VKU-Chef Ingbert Liebing „Die Situation wäre für Stadtwerke existenzgefährdend“

Ein Gasspeicher in Kiel-Rönne der Stadtwerke Kiel Quelle: imago images

Ingbert Liebing, Hauptgeschäftsführer des Verbands kommunaler Unternehmen, über die Folgen der Gas-Krise für die Stadtwerke, eine Bedrohung fürs gesellschaftliche Zusammenleben – und Potenziale des Einsparens.

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WirtschaftsWoche: Herr Liebing, Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat die Alarmstufe des Notfallplans Gas ausgerufen. Wie ernst ist die Lage?
Ingbert Liebing: Die Lage ist sehr ernst. Wir haben bei den über 1500 kommunalen Unternehmen im Verband eine komplett andere Stimmungslage als vor gut 14 Tagen. Damals gab es schon Turbulenzen an den Märkten und hohe Gaspreise. Seitdem Russland vor einigen Tagen die Gaslieferungen durch die Pipeline Nord Stream 1 auf 40 Prozent der bisherigen Menge gedrosselt hat, hat sich Lage objektiv verändert und noch einmal verschärft. Wir merken, dass wir uns auf russische Gaslieferungen keinesfalls mehr verlassen können. Gas wird von Putin als Waffe eingesetzt. Das gefährdet die öffentliche Daseinsvorsorge.

Was besorgt die Stadtwerke konkret?
Wir müssen uns bewusst machen: Schon beim jetzigen reduzierten Gasfluss kann es eng werden, die Gasspeicher bis Herbst und Winter wie vorgesehen auf 90 Prozent zu füllen. Und wir wissen ja nicht, ob Russland die Gasmenge nach Europa demnächst noch weiter drosseln wird. In Kürze steht ohnehin die jährliche Sommer-Revision der Pipeline Nord Stream 1 an, die im Regelfall rund zwei Wochen dauert. Ich bin skeptisch, ob die Gasmengen danach wieder auf das alte Maß erhöht werden. Immerhin hat Putin vor ein paar Tagen plakativ erklärt: ‚Wir schaffen eine neue Wirtschaftsordnung.‘ Für uns alle bedeutet das: Im Winter könnte uns das Gas ausgehen

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Wie verhalten sich die Stadtwerke aktuell?
Die Stadtwerke sind in einer schwierigen Sandwichposition. Sie beziehen ihr Gas über Zwischenhändler wie beispielsweise Uniper, VNG und Wingas und haben langfristige Lieferbeziehungen zu ihren gewerblichen und privaten Kunden. Normalerweise kaufen die Stadtwerke ihr Gas rund zwei bis drei Jahre im Voraus ein, weil sie nachhaltig beschaffen. Insofern kommen die enorm gestiegenen Gaspreise bei den Kunden in der Höhe so noch gar nicht an. Wenn Russland seine exportierten Gasmengen nach Deutschland auf Null oder zumindest sehr stark herunterfahren würde, dann müssten die Gasimporteure Gas woanders einkaufen und dies zu stark verteuerten Preisen. Derzeit liegt der Gaspreis bei mehr als 120 Euro pro Megawattstunde – sechs Mal höher als vor einem Jahr. Dies stellt die Stadtwerke vor enorme Herausforderungen. Gleichzeitig müssen sie weiter ihre Lieferverpflichtungen gegenüber den Kunden erfüllen. Dies ist ein wirtschaftlicher Spagat, der die Unternehmen in Liquiditätsnöte bringen kann.

Ingbert Liebing, Hauptgeschäftsführer des Verbands kommunaler Unternehmen Quelle: vku, Chaperon

Was heißt das konkret?
Das gerade erst im Frühjahr in Kraft getretenen Energiesicherungsgesetz, genauer gesagt, eine Klausel, die noch von der Politik aktiviert werden müsste, gibt Versorgern die Möglichkeit, die erhöhten Einkaufspreise an die Kunden weiterzugeben. Faktisch wären dies Kosten für private und gewerbliche Kunden in einer Größenordnung, die viele nicht werden bezahlen können.

