschätzten Kosten zwischen 19 und 24 Milliarden Euro ist South Stream aktuell eines der größten Energieprojekte der Welt. Nach der Fertigstellung will Gazprom jedes Jahr 63 Milliarden Kubikmeter Gas durch die Röhre nach Europa leiten. Moskau umginge mit der neuen Pipeline den verfeindeten Krisenstaat Ukraine und würde gleichzeitig die westeuropäischen Abnehmerstaaten noch enger an sich binden. Der Ukraine fehlten mit Inbetriebnahme der Leitung hingegen die für das Land wichtigen Durchleitungsgebühren.

Nicht nur wegen der Folgen für die Ukraine ist South Stream ein hochpolitisches und darum umstrittenes Projekt. Moskau und Gazprom versuchen mithilfe der Pipeline, ihren politischen und wirtschaftlichen Einfluss auf EU-Länder wie Bulgarien und Ungarn sowie auf den Beitrittskandidaten Serbien auszudehnen – unter anderem durch die geschickte Vergabe von Bauaufträgen in Milliardenhöhe. Der Westbalkan, so das Kalkül Putins, soll Moskaus Brückenkopf nach Westeuropa werden; so mancher Altfunktionär aus Sowjetzeiten träumt bereits davon, den alten Ostblock wiederauferstehen zu lassen.

Hohe Abhängigkeit

Für die Westeuropäer ist die Lage vertrackt. Einerseits wollen Brüssel und Berlin verhindern, dass Moskau seinen Einfluss auf dem Westbalkan weiter ausbaut. Auch sind sich die EU-Staaten einig, dass die energiepolitische Abhängigkeit von Russland gesenkt werden muss. Andererseits ist Europa vorerst weiter auf Gaslieferungen aus Russland angewiesen. Ein Drittel des Gases, das Europa verbraucht, kommt von dort. In Deutschland sind es sogar fast 40 Prozent. „Ohne South Stream kann Europa künftig Schwierigkeiten bekommen, seinen Gasbedarf zu decken“, warnt Jonathan Stern vom Oxford Institute for Energy Studies.

Trotzdem hat EU-Energiekommissar Günther Oettinger das Projekt fürs Erste blockiert. Er macht dafür Verstöße gegen EU-Richtlinien bei der Planung des bulgarischen Teils der Pipeline verantwortlich. „Wir erwarten, dass sich South Stream auf dem Hoheitsgebiet der EU vollständig an europäisches Recht anpasst“, sagt Oettinger. In Bulgarien hat die EU-Kommission Anfang Juni darum einen Baustopp gefordert. Widerwillig hat sich die Regierung in Sofia dem nun gebeugt.

Gazprom hält sich nicht an EU-Regeln

Konkret stört sich Brüssel an mehreren Punkten: Gazprom agiert gleichermaßen als Gaslieferant und als Betreiber der Pipeline, was den EU-Regeln für den Energiebinnenmarkt widerspricht. Außerdem war der Auftrag für das Projekt nicht ordnungsgemäß ausgeschrieben, meint Oettinger. Zudem müsse gewährleistet sein, dass andere Lieferanten ebenfalls Zugang zu der Leitung bekommen. Inzwischen hat Brüssel ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet; im letzten Schritt könnte die EU-Kommission hohe Geldstrafen gegen Bulgarien verhängen. „Wir meinen das ernst“, sagt der scheidende EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso und kündigt an, dass bei Rechtsverstößen auch Verfahren gegen andere Transitländer folgen würden.

Sorgen in Bulgarien

Angesichts der Ukraine-Krise haben sich die Töne aus Brüssel zuletzt weiter verschärft. Zuvor hatte Oettinger eine Arbeitsgruppe eingerichtet, in der Russland und die EU die rechtlichen Probleme aus der Welt schaffen wollten. Doch seit Anfang April ist die Gruppe nicht mehr zusammengekommen. „In der jetzigen Lage werden wir sicher nicht zu einem politischen Abschluss unserer Verhandlungen kommen“, sagt Oettinger.

