Schon um 10 Uhr morgens schlendert im Madrider Zentrum ein Herr durch den Discount-Supermarkt Día auf der Suche nach etwas Abkühlung. Draußen sind es schon 32 Grad. Der Mann geht nach rund 15 Minuten an der Kassiererin vorbei und zeigt, dass er nichts gestohlen hat. Dann verschwindet er wieder zur Tür hinaus. Sie schaut ihm hinterher und muss lachen: „Das passiert gerade öfters, dass Leute einfach durch unseren Laden spazieren, weil wir hier Klimaanlagen haben.“
Aber der Trick dürfte nicht mehr lange funktionieren. Spanien hat als eines der ersten Länder der EU einen Energie-Sparplan verabschiedet. Geschäfte, Büros und öffentliche Gebäude dürfen demnach nur noch auf 27 Grad heruntergekühlt und im Winter darf nur noch auf 19 Grad geheizt werden. Diese Regeln sollen bis Oktober 2023 gelten. Ausgeschlossen davon sind unter anderem Krankenhäuser.
Bei Außentemperaturen im ganzen Land von um die 40 Grad ist das eine enorme Herausforderung. Als vor wenigen Wochen ein Straßenkehrer bei der Arbeit umkippte, sorgte sein Tod für viele Schlagzeilen und Debatten über Hitzefrei. Fast 2200 Menschen starben laut spanischem Gesundheitsinstitut „Instituto de Salud Carlos III“ im Juli an den Folgen der hohen Temperaturen.
Viele Maßnahmen sind einfach gesunder Menschenverstand
„Das Land hat es über Jahrzehnte verpasst, beim Wasser- und Energieverbrauch sparsamer zu sein. Im Sommer waren Kaufhäuser und Kinos oft ein Eisschrank“, kritisiert Ismael Morales von der Stiftung Erneuerbare („Fundación Renovables“). Im Winter seien dagegen viele bei rund 24 Grad in Geschäften und Haushalten ins Schwitzen gekommen. Das Land spüre den Klimawandel seit Jahren, aber erst seit 2021 zahlten die Spanier auch die Rechnung dafür: Die Strompreise für einen Durchschnittshaushalt haben sich verdoppelt.
Die Opposition und auch die Medien erhöhten deswegen den Druck auf die Links-Regierung, etwas dagegen zu tun. Premier Pedro Sánchez hat daraufhin die Mehrwertsteuer auf Elektrizität in mehreren Schritten von 21 Prozent auf fünf Prozent gesenkt. Vor der Sommerpause wurde noch eine zwei Jahre andauernde Steuer auf die Sondergewinne der Stromkonzerne eingeführt, die dem Staat zwei Milliarden Euro einbringen soll, die wiederum in den grünen Umbau der Wirtschaft fließen sollen.
Der Unmut bei der Bevölkerung auf die mächtigen spanischen Energieversorger wie Iberdrola, Endesa und Naturgy ist in den vergangenen Monaten enorm gestiegen. Spanien erlebt anders als Deutschland keinen Energie-Notstand und für viele Bürger sind die hohen Preise auch ein Machtspiel der Industrie. Die spanische Umweltministerin Teresa Ribera hat sich deswegen anfangs gegen die von den Deutschen motivierten Energiesparpläne für die EU gewehrt. Sie wollte den Spaniern nicht noch weitere Opfer zumuten, auch weil das Land bereits 20 Prozent seines importierten Gases nach Nordeuropa exportiert. Statt 15 Prozent Einsparungen beim Gas- und Ölverbrauch konnte sie sich schließlich auf sieben Prozent mit Brüssel einigen.
