Strom- und Gasmarkt High Noon im Zinsstreit für Netzbetreiber

Strommasten Quelle: imago images

Sagt Ihnen der Begriff EK1-Verzinszung etwas? Nein? Klingt sturzlangweilig, ist aber für den Ausbau der Strom- und Gasnetze und die Preise extrem wichtig. In den nächsten Tagen entscheidet die Netzagentur in einem Streit zwischen Verbraucherschützern und Industrie.

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Es war ein paar Tage vor Bundestagswahl, im Berliner Kongresshotel Estrel, als E.On-Chef Leonhard Birnbaum, auf großer Bühne nach seinem wichtigsten Wunsch an die neue Bundesregierung gefragt wurde. Er habe viele Wünsche als Bürger, sagte Birnbaum. Aber als E.On-Chef und Vertreter der Energiebranche habe er vor allem einen Wunsch: „Eine angemessene EK1-Verzinsung“.

EK1-Verzinsung? Klingt zunächst wie eine sehr spezielle Fantasie eines Energie-Nerds. Sturzlangweilig. Ist es aber nicht. Im Gegenteil. Denn beim Streit um die Höhe der so genannten Eigenkapitalverzinsung für Strom- und Gasnetze geht es um nicht weniger als die Frage, wie die finanzielle Grundlage jener mehr als 900 deutschen Verteilnetzbetreiber beschaffen ist, die das deutsche Strom- und Gasnetz in den nächsten Jahren fit machen sollen für die Energiewende. Für die Industrie, vom Riesen Eon bis hin zu kleinen Stadtwerken, ist die Interessenlage klar: Der Zins muss möglichst hoch sein. Verbraucherschützer halten die Forderungen der Industrie dagegen für überzogen, setzen den Zins deutlich niedriger an. Sie dringen auf mehr Transparenz bei den Netzentgelten und glauben, den Anteil der Netzentgelte in den Stromrechnungen so deutlich drücken zu können.

Zinsen für „natürliche Monopolisten“

In den nächsten Tagen ist in dieser heiklen Angelegenheit High Noon. Zwar sind direkt weder die alte noch die neue Bundesregierung für den Eigenkapitalzins zuständig. Aber die dem Wirtschaftsministerium nachgeordnete Bundesnetzagentur (BNetzA) in Bonn verkündet schon bald, vermutlich in den nächsten Tagen, wie hoch dieser Zins sein soll — und schafft damit die Grundlagen für die Investitionsentscheidungen der nächsten Jahre, beim Strom für die Jahre 2024 bis 2029, beim Gas für die Jahre 2023 bis 2028.

Worum geht’s konkret? Verteilnetzbetreiber sind so genannte „natürliche Monopolisten“. Für ihre Investitionen bekommen sie einen vom Staat garantierten Zins, staatlich festgelegte Garantierenditen. Im Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) heißt es, dass die Betreiber dieser Netze Anreize erhalten sollen, für eine „effiziente Leistungserbringung“ und sieht eine „angemessene, wettbewerbsfähige und risikoangepassste Verzinsung des eingesetzten Kapitals“ vor. Diesen so genannten Eigenkapitalzins gibt es in zwei Varianten, für Bestandsanlagen (EK2) und für Investitionen in neue Anlagen (EK1). Die Höhe der beiden Zinssätze wird von der Bundesnetzagentur jeweils für eine Regulierungsperiode festgelegt. Eine Regulierungsperiode dauert fünf Jahre, die erste begann 2009. Weil die erste Regulierungsperiode beim Gas verkürzt wurde, sind die Zeiträume nicht identisch.

Die Berechnung des Zinssatzes ist kompliziert, aber im Prinzip gibt es zwei Bestandteile: Einen risikolosen Basiszinssatz, der, entsprechend den allgemeinen Zinssätzen, in den vergangenen Jahren in den Keller gerauscht ist, und einen Risikoansatz, der Zuschläge für die Risiken für die Netzbetreiber beachtet. Vor allem um den Wagniszuschlag ist in diesem Sommer gerungen worden, der Entscheidung der Netzagentur ist ein Konsultationsverfahren vorausgegangen. In einem Schreiben an die Mitglieder des Beirats der Netzagentur hatte Präsident Jochen Homann mitgeteilt, dass die Eigenkapitalzinssätze für Neuanlagen von 6,91 auf 4,59 Prozent gesenkt werden sollten, von Altanlagen von 5,12 Prozent auf 3,03 Prozent.