Besonders unangenehm ist dieser Streit für die Bulgaren, die sich von der EU unverstanden fühlen. An einem heißen Sommernachmittag sitzt Yavor Kuyumdziev auf der Terrasse des Radisson-Hotels in Sofia. Von hier geht der Blick über einen weitläufigen Platz mit Kopfsteinpflaster hinüber zum Parlamentsgebäude, dem Arbeitsplatz von Kuyumdziev. Der Mann ist stellvertretender Vorsitzender des Energieausschusses im bulgarischen Parlament – und ein vehementer Verfechter der geplanten Pipeline. „So wie das Projekt geplant ist, verletzt es nicht eine einzige EU-Richtlinie“, behauptet der Bulgare mit Blick auf die kritisierte Dominanz von Gazprom. South Stream sei ja nicht eine einzelne Pipeline. Vielmehr bestehe das Projekt aus mehreren Röhren, und in jedem Land, durch das die Leitung führe, seien die Beteiligungsverhältnisse an South Stream anders. Das stimmt. Allerdings hält in jedem einzelnen Land Gazprom mindestens 50 Prozent an der jeweiligen Projektgesellschaft.

Kuyumdziev verspricht, dass auch andere Gaserzeuger die neue Leitung nutzen dürften. „Sie müssen nur ihre eigene Röhre bis zum Knotenpunkt Varna an der bulgarischen Schwarzmeerküste bauen und können dann dort einspeisen“– ein Szenario, das Experten für unwahrscheinlich halten. Das Projekt South Stream sei nicht endgültig gestoppt, glaubt der Politiker, und das sei ja auch für Deutschland wichtig. „An der Pipeline hängen viele deutsche Arbeitsplätze.“

Was die Russen in der Ostukraine wollen
Greift das russische Militär ein?Das russische Militär positioniert sich in der Ostukraine. Die Spezialeinheiten der russischen Armee stehen den pro-russischen Separatisten bei, die einen Anschluss an Russland wollen. Die Regierung in Moskau kann sich unterdessen überlegen, wie man ein weiteres Krim-Szenario erreichen könnte. 45.000 Soldaten sind bereits an der Grenze stationiert. „Ich bin äußerst beunruhigt über die weitere Eskalation der Spannung in der Ostukraine“, erklärte Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen. Männer mit russischen Spezialwaffen und in Uniformen ohne Abzeichen erinnerten an das Auftreten russischer Truppen bei der Annexion der Schwarzmeerhalbinsel Krim - das sei eine schwerwiegende Entwicklung. Moskau müsse seine Truppen, zu denen auch Spezialeinheiten gehörten, von der ukrainischen Grenze zurückziehen, forderte der Nato-Chef. Quelle: AP
Rund 45.000 russische Soldaten - „Dies sind beachtliche Streitkräfte von hoher Einsatzbereitschaft. Und sie sind in der Lage, sich sehr rasch zu bewegen“, sagte der britische Brigadegeneral Gary Deakin, Direktor des Zentrums für Krisenmanagement im militärischen Nato-Hauptquartier in Mons. Nach Nato-Angaben sind an mehr als 100 Standorten Artillerie, Panzerfahrzeuge, Hubschrauber, Spezialeinheiten, Kampfflugzeuge sowie die dazugehörenden Logistikeinheiten stationiert. Die meisten Einheiten befänden sich in provisorischen Unterkünften, Flugzeuge und Fahrzeuge stünden im Freien. „Das sind keine Truppen, die sich immer dort befinden, wo sie gerade sind“, sagte Brigadegeneral Deakin. Die Einheiten würden seit drei bis vier Wochen auch nicht - etwa zu Manöverzwecken - bewegt: „Es ist sehr ungewöhnlich, eine so große Truppe so lange einfach in der Landschaft stehen zu lassen.“ Quelle: REUTERS
Kämpfen russische Soldaten bereits mit?Viele sehen die russischen Soldaten als eine erneute Provokation aus Moskau. Auch US-Außenminister Kerry beschuldigt Putin. Er spricht von "russischen Provokateuren und Agenten". Viele der Separatisten sind schwer bewaffnet. Innenminister Awakow spricht von einer "Aggression der Russischen Föderation". Spiegel Online berichtet von Internet-Videos, in denen Truppen zu sehen sind, die über eine militärische Ausbildung verfügen. Diese Kämpfer der selbsternannten "Armee des Süd-Ostens" gingen bei dem Sturm der Polizei-Einheit in Slawjansk sehr geplant vor. Quelle: AP
Moskau dementiert Kiew wirft Russland offen „Aggression“ in der russisch geprägten Region vor. Moskau wolle das Gebiet durch bezahlte Provokateure destabilisieren und dann dort einmarschieren. Russlands Außenminister Sergej Lawrow wies dies mit Nachdruck zurück. Er sagte, das russische Militärs sei nicht aktiv. Während der Krim-Krise hatte Putin allerdings genau das auch behauptet. Dennoch hat Moskau offiziell offenbar noch keine regulären Einheiten in die Ostukraine verlegt. Quelle: REUTERS
Was will Russland?Moskau macht sich in der Ostukraine für die Rechte der russischsprachigen Bürger stark. Der Anteil in Donezk liegt bei etwa 70 Prozent. Spiegel Online berichtet, dass dort 33 Prozent aller Bewohner einen Anschluss an Russland befürworten. Die Regierung in Kiew hat nun ein hartes Vorgehen angekündigt. Das wiederum könnte Moskau zu weiteren Schritten provozieren. Russlands Außenminister Sergej Lawrow warnte bei einem Telefonat mit seinem US-Kollegen John Kerry, ein gewaltsames Eingreifen der Regierung in Kiew gefährde ein für Donnerstag in Genf geplantes Treffen von russischen, ukrainischen, US- und EU-Vertretern. Quelle: REUTERS
Folgen für Russland Wenn das russische Militär eingreift, könnte das zu weiteren Wirtschaftssanktionen gegenüber Russland führen. Das macht eine Intervention Moskaus unwahrscheinlich. "Es geht nicht um Annexion, sondern darum, zu zeigen, dass die aktuelle ukrainische Führung nicht in der Lage ist, für Ruhe und Ordnung zu sorgen", sagt Stefan Meister, Russland-Experte des European Council on Foreign Relations, gegenüber Spiegel Online. Quelle: REUTERS