Mit welchen Folgen?
Die Stadtwerke haben aktuell eine Rechnungsausfallquote von unter einem Prozent. Sollten die Stadtwerke gezwungen sein, gestiegene Gaspreise weiterzugeben, könnte sich die Zahl – so hören wir von Mitgliedsunternehmen – verzehnfachen. Diese Größenordnung kann das Jahresergebnis schnell um ein Mehrfaches übersteigen. Eine solche Situation wäre für Stadtwerke auf Dauer existenzgefährdend.

Die Bundesregierung hat versprochen, zu helfen. In der Diskussion ist eine steuerfreie Einmalzahlung von 1500 Euro für den Verbraucher. Würde das nicht ausreichen?
Ein Kostenentlastungsprogramm ist wichtig und sicherlich muss es gezielte Unterstützung bei den Verbrauchern geben. Aber wenn der Staat schon Geld in die Hand nimmt, plädieren wir mit kommunalwirtschaftlicher Expertise dafür, schon recht früh in der Wertschöpfungskette – das heißt bei den Gasimporten – anzusetzen, als die immensen Mehrkosten bis zum Endkunden durchzureichen. Der Bund nimmt bereits etliche Milliarden Euro in die Hand, um die Gazprom-Töchter unter Treuhandverwaltung der Bundesregierung zu stützen. Damit können sie zu alten Konditionen liefern. So sollte sie auch vorgehen, wenn die aktuellen Gaspreise voll durchzuschlagen drohen.

Was versprechen Sie sich davon?
So werden gefährliche Zeitverzüge für die Liquidität und Ertragssituation der Unternehmen bei der Umsetzung der Preisweitergabe auf den einzelnen Handels- und Versorgungsstufen von vornherein vermieden, ebenso wie unterschiedliche Belastungen der Händler und Endkunden aufgrund unterschiedlicher Gas-Bezugsquellen. Sollte eine finanzielle Beteiligung der Gasverbraucher notwendig werden, bestünde dabei der Vorteil einer Umlage für alle Gaskunden darin, dass der Staat über die Möglichkeit einer finanziellen Beteiligung dämpfend einzuwirken die Belastungen für die Bürgerinnen und Bürger abfedern und besser zeitlich verteilen kann.



Die Bundesregierung möchte aber, dass die Preissignale bei den Endkunden ankommen, damit die ihr Verhalten ändern. Unternehmen sollen Energie sparen und Verbraucher kürzer duschen. Solche Preissignale sind doch sinnvoll, oder nicht?
Wie gesagt, wir halten Hilfsmaßnahmen, die früher ansetzen, für sinnvoller. Dazu unterstützen wir aktiv die vom Bundeswirtschaftsministerium gestartete Energieeffizienzkampagne, die eindringlich zu ressourcenbewussterem Verhalten motiviert. Fakt ist: Jeder nach seinen Möglichkeiten und jede eingesparte Kilowattstunde Strom, jeder Kubikmeter Gas kann helfen, uns für den nächsten Winter zu wappnen.

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Gestiegene Preise dürften mehr zu einer Verhaltensänderung motivieren als Appelle...
Wenn die hohen Gaspreise aber beim Verbraucher aufschlagen, dann wird die Zahl derjenigen, die ihre Rechnung nicht zahlen können, deutlich steigen. Stadtwerke werden ein Liquiditätsproblem bekommen, obwohl sie im Grunde kerngesunde Unternehmen sind. Dazu sind Stadtwerke oft Grundversorger und elementar für die Versorgungssicherheit in Deutschland. Deshalb sollte der Bundestag als Vorsichtsmaßnahme in der kommenden Woche ein Insolvenzmoratorium wie wir es von Corona her kennen, beschließen. Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht würde den Stadtwerken in einer begrenzten Phase unverschuldeter Probleme den notwendigen Spielraum geben.

