
Frank Mastiaux, seit knapp über 100 Tagen Chef des baden-württembergischen Stromversorgers EnBW, gab sich vorige Woche am Konzernsitz in Karlsruhe als weitsichtiger Stratege: „Schnellschüsse wird es bei uns nicht geben.“
Der 49-Jährige hat 15 Experten benannt, die eine neue Strategie ausarbeiten sollen – Manager „mit Biss und Birne“, wie Mastiaux sagt. Mit Birne, weil es viel Hirnschmalz braucht, um dem atomlastigen Riesen eine Zukunft zu eröffnen. Und mit Biss, weil Mastiaux jede Beteiligung und jedes Kraftwerk gnadenlos auf Wirtschaftlichkeit prüfen muss.
E.On nach 20 Monaten Energiewende
E.On hat seinen Umsatz zwischen 2010 und 2012 von 93 Milliarden Euro auf 118 Milliarden Euro gesteigert.
Beim Konzernüberschuss (Fehlbetrag) musste E.On 2011 ein Minus von 1,8 Milliarden Euro ausweisen, 2012 steht hier wieder ein Plus von 2,6 Milliarden Euro.
Der nachhaltige Konzernüberschuss (bereinigt um außergewöhnliche Effekte) lag 2010 noch bei 4,8 Milliarden Euro, brach 2011 auf 2,5 Milliarden ein und stabilisierte sich 2012 wieder bei 4,2 Milliarden.
Der Gewinn vor Steuern, Zinsen, Abschreibungen (Ebitda) nahm von 13,3 Milliarden Euro im Jahr 2010 auf 10,8 Milliarden im Jahr 2012 ab. 2011 war er auf 9,3 Milliarden abgesackt.
Der Wert sank von 37,7 im Jahr 2010 auf 36 im Jahr 2012.
E.On hat bereits Kraftwerke abgeschaltet, die einem Anteil von 15 Prozent an seiner Gesamtstromkapazität entsprechen. Weitere 26 Prozent stehen noch aus.
Der Gasanteil lag 2012 bei 35 Prozent und damit auf dem selben Wert wie 2010. 2011 lag er mit 38 Prozent zwischenzeitlich etwas höher.
Steinkohle hat für E.On an Bedeutung gewonnen. Der Anteil stieg von 23 Prozent in den Jahren 2010 und 2011 auf 26 Prozent im Jahr 2012.
Braunkohle-Kraftwerke spielen bei E.On mit einem Anteil von fünf bis sechs Prozent in den vergangenen drei Jahren eine untergeordnete Rolle.
Die erneuerbare Energie hat E.On von 11 Prozent auf 12 Prozent im Jahr 2012 leicht ausgebaut.
Der Anteil der Windkraft stieg dabei von drei auf vier Prozent zwischen 2010 und 2012.
Der Wert des Konzerns fiel beträchtlich. Waren es 2010 noch 45,8 Milliarden Euro, wird E.On 2012 nur noch mit 28,2 Milliarden Euro bewertet.
Der Börsenwert ist dramatisch eingebrochen. Die Gewinne können nur durch Beteiligungsverkäufe gehalten werden.
Es sieht düster aus für die großen vier der deutschen Energiebranche, speziell auch für die Nummer drei EnBW. 13.400 Megawatt Strom kann der Energiekonzern derzeit erzeugen, genügend, um zwölf Städte der Größe Stuttgarts mit Energie zu versorgen. Aber Geld verdient der Riese im Eigentum des grün-rot regierten Baden-Württembergs und mehrerer oberschwäbischer Kommunen keines.
Hohe Rohstoffpreise und der Vorrang der erneuerbaren Energien bei der Stromeinspeisung ins Netz machen die Gas- und Kohlekraftwerke zum Minusgeschäft. Seitdem EnBW vor fast zwei Jahren zwei seiner vier Atomkraftwerke abschalten musste, drehten die Zahlen ins Minus. Nach einem Verlust von 867 Millionen Euro 2011 dürfte auch die Bilanz 2012, die Mastiaux im März vorlegen will, nicht rosig ausfallen.
Ob EnBW oder RWE, Branchenprimus E.On oder die Nummer vier hierzulande, Vattenfall: Der mittelfristige Ausstieg aus der Atomkraft, obwohl erst für 2022 terminiert, hat zusammen mit dem rasanten, hoch subventionierten Ausbau der Solar- und Windenergie die Geschäftsmodelle zerbröselt und die Konzerne geschwächt.





„Wir haben eine Bilanz, die sich mit dem Haushalt von Spanien oder Italien vergleichen lässt“, sagt ein hochrangiger Manager eines der vier Konzerne. Anstelle von Aufbruch hat die Energiewende den großen vier Energiekonzernen den Abbruch beschert – und sie in eine weitgehend ungelöste Sinnkrise gestürzt. „Mastiaux will Zeit, denn die Ratlosigkeit ist groß“, sagt ein Brancheninsider. Im Sommer, hofft der neue Konzernchef, mit dem Aufsichtsrat zumindest eine neue Strategie diskutieren zu können.
Ohne Rücksicht
„Wir haben zu stark in Megawatt und Kilometern gedacht, jetzt müssen wir uns an Watt und Meter gewöhnen“, resümiert Mastiaux bitter und stöhnt über die völlig veränderte Geschäftslage. Jeder 60. Deutsche versorgt sich bereits selbst mit Energie und braucht die großen Versorger nicht mehr, Tendenz steigend. Die Haushaltskunden, früher eine träge Masse, wechselten immer häufiger die Stromlieferanten. Waren es früher nur vier Prozent pro Jahr, wählten in der zweiten Hälfte 2012 in der gesamten Branche gut 25 Prozent den Anbieter oder den Stromtarif.