Zumindest da hat er nicht ganz unrecht. Die an dem Großprojekt beteiligten deutschen Unternehmen beobachten die Entwicklung mit wachsender Nervosität. Siemens etwa liefert für den fast 1000 Kilometer langen Offshore-Teil im Schwarzen Meer unter anderem Automatisierungs- und Telekomsysteme. An Land bestückt der Technologiekonzern die Pipeline mit Kompressorstationen. Die sorgen dafür, dass das Gas mit gleichbleibendem Druck fließt. Insgesamt geht es für Siemens um Aufträge im mittleren zweistelligen Millionenbereich. Von einer „kurzzeitigen Verzögerung“, spricht ein Siemens-Manager in Österreich, der das Projekt betreut. Am Ende werde die Pipeline ganz sicher gebaut.

Das Prinzip Hoffnung regiert auch bei der BASF-Tochter Wintershall. Das Unternehmen aus Kassel ist zu 15 Prozent an der Gesellschaft für den Bau des Offshore-Teils von South Stream beteiligt und investiert rund 1,5 Milliarden Euro. Wintershall-Vorstandsmitglied Mario Mehren sieht „die derzeitigen Schwierigkeiten als ein vorübergehendes Problem“ und schiebt Brüssel die Schuld zu. Die EU-Kommission habe das Projekt „politisch aufgeladen“, giftet Mehren. „Das ist für die Umsetzung des Vorhabens nicht hilfreich.“

Deutsche Aufträge betroffen

Ernste Folgen hätte ein Komplettstopp von South Stream auch für den Röhrenhersteller Europipe aus Mülheim an der Ruhr. Das Unternehmen baut die Rohre für den Schwarzmeerteil der Pipeline. Den Stahl dafür liefern die Hersteller Salzgitter und Dillinger Hütte. Der Offshore-Teil der Pipeline wird aus vier Strängen bestehen; für den ersten hat Europipe einen dicken Auftrag an Land gezogen. Der gibt 700 Arbeitern in Mülheim bis April kommenden Jahres Beschäftigung. Bei der Ausschreibung für den zweiten Strang ist Europipe leer ausgegangen. Für den dritten und vierten werden die Mülheimer aber wieder mitbieten – wenn es denn überhaupt noch zu einer solchen Ausschreibung kommt. Auch bei Europipe kann man sich nicht vorstellen, dass das Projekt scheitert, trotz der derzeitigen politischen Hindernisse beim Onshore-Teil der Gas-Pipeline.

