
Die Nervosität in den Hauptstädten des westlichen Balkans ist in diesen Tagen deutlich spürbar. Seit die Europäische Union Russland wegen dessen Vorgehen in der Ukraine mit weitreichenden Sanktionen belegt hat, blicken die Regierungen in Budapest, Belgrad und Sofia immer sorgenvoller in Richtung Moskau.
Wird Russland nicht mehr nur mit Schikanen für McDonald’s, sondern bald auch mit höheren Gaspreisen zurückschlagen, fragen sich etwa Spitzenpolitiker im EU-Land Bulgarien. Der Balkanstaat bekommt 90 Prozent seines Gases aus Russland. Auch in Serbien, das sein Gas ebenfalls fast komplett beim großen Nachbarn im Osten bezieht, regiert die Angst. Sollte Moskau die Preise erhöhen, weil das in die EU strebende Serbien Unterstützung für die Sanktionen aus Brüssel signalisiert, droht dem Land die Staatspleite.
An der Ukraine vorbei
Russlands Präsident Wladimir Putin weiß um die Wirksamkeit der politischen Waffe Gas. Und er will sie stärker einsetzen – mithilfe einer mächtigen neuen Pipeline. South Stream, so der Name der geplanten Röhre, soll künftig auf einer Länge von fast 2400 Kilometern Gas aus Russland durch das Schwarze Meer und weiter über Bulgarien, Serbien und Ungarn nach Westeuropa pumpen. Schon Ende 2016 will der federführende russische Rohstoffkonzern Gazprom die Pipeline in Betrieb nehmen.





Mit geschätzten Kosten zwischen 19 und 24 Milliarden Euro ist South Stream aktuell eines der größten Energieprojekte der Welt. Nach der Fertigstellung will Gazprom jedes Jahr 63 Milliarden Kubikmeter Gas durch die Röhre nach Europa leiten. Moskau umginge mit der neuen Pipeline den verfeindeten Krisenstaat Ukraine und würde gleichzeitig die westeuropäischen Abnehmerstaaten noch enger an sich binden. Der Ukraine fehlten mit Inbetriebnahme der Leitung hingegen die für das Land wichtigen Durchleitungsgebühren.
Nicht nur wegen der Folgen für die Ukraine ist South Stream ein hochpolitisches und darum umstrittenes Projekt. Moskau und Gazprom versuchen mithilfe der Pipeline, ihren politischen und wirtschaftlichen Einfluss auf EU-Länder wie Bulgarien und Ungarn sowie auf den Beitrittskandidaten Serbien auszudehnen – unter anderem durch die geschickte Vergabe von Bauaufträgen in Milliardenhöhe. Der Westbalkan, so das Kalkül Putins, soll Moskaus Brückenkopf nach Westeuropa werden; so mancher Altfunktionär aus Sowjetzeiten träumt bereits davon, den alten Ostblock wiederauferstehen zu lassen.
Hohe Abhängigkeit
Für die Westeuropäer ist die Lage vertrackt. Einerseits wollen Brüssel und Berlin verhindern, dass Moskau seinen Einfluss auf dem Westbalkan weiter ausbaut. Auch sind sich die EU-Staaten einig, dass die energiepolitische Abhängigkeit von Russland gesenkt werden muss. Andererseits ist Europa vorerst weiter auf Gaslieferungen aus Russland angewiesen. Ein Drittel des Gases, das Europa verbraucht, kommt von dort. In Deutschland sind es sogar fast 40 Prozent. „Ohne South Stream kann Europa künftig Schwierigkeiten bekommen, seinen Gasbedarf zu decken“, warnt Jonathan Stern vom Oxford Institute for Energy Studies.
Trotzdem hat EU-Energiekommissar Günther Oettinger das Projekt fürs Erste blockiert. Er macht dafür Verstöße gegen EU-Richtlinien bei der Planung des bulgarischen Teils der Pipeline verantwortlich. „Wir erwarten, dass sich South Stream auf dem Hoheitsgebiet der EU vollständig an europäisches Recht anpasst“, sagt Oettinger. In Bulgarien hat die EU-Kommission Anfang Juni darum einen Baustopp gefordert. Widerwillig hat sich die Regierung in Sofia dem nun gebeugt.