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Stromnetze Keine Angst vor Sonne und Wind

Durch die Leitungen des Stromnetzbetreibers 50Hertz fließt so viel Strom aus erneuerbaren Energien wie nirgends auf der Welt. Selbst das Management ist verblüfft, dass das geht.

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380 kV-Leitung und Windräder, Nachtaufnahme westlich von Berlin an der Autobahn A10. Quelle: Presse

Boris Schucht ist Ingenieur und mit seinem Sinn für das technisch Machbare von Hause aus Realist. Doch manchmal wird auch der Chef des Stromnetzbetreibers 50Hertz von den Gesetzmäßigkeiten der Physik überrascht. 37 Prozent des Stromes, dass das Unternehmen im vergangenen durch seine Leitungen schleuste, stammte aus Sonnen-, Wind- und Biomasseenergie "Vor 15 Jahren", sagt Schucht, "hätte ich einen so hohen Anteil erneuerbarer Energien technisch für unmöglich gehalten, ohne die Versorgungssicherheit zu gefährden." Doch heute weiß er: es geht. Und zwar weitestgehend ohne Probleme.

Was Verbraucher zahlen
Stromverbraucher finden bei der Zusammensetzung des Strompreises einen Posten namens EEG-Umlage. Sie ist seit dem Jahr 2000 im Erneuerbare-Energie-Gesetz (EEG) verankert, um Ökoenergien zu fördern. Quelle: dpa
Derzeit sind 3,59 Cent je Kilowattstunde zu zahlen. Bei einem Verbrauch von 3500 Kilowattstunden pro Jahr sind das für eine Familie Ökoförderkosten von 125 Euro pro Jahr. Gezahlt wird die Differenz zwischen dem Marktpreis, etwa für eine Kilowattstunde Solarstrom, und dem festen Fördersatz. Ein Beispiel: Quelle: dpa
Derzeit bekommt ein Hausbesitzer mit einer Solaranlage auf dem Dach 19,5 Cent pro Kilowattstunde. Wird der Strom an der Strombörse für 7 Cent verkauft, müssen die Verbraucher 12,5 Cent über die EEG-Umlage bezahlen. Quelle: dpa
Die Verwalter des Umlage-Kontos, die Übertragungsnetzbetreiber, berechnen angesichts der Anlagenzahl und Erfahrungswerten beim Wetter die möglichen Förderzahlungen und geben immer zum 15. Oktober eine Umlage für das kommende Jahr an. Verrechnen sie sich, wird das mit der nächsten Umlage korrigiert. Für 2013 werden Steigerungen bei der Umlage vorausgesagt. Quelle: dpa
Diese wären aber nicht primär dem rasant steigenden Anteil erneuerbarer Energien am Strommix (derzeit 20 Prozent) anzulasten. Industrieunternehmen wurden teilweise von Ökoförderkosten befreit, um sie in Deutschland zu halten. Gleiches gilt für Netznutzungskosten. Lasten werden also auf weniger Schultern verteilt. Quelle: dpa
Hinzu kommt eine teure Marktprämie für Besitzer von Wind- und Solarparks, die Strom selbst vermarkten. Und die mögliche Steigerung liegt in der Umlageberechnung begründet. Da immer mehr Solarstrom mittags den Börsenstrompreis senkt, wächst die Differenz zum Fördersatz und damit die Kosten für die Bürger. Der Solarstrom wird so also Opfer des eigenen Erfolges. Quelle: dpa

50Hertz ist mit 10.000 Kilometer Leitungen der viertgrößte Stromnetzbetreiber in Deutschland. Das Unternehmen mit Sitz in Berlin hat etwa Offshore-Projekte in der Ostsee an das Stromnetz angeschlossen. Gleichzeitig überträgt es vor allem Windenergie aus dem Osten und Norden. Nirgends auf der Welt gebe es Regionen mit einem vergleichbar hohen Anteil regenerativer Energien im Netz. "Es gibt viele Länder auf der Welt, die sich das bei uns ansehen", sagte Schucht auf der Bilanzpressekonferenz seines Unternehmens in Berlin. Die Steuerung sei nicht einfach, aber machbar. Das Netz arbeite stabil. Zwar mussten seine Mitarbeiter im vergangenen Jahr 140 Mal in das Netz eingreifen, damit überschüssige Energie aus Sonne, Wind und Biomasse nicht zu Blackouts führten. Das entspricht einer Steigerung von mehr als 30 Prozent. In den Jahren 2009 und 2010 musste 50Hertz sogar weniger als 20 Mal eingreifen. Doch die Entwicklung sei "keineswegs besorgniserregend", so Schucht. "Die Kappung der Lastspitzen befindet sich in einem volkswirtschaftlich akzeptablem Rahmen."

Dennoch warnt der Energiemanager vor einem zu schnellen Ausbau der erneuerbaren Energien. Steigt der Anteil von Sonne, Wind und Biomasse weiter wir bisher, sei in den kommenden Jahren die Hilfe von Stromspeichern notwendig. Derzeit fehlen sie noch.

Zudem habe es 2013 zumindest einen "dramatischen Prognosefehler" gegeben, der das Netz offenbar an den Rand eines Stromausfalls führte. Im April vergangenen Jahres wurden für drei Tage Sonne vorhergesagt und damit eine hohe Produktion von Sonnenstrom. Doch wegen zähem Hochnebel verschätzten sich die Experten um ein Volumen von 8800 Megawatt. Während am Mittwoch und Donnerstag der fehlende Strom aus anderen Regionen Deutschlands hergeholt werden konnte, brauchte 50Hertz am Freitag 1100 Megawatt Strom aus Polen. "Das europäische System hat uns gerettet", sagt Schucht. Künftig ließen sich solche Störfälle losen, wenn man Wetterprognose und Technik verbessern würde.

Schucht begrüßt daher das Vorgehen der Bundesregierung, das Tempo beim Ausbau der regenerativen Energien zu drosseln. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel habe alle wichtigen Aufgabe adressiert.

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