Am späten Dienstagnachmittag war es immerhin schon halboffiziell. Um 16.16 Uhr veröffentlicht der angeschlagene Düsseldorfer Gas-Importeur Uniper eine Ad-Hoc-Meldung, die nichts anderes bedeutet, als dass der Bund, Berlin, jetzt die Mehrheit an dem Unternehmen übernehmen will. Und dass der bisherige Mehrheitseigner, der finnische Konzern Fortum, selbst überwiegend im Besitz des finnischen Staats, damit am Ende raus ist.
Am frühen Mittwochmorgen folgte die Bestätigung durch Fortum. Nach Abschluss einer Kapitalerhöhung und dem Erwerb der Uniper-Anteile von Fortum werde der Bund circa 98,5 Prozent der Anteile an Uniper besitzen, teilte der bisherige Mehrheitsaktionär mit. Man habe dazu eine Grundsatzvereinbarung mit dem Bund erzielt. Danach plane der Bund eine Kapitalerhöhung bei Uniper in Höhe von acht Milliarden Euro zum Preis von 1,70 Euro je Aktie.
Einfach too big
Mit der Entscheidung schafft die Bundesregierung zu einem historisch hohen Preis Klarheit im Umgang mit dem wichtigsten deutschen Gas-Importeur: Uniper war und ist systemkritisch für die Gas-Versorgung in Deutschland – und damit „too big to fail.“ Gleichzeitig ist der Konzern ein Mahnmal für die hemmungslose, über Jahrzehnte gewachsene Abhängigkeit der Deutschen vom russischen Gas.
Laut einer Analyse der Rating-Agentur Standard & Poor’s verkauft Uniper in Deutschland so viel Gas, wie es in etwa dem Verbrauch von 35 bis 40 Prozent der deutschen Haushalte entspricht. 420 der rund 900 deutschen Stadtwerke hängen von Unipers Lieferungen ab. Noch dazu ist Uniper der wichtigste Besitzer und Betreiber von Erdgasspeichern im Land. Insgesamt fassen diese 5,6 Milliarden Kubikmeter, die gesamte deutsche Speicherkapazität liegt bei etwa 22,9 Milliarden Kubikmetern.
Angst vor dem Lehman-Moment
Dass die Regierung alles tun würde, um Uniper zu retten, war schon im Hochsommer klar. Die Rede war und ist immer wieder vom Lehman-Brothers-Moment: Die Pleite der US-Investmentbank hatte vor 14 Jahren eine unvorhergesehene Kettenreaktion ausgelöst und das Weltfinanzsystem an den Rand des Zusammenbruchs geführt. Die Lehre der Politik daraus: Es muss alles getan werden, damit nicht alles zusammenbricht.
Am 22. Juli hatte die Bundesregierung nach einem dramatischen Appell von Uniper-Chef Klaus-Dieter Maubach ein erstes Rettungspaket beschlossen, das KfW-Kredite, eine Pflichtwandelanleihe und eine Kapitalerhöhung vorsah, dazu die Übernahme von 30 Prozent der Aktien durch den Bund. Alles in allem hatte das Paket ein Volumen von 15 Milliarden Euro. Fortum, jener Konzern, der Uniper in den vergangenen Jahren nach und nach von E.On übernommen hatte, sollte jedoch Mehrheitseigner bleiben. Abhängig war die Umsetzung von der Zustimmung einer außerordentlichen Hauptversammlung, die für Ende Oktober geplant, aber noch nicht terminiert war.
Die Energiespar-Vorgaben der Bundesregierung
- Durchgangsbereiche wie Flure, Foyers oder Technikräume werden nicht mehr geheizt – außer, es gibt dafür sicherheitstechnische Gründe.
- Öffentliche Gebäude werden nur noch bis höchstens 19 Grad geheizt - bei körperlich leichter und überwiegend sitzender Tätigkeit. Bisher lag die empfohlene Mindesttemperatur laut Ministerium bei 20 Grad. Für Arbeitsräume, in denen Menschen leichte Tätigkeiten „überwiegend im Stehen oder Gehen” oder mittelschwere und überwiegend sitzende Tätigkeiten verrichten, gilt eine Obergrenze von 18 Grad. Für mittelschwere Tätigkeiten überwiegend im Stehen oder Gehen sind es 16 Grad und für körperlich schwere Tätigkeiten 12 Grad. Für Kliniken, Pflegeeinrichtungen oder andere soziale Einrichtungen gilt die neue Regelung nicht.
- Boiler und Durchlauferhitzer dürfen nicht mehr für die Warmwasserbereitung am Waschbecken genutzt werden – es sei denn, das ist aus hygienischen Gründen vorgeschrieben.
- Die Beleuchtung von Gebäuden und Denkmälern aus rein ästhetischen oder repräsentativen Gründen wird ausgeschaltet. Ausgenommen sind kurzzeitige Beleuchtungen bei Kulturveranstaltungen und Volksfesten.
- Die Verordnung schreibt nicht vor, dass zum Beispiel in Büros die Raumtemperaturen verringert werden müssen – es werde aber ermöglicht, dass Arbeitgeber auch im gewerblichen Bereich rechtssicher weniger heizen dürfen und Gelegenheit haben, dem Beispiel der öffentlichen Hand zu folgen. Dies sei Grundlage für Selbstverpflichtungen von Betrieben und betrieblichen Vereinbarungen zur Energieeinsparung.
- Klauseln in Mietverträgen, die eine bestimmte Mindesttemperatur vorsehen, werden vorübergehend ausgesetzt.
