WirtschaftsWoche: Herr Hartman, Sie kommen gerade von einer Sitzung mit Wirtschaftsminister Philipp Rösler, in der Sie über das Management der Energiewende gesprochen haben. Läuft diese Abkoppelung von der Atomkraft in Ihrem Sinn?
Hartman: Beim Thema Offshore kann man das leider nicht sagen. Wir haben einen dramatischen Engpass in den Anschlüssen. Zurzeit gibt es einen wahren Boom an Anträgen für Windparks, besonders in der Nordsee. Jedes Energieunternehmen will einen Windpark weit draußen bauen, wo der Wind besonders stark weht und wo eine besonders hohe Stromausbeute möglich ist. Aber diese Flut können wir nicht mehr allein bewältigen. Man verlangt praktisch Unmögliches von uns.
Vor allen Dingen gibt es wohl doch ganz handfeste Probleme, Offshore-Windanlagen an Land anzuschließen...
...ja genau, die Technologie ist neu, und wir leisten Pionierarbeit, obwohl wir vieles bereits gelöst haben und technisch sehr gut vorbereitet sind. So nutzen wir als Erster weltweit die Gleichstromtechnik, um Offshore-Windparks über weite Entfernungen anzubinden.
Das müssen Sie erklären.
Wir haben riesige Konverterstationen auf See, die den von den Windmühlen erzeugten Wechselstrom in Gleichstrom umwandeln. Wir verlegen Gleichstromkabel in den Seeboden, oft in einer Meerestiefe von 30 oder 40 Metern, die den Strom oft über mehr als 100 Kilometer an Land zur nächsten Konverterstation bringen. Dort wird er dann wieder in Wechselstrom umgewandelt und in unser Netz eingespeist. Das alles ist sehr komplex und technologisch herausfordernd.
Was helfen die Ihnen, wenn Sie keine Kabel haben, die in der Lage sind, über lange Distanzen von 80 Kilometern und mehr den Strom an den Strand zu leiten?
Material, Produktionskapazitäten, enge Zeitfenster für die Arbeiten auf See, das sind unsere Probleme. Und bei solchen Großprojekten braucht man eigentlich Testphasen, aus denen man für die nächsten Projekte lernt. Diese Zeit haben wir einfach nicht. Wir müssen mit den Projekten sofort anfangen, ohne Lernkurve, um die ehrgeizigen Ziele des Wirtschafts- und des Umweltministers in die Tat umzusetzen. In zehn Jahren sollen Offshore-Windanlagen mit einer Kapazität von 13 Gigawatt entstehen und angeschlossen werden. Das ist die Stromleistung von 13 mittleren Atomkraftwerken, für deren Bau Deutschland 20, 30 Jahre gebraucht hat.
Wie wollen Sie das schaffen?
Mit den richtigen Rahmenbedingungen, für die die Politik sorgen muss. Nötig sind ein langfristig angelegter Offshore-Plan, die schnelle Klärung der offenen Haftungsfrage und eine Lösung dafür, wie die zukünftig nötigen, milliardenschweren Investitionen auf mehrere Schultern verteilt werden.
Welche Projekte planen Sie?
Unser Gebiet ist die Nordsee. Da sollen nach den Vorstellungen der Bundesregierung in den kommenden zehn Jahren Windparks entstehen, die elf Gigawatt Strom erzeugen; in der Ostsee sollen Windparks zwei Gigawatt Strom liefern. Wir haben bereits neun Netzanbindungsprojekte in der Nordsee, die knapp die Hälfte des hier geplanten Stroms erzeugen werden.
Haben Sie sich finanziell überschätzt, als Sie 2009 das Stromnetz von E.On übernommen haben? Damals konnten Sie ja die hohen Anforderungen der Energiewende noch nicht voraussehen.
Nein, wir haben uns nicht verschätzt, und uns geht finanziell nicht die Puste aus. Im Gegenteil: Für die laufenden Projekte haben wir bereits 5,5 Milliarden Euro ausgelöst. Kein anderer investiert so viel in die Energiewende wie wir. Mehr kann man von uns, von einem einzelnen Unternehmen nicht verlangen.
...für die anstehenden Netzinvestitionen scheint das aber bei Weitem nicht genug zu sein.
Wir sind ja auch nur ein einziges Netz-Unternehmen. Was die Offshore-Anbindungen am Ende kosten werden, 10, 20 oder 40 Milliarden Euro, weiß niemand ganz genau. Wir gehen von mindestens 15 Milliarden Euro aus. Das können wir natürlich nicht alleine stemmen, da müssen andere mittun.
Ein langfristiger Plan muss her
Was fordern Sie von der Politik?
Die Anforderungen an die Netzbetreiber sind viel zu groß, und es geht vieles durcheinander. Wir benötigen einen langfristigen Plan, wann was wo gebaut werden soll. Was die Bundesnetzagentur für die benötigten Stromleitungen an Land vorlegen will, brauchen wir auch für Offshore, und beides muss miteinander verzahnt sein. Unter einem wahren Tsunami von Bau- und Projektanfragen droht die gesamte Branche durcheinanderzugeraten. Außerdem haben wir ja noch das Problem der Weiterleitung des Offshore-Stroms ins Innere des Landes.
Das Ganze hört sich an, als ob Sie in der Bundesregierung einen chaotischen Verhandlungspartner haben. Gibt es noch andere offene Fragen?
Neben einem langfristigen Offshore-Plan geht es uns vor allem um Haftungs- und Kapitalfragen. Es ist heute völlig offen, wer dafür haftet, wenn zum Beispiel Windparks zwar schon fertig, die Anschlüsse aufgrund fehlender Planungen aber noch nicht da sind. Das muss von der Bundesregierung dringend geklärt werden, sonst stocken die Investitionen.
Sie rufen auch nach Partnern, welche könnten Sie sich vorstellen?
Das könnte zum Beispiel die Kreditanstalt für Wiederaufbau KfW sein...
...nach Subventionen der staatlichen Bank wird ja häufig gerufen...
Wirtschaftsminister Rösler hat gesagt, er wolle eine richtige Risikobalance finden zwischen Windpark- und Netzbetreibern. Und wir fordern das auch, weil wir nicht jedes beliebige Risiko tragen können. Es ist gut, dass eine entsprechende Regelung im Sommer kommen soll.
Wollen Sie auch Partner ins Boot holen?
Ohne die geht es nicht. Der Netzausbau und die damit verbundene Energiewende ist das größte Projekt seit der Wiedervereinigung. Das gilt ganz besonders für die Anbindung der Offshore-Windparks. Das können wir nur in einem Verbund stemmen.
Was stellen Sie sich konkret vor?
Das ist noch in der Diskussion.
Aber ein bisschen können Sie uns doch in Ihren Wunschkatalog blicken lassen.
Eine Möglichkeit ist, eine separate Gesellschaft für Offshore und Gleichstrom zu gründen, in der Partner zusammen arbeiten. Wir möchten das gern mit anderen Übertragungsnetzbetreibern machen, aber es sind auch andere Beteiligte denkbar, zum Beispiel Finanzinvestoren oder auch die KfW. Diese Gesellschaft hätte dann auch die gesetzliche Verpflichtung, die Netze zu bauen. In dieser Gesellschaft könnten wir einen großen Anteil übernehmen. Aber an einer Mehrheit sind wir nicht notwendigerweise interessiert.