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Dass in Spanien im Rahmen der verabschiedeten Sparpläne auch die sehr üppige Nachtbeleuchtung von Geschäften, Büros und öffentlichen Gebäuden ab 22 Uhr heruntergefahren werden soll, kritisierte vor allem die Regierungschefin der autonomen Region Madrid, Isabel Ayuso: „Unsere Stadt ist einer der sichersten der Welt, auch dank dieser Beleuchtung. Wir begeben uns damit auf einen gefährlichen Pfad.“
EU-Plan für möglichen Gasnotstand
Im Gesetzesvorschlag heißt es, den EU-Staaten stehe es frei, geeignete Maßnahmen selbst zu wählen. Wie genau auf Verbraucherseite gespart wird, ist also nicht vorgegeben. Dass auch Bürgerinnen und Bürger Gas sparen müssen, ist aber sehr wahrscheinlich. Denn die Einsparziele sind hoch. Auf zunächst freiwilliger Basis soll der Gasverbrauch in den EU-Ländern um 15 Prozent sinken. Im Verordnungsentwurf wird aber betont, dass sogenannte geschützte Kunden „ununterbrochen“ versorgt werden sollen.
Generell gibt es für den Fall einer Gasnotlage bereits einheitliche Regeln in der EU, die in der sogenannten SoS-Verordnung verankert sind. Diese regelt etwa, welche Kunden in einem Ernstfall noch mit Gas versorgt werden sollen: Haushalte und essenzielle soziale Dienste werden als geschützte Verbraucher besonders behandelt. Sie genießen eine besondere Stellung und ihnen kann von den Mitgliedsländern Vorrang eingeräumt werden.
In einem Punkt kommen aber vermutlich auch weniger Auswirkungen auf die Menschen im Land zu als zunächst angedacht. In einem früheren Entwurf war vorgesehen, dass öffentliche Gebäude, Büros und kommerzielle Gebäude bis maximal 19 Grad beheizt und mit Klimaanlagen auf nicht weniger als 25 Grad heruntergekühlt werden sollen. Dies findet sich in den am Mittwoch präsentierten Vorschlägen nicht mehr.
Der Entwurf der Kommission, dem die EU-Staaten noch zustimmen müssen, sieht unter anderem vor, dass Unternehmen auf andere Energieträger umsteigen sollen. Dafür könnten Firmen finanzielle Anreize erhalten. Wenn die Versorgungslage sehr kritisch wird, könnten bestimmten Wirtschaftszweigen der Gashahn abgedreht werden. Der Gesetzesvorschlag sieht aber vor, dass bestimmte Bereiche geschützt werden sollen. Bei Sparmaßnahmen soll etwa darauf geachtet werden, ob diese Auswirkungen auf Versorgungs- und Lieferketten hätten oder langfristige Schäden an Industrieanlagen anrichten könnten.
Der Deutsche Industrie und Handelskammertag (DIHK) begrüßte den Plan grundsätzlich. „Die EU-Kommission ist mit ihrem Gasplan auf dem richtigen Weg: Nur durch schnelle und pragmatische Gaseinsparungen kommen wir durch den nächsten Winter“, sagte Achim Dercks, stellvertretender DIHK-Hauptgeschäftsführer. Er fordert von der Bundesregierung finanzielle Anreize und, dass der Wechsel von Gas auf andere Energieträger bürokratisch vereinfacht wird.
Nach geltenden EU-Regeln müsste die deutsche Industrie theoretisch Gas an Haushalte eines Nachbarlands wie Österreich abgeben, falls das Land sich nicht anders versorgen kann und auch Deutschland keine weiteren Vorräte hat. Umgekehrt würden deutsche Haushalte über die Industrie von Nachbarländern versorgt, wenn es zum Äußersten käme. Dies wäre der allerletzte Ausweg und würde wohl nur eintreten, wenn Gas in mehreren Ländern gleichzeitig knapp wird. Die genauen Modalitäten müssten noch ausgearbeitet werden.
Sie müssen Maßnahmen entwickeln, wie Gas gespart werden kann. Wenn der Vorschlag in seiner jetzigen Form Realität wird, sind sie im Zweifel auch dazu verpflichtet. Weigert sich dann ein EU-Staat, kann er von der Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) verklagt werden. Dies kann dazu führen, dass Strafen fällig werden.
