Urenco ist mit einem Marktanteil von 30 Prozent hinter dem russischen Konkurrenten Tenex das zweitgrößte Unternehmen der Welt, das Brennelemente für Atomkraftwerke herstellt. Der britische und der niederländische Staat, denen je ein Drittel der Anteile gehört, wollen aussteigen – ebenso die beiden deutschen Energiekonzerne E.On und RWE, die je ein Sechstel der Anteile besitzen. Kritiker befürchten, dass durch den Verkauf der staatlichen Anteile an private Investoren Terroristen oder Schurkenstaaten leichter an hoch angereichertes Uran und damit an den Schlüssel zum Bau der Atombombe erhalten könnten.
Das Unternehmen mit Sitz im britischen Stoke Poges betreibt vier Anlagen, die natürliches Uran so weit mit seinen eigenen radioaktiven Bestandteilen anreichern, dass daraus spaltbares Uran entsteht: im westfälischen Gronau, im britischen Capenhurst, im niederländischen Almelo und in Eunice im US-Bundesstaat New Mexico. Die beiden wichtigsten Konkurrenten neben Marktführer Tenex sind der französische Staatsriese Areva und der US-Konzern USEC.
Der Wert von Urenco wird auf zehn Milliarden Euro geschätzt. Dem Vernehmen nach wurden potenzielle Bieter aufgefordert, bis Ende 2014 ihr Interesse anzumelden. Über das Ergebnis sowie den Verkaufsprozess wahren alle Beteiligten größtes Stillschweigen.
BND prüft potenzielle Käufer
Die Bundesregierung hat auf eine Kleine Anfrage der Fraktion „Die Linke“ bestätigt, dass es einen „Markttest“ zum geplanten Verkauf der Uranfabriken von Urenco gegeben habe. Allerdings habe sie „keine unmittelbaren Kenntnisse zu dessen Details“. Zu Kaufinteressenten dürften der kanadische Minenbetreiber und Uranreicherer Vameco sowie private Investorengesellschaften gehören. Auch ein Börsengang gilt nach Angaben der Bundesregierung als möglich.
Nach Auskunft des Staatssekretärs im Bundeswirtschaftsministerium Rainer Baake sind Bundesnachrichtendienst und Verfassungsschutz mit Blick auf möglicherweise vorliegende Erkenntnisse über potenzielle Anteilserwerber an den Sondierungen zum Verkauf beteiligt.
Urenco wurde 1970 von Deutschland, den Niederlanden und Großbritannien gegründet. In dem Vertrag erklären die Staaten, dass Urenco kein hoch angereichertes atomwaffenfähiges Uran herstellen darf und dabei von einem Gemeinsamen Ausschuss der drei Regierungen überwacht wird. Die Bundesregierung will ihren Sitz in dem Gremium auch nach einem Verkauf behalten.
Wirtschaftlich ist das Unternehmen eine Goldgrube: Urenco steigerte 2014 den Umsatz gegenüber dem Vorjahr um 6,4 Prozent auf 1,6 Milliarden Euro und den Nettogewinn um 20 Prozent auf 404,5 Millionen Euro. Vor Abzug von Steuern, Abschreibungen und Zinsen (Ebitda) blieben sagenhafte 1,07 Milliarden Euro Gewinn übrig, fast elf Prozent mehr als 2013. Der Auftragsbestand beträgt 16 Milliarden Euro und reicht damit laut Urenco-Angaben über das Jahr 2025 hinaus. Derzeit beliefert Urenco 50 Kunden in 19 verschiedenen Ländern und hat einen Marktanteil von weltweit rund 30 Prozent.
Zur Person
Helmut Engelbrecht hat in der Energiebranche Karriere gemacht. Bei Preussen Elektro stieg der studierte Ingenieur und Nukleartechniker 1998 zum Entwicklungschef auf. Im Jahr 2000 wurde er Direktor bei E.On Benelux, bevor er 2003 als "Strategic Delevopment Director" zu Urenco wechselte. Seit 2005 leitet er die Geschäfte von Urenco.