- Private Pools, ob drinnen oder draußen, dürfen nicht mehr mit Gas und Strom geheizt werden.
- Gasversorger und Besitzer größerer Wohngebäude müssen ihre Kunden beziehungsweise Mieter frühzeitig informieren – über den erwarteten Energieverbrauch, dessen Kosten und Einsparmöglichkeiten. Das soll spätestens zum Beginn der Heizsaison passieren.
- Leuchtreklame und Werbetafeln werden von 22.00 Uhr abends bis 16.00 Uhr am Folgetag ausgeschaltet – wenn dies nicht zur Verkehrssicherheit nötig ist wie etwa an Bahnunterführungen. Der Gedanke dahinter: Weil es tagsüber ohnehin hell ist, soll die Beleuchtung erst am Nachmittag wieder für sechs Stunden eingeschaltet werden dürfen.
- Ladentüren oder sonstige „Eingangssysteme” zu beheizten Geschäftsräumen im Einzelhandel dürfen nicht mehr dauerhaft offen stehen – außer das ist für das Offenhalten eines Fluchtwegs erforderlich.
Hätte, hätte … aber es hat nicht gereicht.
Das alles hätte wohl auch gut gehen können, wenn Wladimir Putin nicht Ende August die Lieferungen über die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 dauerhaft eingestellt hätte. Dadurch schossen Unipers tägliche Verluste in einen dreistelligen Millionenbereich. Das Geld verbrannte regelrecht – und zwar so schnell, dass es der Konzern ohne weitere Hilfen nicht einmal bis zu dem Topf mit der Gas-Umlage geschafft hätte, der ursprünglich ab Oktober zur Verfügung stehen sollte. Von den 34 Milliarden Euro, die über die Umlage eingesammelt werden, sollte Uniper rund zwei Drittel erhalten.
Aber bis dahin war der Weg zu lang. Erst vor wenigen Tagen hat Uniper deshalb um einen weiteren Kredit der staatlichen Förderbank KfW in Höhe von vier Milliarden Euro gebeten.
Ergibt die Gas-Umlage dann noch Sinn?
Wegen all dem ist der Druck auf die Bundesregierung stetig gestiegen, mehrheitlich bei Uniper einzusteigen. Betriebsräte und die Gewerkschaften Verdi und IG BCE haben an Berlin appelliert, das Geschäft führend zu übernehmen. Mit Fortum waren sie sich nie eins, sie fürchteten eine Zerschlagung. In Helsinki dagegen wuchs der Ärger über das deutsche Unternehmen, das sich in ein Fass ohne Boden verwandelt zu haben schien.
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Auf Robert Habeck, dem Wirtschafts- und Klimaminister, lastete zunehmend eine sehr spezielle Fragestellung: Was soll das eigentlich mit der Gasumlage, mit der Belastung von Verbrauchern, wenn ihr, also der Bund, Uniper ohnehin übernehmt, wenn ihr die Treuhandschaft für die Sefe, die frühere Gazprom Germania, habt – und auch die EnBW-Tochter VNG Staatshilfe beantragt hat? Mit der Uniper-Übernahme geraten Sinn und Zweck der Gas-Umlage jedenfalls immer mehr in Zweifel.
Und dennoch gab es gute Gründe für das Zögern der Bundesregierung. Denn, anders als bei der Lufthansa, bei der der Staat zu Beginn der Coronapandemie ein- und kürzlich mit Gewinn wieder komplett ausstieg, ist bei Uniper unklar, ob das Unternehmen überhaupt eine Zukunft hat: „Das Geschäftsmodell ist tot“, sagt ein Insider.
Dabei ist Uniper derzeit auch der größte LNG-Importeur des Landes und am Aufbau des schwimmenden LNG-Terminals beteiligt. Gerne gibt sich der Konzern einen grünen Anstrich, mit einer Zukunft voller Wasserstoff oder etwas Ammoniak. Es wird jedenfalls nicht einfach, dem Unternehmen und seinen mehr als 11.200 Mitarbeitern in mehr als 40 Ländern eine Perspektive zu geben, selbst wenn Harald Seegatz, der Chef des Uniper-Konzernbetriebsrats, der „Rheinischen Post“ am Dienstag sagte: „Wir brauchen den Staat als Hauptaktionär, um jetzt die Gaskrise zu überstehen und auf Dauer die Energiewende zu meistern“. Er, sagte Seegatz, rechne damit, dass der Staat lange beteiligt bleiben werde: „Der Staat wird dabei längerfristig bei Uniper gefordert sein, denn der Umstieg Deutschlands von Erdgas auf Wasserstoff wird ein paar Jahre dauern, und den soll und will Uniper maßgeblich mitgestalten.“
Ernst der Lage erkannt, zweifellos
Am Mittwoch könnte der Beschluss, Uniper zu übernehmen, dann auch offiziell vonseiten der Bundesregierung verkündet werden. Wird der Plan umgesetzt, rutscht die Regierung in die Rolle eines Managers, gegen die sich vor allem Kanzler Olaf Scholz lange gesträubt hatte. Aber es geht nicht anders. Anfang Juli, noch vor dem Beschluss über das erste Rettungspaket, hatte Uniper-Chef Klaus-Dieter Maubach bei einer Pressekonferenz gesagt: „Es besteht für uns kein Zweifel: Die Bundesregierung ist sich ihrer großen Verantwortung bewusst. Sie hat den Ernst und die Dringlichkeit der Lage erkannt.“ Das gilt jetzt mehr denn je. Nur wozu diese Erkenntnis mittelfristig führt, das liegt noch sehr im Nebel.
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