Schon jetzt gibt es Mitgliedsstaaten, die sich nicht an die bereits geltenden EU-Regeln halten wollen. So hat Ungarn vergangene Woche einen Notstand ausgerufen und angekündigt, dass es ab August kein Gas und andere Energieträger mehr an andere EU-Länder liefern will. Die EU-Kommission untersucht diesen Schritt gerade.
Für Deutschland begrüßte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) das Vorhaben der EU-Kommission. „Wir müssen daher gemeinsam unsere Vorsorge stärken“, teilte er mit. Ein entscheidender Hebel sei es, den Gasverbrauch zu reduzieren. „Daran müssen wir alle mit ganzer Kraft arbeiten.“
Viele geben ihr Recht. Die Abschaffung von automatischen Schiebetüren an Gebäude- und Geschäftseingängen bis Ende September hat dagegen vor allem für Unmut bei den Unternehmern gesorgt. Sie sollen für die Umbauten jedoch vom Staat unterstützt werden. Der spanische Physiker und Klimawissenschaftler Antonio Turiel warnt seit vielen Jahren vor dem Rohstoff-Engpass, den wir derzeit erleben: „Es wird alles auf den russischen Angriffskrieg geschoben, aber die Knappheit des Öls zeichnet sich bereits seit Jahren ab, der Klimawandel auch. Es wurde zu spät und nicht richtig gehandelt.“
Weil nun jedoch finanziell spürbar wird, was Konsum kostet, erlebt das Sonnenland, das jahrzehntelang die Idee der Solardächer ignorierte, einen regelrechten Boom bei Photovoltaikanlagen. „Lieferschwierigkeiten oder Personalmangel wie in Deutschland erfahren wir dabei noch nicht,“ erklärt Morales von der Stiftung Erneuerbare. Die aktuelle Regierung hatte die Gesetzgebung für Solardächer bereits vor eine paar Jahren geändert. „Aber erst mit den rasant steigenden Energiepreisen hat es bei den meisten Spaniern Klick gemacht,“ sagt Architekt Iñaki Alonso, der vor eineinhalb Jahren mit „Entrepatios“ das erste Passivhaus-Gebäude in Madrid gebaut hat. Auch dieses energiesparsame von Spaniern bisher ignorierte deutsche Baukonzept erlebt einen Boom. Aber auch Wind- und Solarparks sollen weiter massiv ausgeweitet werden. 45 Prozent des Stromverbrauchs werden in Spanien bereits durch erneuerbare Energiequellen gedeckt. Im kommenden November sollen weitere 3.300 Megawatt ausgeschrieben werden.
Sommerurlaub in Spanien wird teuer und an einigen Orten unerträglich werden
Während Deutschland und Frankreich im kommenden Winter wahrscheinlich tatsächlich an einigen Orten frieren wird, wie Energieexperte Turiel voraussagt, könne Spanien sich auf unerträgliche Sommer vorbereiten, die auch den Tourismus und Landwirtschaft stark beeinflussen werden. Schon jetzt gibt es Wasser-Restriktionen im Land, weil es seit Monaten nicht regnet und die Stauseen nur noch auf weniger als die Hälfte des normalen Wasserstands kommen. An einigen Stränden kann nicht mehr geduscht werden, anderswo wurde nachts das Wasser abgedreht. Die Bewässerung von den vielen Gemüse- und Obstfeldern, die von Huelva und Almeria Billigwaren nach Deutschland liefern, wird von Umweltorganisationen wie dem WWF hart kritisiert. „Es bleibt abzuwarten, was die steigenden Preise und die zu erwartende weltweite Rezession mit uns anstellen werden,“ warnt Turiel. Das sagt er auch in Hinsicht auf den für das Land so wichtigen Massentourismus. Eine Untersuchung der UNWTO (UN World Tourism Organisation) in Madrid hat errechnet, dass Urlauber am Tag 400 Liter Wasser verbrauchen, weit mehr als das Doppelte eines normales Bürgers.
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