Herr Engelbrecht, ursprünglich sollte Urenco vor den Wahlen in Großbritannien privatisiert werden. Wie groß sind die Chancen, dass es nach der Wiederwahl der Konservativen in diesem Jahr noch dazu kommt?
Der Verkaufsprozess wird nach wie vor von allen Eignern gewünscht, also von der britischen und der niederländischen Regierung sowie von den deutschen Energiekonzernen RWE und E.On. Mehr kann ich dazu nicht sagen.
In Deutschland gibt es große Bedenken gegen den Verkauf von Urenco, weil dadurch Unbefugte an den Stoff kommen könnten, aus dem man Atombomben baut.
Ich halte die Bedenken der Gegner für politisch motiviert und aus unternehmerischer Sicht für nicht begründet.
Untergräbt der Ausstieg des Staates nicht die Aufsicht durch die internationale Atomenergiebehörde und das Verbot der Weiterverbreitung der Atomwaffentechnologie?
Der Vertrag von Almelo, den 1970 die deutsche, britische und niederländische Regierung unterschrieben haben, legt fest, dass alle drei sich im Hinblick auf die Sicherheit und die Non-Proliferation, also die Nicht-Weitergabe von Technologie, um das Geschäft von Urenco kümmern müssen. Das alles wird auch in Zukunft so bleiben.
"Regierungen haben keinen Einfluss auf Geschäfte"
Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat in einem Schreiben erklärt, dass er den neuen Eigentümern von Urenco nicht nur strategische und finanzielle Vorgaben machen, sondern auch in Firmenentscheidungen eingreifen und notfalls Vorstände entlassen können will. Insgesamt will er 13 Vorgaben machen. Ist damit die Privatisierung nicht tot?
Ich habe den Brief von Minister Gabriel gelesen und es gibt andere Briefe im Umfeld der niederländischen Regierung, die ähnliche Überlegungen äußern. Ich möchte das nicht kommentieren.
Die lange Suche nach einem Atommüllendlager
Am 11. November 1976 bringt der niedersächsische Wirtschafts- und Finanzminister Walther Leisler Kiep (CDU) laut eigenen Aufzeichnungen Gorleben ins Spiel. Zuvor waren die Salzstöcke Wahn, Lutterloh und Lichtenhorst (alle Niedersachsen) favorisiert worden.
Die niedersächsische Landesregierung unter Ernst Albrecht (CDU) beschließt, in Gorleben an der Grenze zur damaligen DDR ein nukleares Entsorgungszentrum zu gründen. Ein transparentes Auswahlverfahren fehlt - die Hoffnung ist auch, dass der arme Kreis Lüchow-Dannenberg durch Investitionen der Atomindustrie einen Aufschwung erfährt.
Tiefbohrungen beginnen, um den Salzstock auf seine Eignung als Atommüllendlager zu erkunden.
Die Bauarbeiten für das oberirdische Zwischenlager Gorleben starten. Es liegt nur einige hundert Meter entfernt vom Salzstock.
Die Erkundung des Salzstocks unter Tage beginnt. SPD und Grüne werfen der Regierung von CDU-Kanzler Helmut Kohl vor, politischen Einfluss bei der Durchsetzung von Gorleben genommen zu haben. 2010 wird dazu ein Bundestags-Untersuchungsausschuss eingerichtet.
Von massiven Protesten begleitet, trifft im oberirdischen Zwischenlager der erste Castor-Behälter mit Atommüll ein.
Nach dem Regierungswechsel richtet Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) den Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte (AK End) ein. Er soll Ideen für ein neues Suchverfahren entwickeln.
Im Atomkonsens vereinbart die rot-grüne Bundesregierung mit den Stromversorgern den Ausstieg aus der Kernenergie. Die Erkundung in Gorleben wird bis spätestens 2010 ausgesetzt.
Trittin legt einen Entwurf für ein Standortauswahlgesetz vor: In einem bundesweiten Verfahren sollen neben Gorleben auch andere Standorte untersucht werden. Die Neuwahl lässt den Plan scheitern.