Mit der Verschärfung der Ukraine-Krise, so viel steht fest, rückt das Projekt in immer weitere Ferne. EU-Kommissar Oettinger betont zwar, dass er South Stream nicht grundsätzlich ablehne und die Vorteile für manche Mitgliedstaaten anerkenne. Strategisch hält er eine Diversifizierung der Lieferanten aber für wichtiger – und bekommt dafür auch Rückendeckung von Experten. „Das Projekt South Stream läuft völlig konträr zur EU-Strategie, wonach die Abhängigkeit von Russland reduziert und auf mittlere Sicht marktwirtschaftliche Preise angestrebt werden sollen“, sagt etwa Frank Umbach, Forschungsdirektor am European Centre for Energy and Resource Security am King’s College in London.

Deshalb hatte die Pipeline für Oettinger schon vor der Ukraine-Krise nicht höchste Priorität. Bei South Stream gehe es ja nicht um neues oder zusätzliches Gas: Was durch die Leitung fließe, werde eben weniger durch die Ukraine fließen. Mehr als fragwürdig ist in Oettingers Augen auch die Vergabe der Bauaufträge für den bulgarischen Onshore-Teil der Pipeline. Hier geht es immerhin um ein Volumen von fast vier Milliarden Euro – und um einen unappetitlichen Streit unter bulgarischen Oligarchen.

Drohungen per SMS

Am Wiener Burgring sorgt das satte Grün der Kastanien und Platanen in diesen Tagen für angenehmen Schatten. Wie jedes Jahr im Sommer parken vor den Luxushotels der Innenstadt schwere Limousinen aus fernen Ländern, die meisten mit arabischen und russischen Kennzeichen. Irgendwo hier, in einer der plüschigen Suiten zwischen Hotel Bristol, Grand Hotel und Hotel Sacher, versteckt sich Zwetan Wassilew, Milliardär und einer der einflussreichsten Unternehmer Bulgariens. Wassilew hat in den vergangenen Wochen mehrere Morddrohungen erhalten, eine kam sogar per SMS. „Ich gebe dir eine letzte Chance. Ich weiß, wo du bist. Lass mich keine dummen Sachen machen. Ich finde dich“, stand auf dem Display. Absender: Deljan Peewski, einst Freund und Geschäftspartner von Wassilew, ebenfalls Bulgare.

Der Grund für den Bruch der vormals unzertrennlichen Oligarchen: die Auftragsvergabe bei South Stream. Peewski sitzt im bulgarischen Parlament; seine Mutter kontrolliert über Beteiligungen 80 Prozent der Medien des Landes. Die Familie hat enge Verbindungen zu zahlreichen bulgarischen Unternehmen. Lange Zeit sah es so aus, als könnten Wassilew und Peewski sich die Aufträge für South Stream gleichmäßig aufteilen. Doch dann kam es zum Eklat: Heimlich übernahm Peewski Wassilews Anteile, die Gier war wohl zu groß. Wassilew war außer sich und soll zunächst Peewski mit Mord gedroht haben. Auf Anfrage wollten sich weder Wassilew noch Peewski äußern.

Dreimal teurer als nötig

„Viele der Firmen, die Aufträge ergattert haben, gehören zu Peewskis Umfeld“, räumt Energiepolitiker Kuyumdziev ein. Insgesamt sei die Ausschreibung aber sauber gewesen, höchstens die Fristen ein wenig zu knapp.

Brüssel und westliche Diplomaten in Sofia kritisieren hingegen, die Vergabe sei in einer Nacht-und-Nebel-Aktion erfolgt. Zum Zuge kamen am Ende das russische Bauunternehmen Stroytransgas als Konsortialführer sowie fünf bulgarische Konzerne mit weiteren 500 Subunternehmen. Stroytransgas musste inzwischen aussteigen, weil dessen Chef Gennadiv Timtschenko als Reaktion auf Moskaus Zündeln in der Ukraine in Europa keine Geschäfte mehr machen darf. An seine Stelle rückte die Gazprom-Tochter Centrgas. Mittlerweile räumt auch Bulgariens Präsident Rossen Plewneliew massive Korruption bei der Auftragsvergabe ein. Der Bau des bulgarischen Abschnitts der Pipeline sei dreimal so teuer wie nötig.