„Niedrigzinsen sollten auch für Netzbetreiber gelten“

Dazu gab es Stellungnahmen und Gutachten. Die Industrie bezeichnete diese Vorschläge als inakzeptabel, investitionsfeindlich, vor allem Verbraucherschützer monierten dagegen die Höhe des Zinses als zu hoch. Noch Anfang September, vor dem aktuellen Hochschießen der Energiepreise, sagte Thomas Engelke, Energieexperte bei der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV): „Milliardengeschenke für die Netzbetreiber sind fehl am Platz. Schon jetzt zahlen Verbraucher in Deutschland die höchsten Strompreise in Europa und auch die Gaspreise steigen aktuell stark an. Die Bundesnetzagentur müsste darauf hinwirken, dass Verbraucher bestmöglich entlastet werden. Stattdessen will sie die Eigenkapitalzinsen für Netzbetreiber unnötig hoch ansetzen“. In der aktuellen Niedrigzinsphase seien Eigenkapitalzinssätze von 4,59 Prozent für Unternehmen nicht zu vermitteln. „Niedrigzinsen sollten auch für Netzbetreiber gelten.“ Die Verbraucherschützer argumentieren auch, ein hoher staatlicher Garantiezins sei gar nicht nötig, weil Investitionen in Netze in den nächsten Jahren ohnehin renditesichere Anlagen seien.

„Es muss einiges anders laufen“

Im September machte dann eine neue Zahl die Runde, ein EK1-Zinssatz von 5,07 Prozent, den die Netzagentur vorgeschlagen haben soll. Die Bonner bestätigten das nicht, dementierten aber auch nicht. Für Eon-Chef Leonhard Birnbaum war das ohnehin zu wenig. Bei jenem Kongress des Branchenverbands Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BdEW) Mitte September im Hotel Estrel sagte Birnbaum: „Es gibt gar keinen Grund, aufgrund des revidierten Angebots der Bundesnetzagentur in Jubelstürme auszubrechen. Die 5,07 Prozent sind immer noch indiskutabel. Punkt.“

Und Birnbaum griff die Agentur frontal an. „Die Studien, die herangezogen werden von der Bundesnetzagentur, um den unternehmerischen Wagniszuschlag zu begründen, die gehen immer an die allerunterste Grenze, die man überhaupt noch irgendwie ableiten kann. Klammer auf: Grundsätzlich legt sich die Bundesnetzagentur an die untere Grenze dessen, was für uns attraktiv ist. Nicht nur beim Eigenkapitalzins. In der Fernwärme haben wir das. In der Anreizregulierung haben wir das. Und deswegen glaube ich, wir müssen mal darüber sprechen, dass die Bundesnetzagentur nicht nur eine Verbraucherschutzagentur ist, sondern auch eine Agentur, die die Energiewende ermöglichen soll. Und dazu muss dann einiges anders laufen.“

Über die Rolle der Bundesnetzagentur bei der Bestimmung der Entgelte ist zuletzt ohnehin viel diskutiert worden. Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) hatte einer Klage der EU-Kommission gegen die Umsetzung der für Strom- und Gasmarkt relevanten EU-Richtlinien in Deutschland stattgegeben. Im Kern geht es dabei um die Entflechtung zwischen Netzbetreibern und Stromversorgern, aber auch um die Unabhängigkeit der Netzagentur bei der Festlegung der Strom- und Gaspreise. Die Bundesnetzagentur ist eine dem Bundeswirtschaftsministerium nachgeordnete Behörde und demnach auch an entsprechende politische Verordnungen gebunden, die hier auf die Preise einwirken können. Hier haben die Richter eine größere Unabhängigkeit der Bundesnetzagentur gefordert, um den europäischen Vorgaben zu entsprechen.

Fest steht: Es sind die Bonner, die in Zukunft noch mehr für die Wünsche der Netzbetreiber zuständig sein werden.

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