Nach der Wahl vereinbart die große Koalition, das Problem „zügig und ergebnisorientiert“ zu lösen. Während die Union an Gorleben festhält, fordert Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) ein neues Auswahlverfahren. Es gibt keinen Fortschritt.
Norbert Röttgen (CDU), Bundesumweltminister in der seit 2009 amtierenden schwarz-gelben Bundesregierung, teilt die Aufhebung des Erkundungsstopps mit. Gorleben habe weiter „oberste Priorität“.
Am 30. Juni 2011 beschließt der Bundestag den Atomausstieg bis 2022. Über Gorleben hinaus sollen andere Endlager-Optionen geprüft werden. Bayern und Baden-Württemberg zeigen sich offen für eine neue Suche.
Bei zwei Spitzentreffen von Bund und Ländern gibt es Fortschritte. Eine Einigung scheint zum Greifen nahe.
Die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen wird für den CDU-Spitzenkandidaten Röttgen zum Debakel. Er wird von Kanzlerin Angela Merkel entlassen. Nachfolger wird Peter Altmaier (CDU).
SPD und Grüne werfen Altmaier vor, eine Lösung zu verzögern - aber beide Parteien lähmen selbst den Prozess, weil sie uneinig sind, was den künftigen Umgang mit Gorleben betrifft.
Am 27. September 2012 weist Merkel vor dem Gorleben-Untersuchungsausschuss Vorwürfe zurück, sie habe in ihrer Zeit als Umweltministerin in den 1990er Jahren versucht, Gorleben als Endlager durchzudrücken.
Am 20. Januar 2013 gewinnt Rot-Grün die Landtagswahl in Niedersachsen, SPD und Grüne in Hannover wollen ein Aus für Gorleben durchsetzen.
Am 24. März 2013 gelingt Altmaier ein vorläufiger Durchbruch: Bis 2015 soll eine aus 24 Personen bestehende Enquetekommission Grundlagen und Vergleichskriterien für die Suche erarbeiten. Gorleben soll im Topf bleiben - Niedersachsen setzt aber auf ein rasches Ausscheiden. In einem Suchgesetz soll festgelegt werden, dass am Ende zwischen den beiden besten Optionen entschieden wird. Atommülltransporte in das Zwischenlager Gorleben soll es vorerst nicht mehr geben.
Beweist Gabriels Brief nicht, dass die Privatisierung von Urenco für ihn ein beachtliches Sicherheitsrisiko darstellt?
Ich glaube, dass Urenco das Gegenteil ist – denn durch unsere multinationale Zusammenarbeit sind wir ein Modell dafür, wie man global mit derart sensitiven Technologien umgehen sollte. Urenco wird von drei Regierungen kontrolliert sowie von der Europäischen Atomgemeinschaft Euratom- und der Internationalen Atomenergiebehörde überwacht.
Wie stark mischt sich die Politik aktuell in ihre Geschäftsführung ein?
Wir berichten den drei Regierungen zweimal im Jahr, aber sie haben normalerweise keinen Einfluss auf unsere geschäftliche Strategie. Wenn diese aber Elemente enthalten sollte, die im Zusammenhang mit Technologiesicherheit oder der Nicht-Verbreitung Anlass zu Besorgnis geben sollte, dann haben die Regierungen das Recht, sich einzumischen.
Wie oft passiert das?
Wenn wir einen neuen Kunden beliefern wollen, müssen wir vorher mit den Regierungen darüber reden, ob der akzeptabel ist. Alles, was mit angereichtem Uran und mit der Anreicherungstechnologie zu tun hat, ist Gegenstand der Überwachung und der Kontrolle durch die Regierungen.
Wie wirksam die Überwachung ist, zeigte sich in den 1970er Jahren, als der pakistanische Forscher Abdul Kadir Khan das Wissen aus der Tätigkeit bei Urenco genutzt haben soll, um seinem Heimatland den Bau von Atomwaffen zu ermöglichen.
Es ging damals um eine Technologie, die in den späten 1940er und frühen 1950er Jahren in Russland entwickelt wurde. Wie sie funktioniert, ist heute im Internet nachlesbar.