In Moskau und Sofia bemühen sich Politik und Wirtschaft nun fieberhaft um einen Ausweg aus der Sackgasse. Laut russischen Medien hat Gazprom bereits einen Plan B entwickelt. Danach könnte die umstrittene Pipeline am Ende durch Griechenland und die Türkei statt durch Bulgarien, Serbien und Ungarn geführt werden. Angeblich sei die Türkei nicht abgeneigt. Aber auch eine andere Lösung ist denkbar: Als Russlands Außenminister Sergej Lawrow im Juli Sofia besuchte, soll er signalisiert haben, man könne die Bauaufträge für den bulgarischen Abschnitt der Röhre neu ausschreiben. Parlamentarier Kuyumdziev dementiert dies, und vor Oktober ist wohl nicht mit einer endgültigen Entscheidung zu rechnen. Dann nämlich wird in Bulgarien gewählt.

Um Kritik scheren sich Politiker wie Kuyumdziev ohnehin nicht, erst recht nicht, wenn sie aus Brüssel kommt. Manche Parlamentarier in Sofia ätzten zuletzt, Energiekommissar Oettinger sei wohl von Washington gesteuert. Statt nach Westen blickt man in Bulgarien in diesen Tagen immer öfter nach Osten, so wie früher. „Die Russen sind unsere Brüder“, sagt Kuyumdziev und fügt hinzu: „80 Prozent unseres Volkes denken so.“ Als die Ukraine-Krise begann, schossen in Umfragen die Sympathiewerte der Bulgaren für Putin auf 70 Prozent in die Höhe. Fast ein Viertel der Bevölkerung spricht sich mittlerweile gar für den Beitritt ihres Landes zur Eurasischen Wirtschaftsunion aus, die Russland, Weißrussland und Kasachstan im vergangenen Mai gegründet haben. Auch in Serbiens Hauptstadt Belgrad und in Budapest sind solche Töne immer häufiger zu hören.

Doch vor allem zwischen Moskau und Sofia sind die Bande eng. Russische Unternehmen sind mit dem bulgarischen Bankensektor eng verquickt; die sozialistische Regierung pflegt traditionell enge Kontakte nach Moskau. Dort wurde nach Erkenntnissen westeuropäischer Diplomaten in Sofia auch das bulgarische Energiegesetz erarbeitet.

Moskau fährt derweil auf dem Balkan eine Doppelstrategie. Zum einen versorgt Russland die finanziell klammen Länder beispielsweise mit großzügigen Krediten. Bei der Flutkatastrophe in Serbien im Frühjahr schickte Russland umgehend Rettungstrupps, Geld und Hilfsgüter. Zum anderen allerdings, so warnen politische Beobachter in der Region, versuche Moskau die Länder gezielt zu destabilisieren, um sich anschließend als Rettungsanker anzubieten.

Warnung vom BND

Für Aufsehen sorgte kürzlich ein Auftritt von Gerhard Schindler, dem Chef des Bundesnachrichtendienstes (BND), vor dem Auswärtigen Ausschuss des Bundestags. Laut „Süddeutscher Zeitung“ erklärte Schindler dort, Moskau habe offenkundig ein Interesse an einem Staatsbankrott Bulgariens – damit das Land in der Folge wieder enger an Russland heranrücke. Im vergangenen Juli war Bulgariens Bankensystem kurzzeitig in Turbulenzen geraten.

Auch die deutsche Bundesregierung verfolgt das gefährliche Geschachere auf dem westlichen Balkan mittlerweile mit Sorge und will der Region künftig wieder mehr Aufmerksamkeit schenken. Nötig wäre es, denn eines zeigt sich unzweifelhaft: Russland nutzt sein Gas nicht nur als Druckmittel gegen die Ukraine. Sondern auch, um die EU-Länder gegeneinander auszuspielen.

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