Die Sozialstruktur in einigen Regionen etwa im Osten Deutschlands oder im Ruhrgebiet ist prekärer als in anderen Teilen der Republik. Sind die Stadtwerke dort besonders gefährdet?
Die Sozialstruktur und der Kundenmix vor Ort spielen natürlich eine Rolle. Eine andere Rolle spielt die Wirtschaftsstruktur, etwa ob viele Kleinstgewerbebetriebe angesiedelt sind. Ich mache mir jedenfalls ernsthaft Sorgen. Probleme bei einem Stadtwerk wirken sich auf die gesamte Daseinsvorsorge in der Region aus. Über den kommunalen Querverbund werden auch andere Bereiche wie etwa Schwimmbäder und der öffentlichen Nahverkehr durch eine steuerlich wirksame Ergebnisverrechnung mitfinanziert. Eine Gasmangellage setzt daher die Finanzierung der gesamten Daseinsvorsorge unter Druck. Das kann unsere Gesellschaft enorm belasten.

Stadtwerke kaufen Gas normalerweise lange im Voraus ein, also heute etwa für 2024 und 2025. Wäre es nicht ratsam, die aktuelle Krise auszusitzen und auf sinkende Gaspreise zu spekulieren?
Zurücklehnen ist keine Strategie. Inzwischen wissen wir, dass wir keine Perspektive haben, dass es in einigen Monaten besser wird, Spekulationen auf sinkende Energiepreise sind fahrlässig. Die Industrie fragt bei Stadtwerken konkret nach, um Gasmengen zum jetzigen Preis zu sichern. Alle haben Sorge, dass es schlimmer wird.

Können Stadtwerke denn heute auf dem Markt Gas einkaufen, das sie in ein paar Jahren benötigen?
Das wird immer schwieriger. Die Großhändler fordern höhere Sicherheiten für den Gaseinkauf zu gestiegenen Preisen. Stadtwerke bräuchten dann neue Bürgschaften etwa von den Kommunen. Das muss durch Rat und Kommunalaufsicht – ein langwieriger Prozess, der schlimmstenfalls in jeder der mehreren tausend Kommunen anders läuft. In der Krise ist das zu kompliziert und langsam. Wir fordern daher einen einheitlichen Rettungsschirm für die Energiewirtschaft, die sich in einer systemischen Krise befindet. Eine weitere Forderung: Der Bund hat zwar schon 100 Milliarden Euro Liquiditätshilfen bereitgestellt, aber dieses Instrument steht nur Unternehmen an der Börse zur Verfügung. Bei unseren Mitgliedern beschaffen nur 24 Stadtwerke Gas an der Börse, die große Mehrheit kauft außerbörslich auf dem Over-the Counter (OTC) Markt, beispielsweise bei Gasimporteuren. Die bekommen ein Finanzierungsproblem. Dieser Rettungsschirm muss auch auf die Stadtwerke im OTC-Handel ausgedehnt werden. 

Die Politik fordert gewerbliche Kunden auf, Strom und Gasverbrauch einzuschränken. Geht da noch mehr?
Das Einsparpotenzial ist sehr begrenzt. Jeder gewerbliche Kunde versucht schon allein wegen der hohen Gaspreise, sich vom Gas zu lösen. Da geht nicht mehr viel. Einige Unternehmen fahren die Produktion sogar hoch, weil sie befürchten, als erstes in einer sich zuspitzenden Gasmangellage abgeschaltet zu werden. Sie produzieren auf Halde und brauchen dafür noch mehr Gas.

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Und die Kommunen? Wo sparen sie?
Ich kenne viele Kommunen und kommunale Unternehmen, die Ihren Beitrag leisten möchten und  prüfen, was sie tun können. Sie gehen mit guten Beispiel voran: optimieren sowohl den Einsatz von Klimaanlagen im Sommer als auch Heizen in zukünftigen Winterperioden. Und die Senkung der Wassertemperatur gehört bereits zum Werkzeugkasten kommunaler Badbetreiber. Ihr Ziel ist, den Energieverbrauch ihrer Bäder zu reduzieren und die Energieeffizienz zu steigern. Wir kommen nur alle gemeinsam mit vereinten Kräften weiter.

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