Trotzdem fragt man sich, wie Sie sicherstellen, dass etwas Ähnliches nicht wieder passiert, wenn zum Beispiel ein Finanzinvestor Urenco übernimmt.
Die Urananreicherung ist eine komplexe Technologie, die nicht spontan entwickelt werden kann. Ihre Prinzipien sind zwar weltweit bekannt. Jeder weiß, wie eine Zentrifuge funktioniert, die den Anteil des radioaktiven Urans am natürlichen anreichert. Doch wenn Sie die Technologie zur kommerziellen Reife zu bringen wollen, kostet das erhebliche finanzielle Mittel und viel Zeit...
... was die Weitergabe der Technologie zum Bau der Atombombe aber grundsätzlich nicht verhindert.
Die Sorge ist unbegründet, denn die Verträge von Almelo machen klar, dass diese Technologie nur mit Regierungsgenehmigung anderen zur Verfügung gestellt werden kann.
"Unser Schicksal hängt an der Kernenergie"
Nach dem Atomausstieg gibt es in Deutschland die Forderung, das es hier auch keine Uran-Anreicherung mehr geben soll. Was bedeutet das für Urenco?
Deutschland hat beschlossen, auf die Kernenergie zur Produktion von Strom zu verzichten, aber nicht, aus der Kernenergie auszusteigen. Wir betreiben in Deutschland weiter nukleare Grundlagenforschung und nukleare Entwicklung für medizinische Zwecke. Und wir produzieren weiter Komponenten für die Nutzung der Kernenergie außerhalb Deutschlands. So bauen wir Brennelemente in Lingen im Emsland oder reichern Uran im westfälischen Gronau an.
Wie lange werden Sie ihre Anlage in Gronau noch nutzen können, obwohl Deutschland sich von der Atomenergie verabschiedet?
Gronau ist Anfang 2009 noch mit einer Genehmigung durch eine rot-grüne Bundesregierung und eine rot-grüne Landesregierung ausgebaut worden. Wir werden diese Kapazitäten nutzen, so lange sie uns zur Verfügung stehen. Ich sehe keine rechtliche Grundlage, auf der Gronau gestoppt werden könnte.
Aktuell auf Kritik stößt Ihre neue Lagerhalle für 60.000 Tonnen angereichertes Uran in Gronau. Bleibt es bei der für 2015 geplanten Inbetriebnahme?
Das Lager ist genehmigt, gebaut und hat keinerlei Probleme. Einige interessierte Parteien wollen das aus politischen Gründen zu einem nuklearen Endlager hochstilisieren, aber das ist völlig überzogen. Hier lagern wir jedoch nur Tri-Uran-Oktoxid, das sogenannte U308. Das ist eine Uranverbindung, die man auch in der Natur findet...
... die trotzdem gesundheitsschädlich ist.
Wir haben ihr einen erheblichen Anteil ihrer radioaktiven Komponenten entzogen, bevor wir sie lagern.
Frankreich will den Anteil des Atomstroms reduzieren, Deutschland ist ausgestiegen, in Japan gibt es Streit um die Wiederanschaltung der Meiler. Wie zukunftssicher ist das Geschäft von Urenco angesichts dessen überhaupt noch?
Dass nach dem Unfall von Fukushima immer noch viele japanische Reaktoren nicht in Betrieb sind, ist nicht geschäftsfördernd für Urenco. Unser Schicksal steht und fällt mit der internationalen Nutzung der Kernenergie. Wie das Beispiel Deutschland zeigt, gibt es politische Bedenken. Doch die Prognosen gehen davon aus, dass die Kernenergie weiter stark wächst. Weltweit werden heute mehr als 30 Reaktoren gebaut.
Wo rechnen Sie sich die besten Chancen aus?
Überall wo Kernkraftwerke gebaut werden: etwa in China. Die Ukraine, die bisher ihren Brennstoff fast ausschließlich aus Russland bezog, hat sich jetzt hilfesuchend an westliche Lieferanten gewandt. Hier tun sich neue Möglichkeiten auf.