Vorreiter in der EU Spaniens ehrgeiziger Einsparplan gegen Energieverschwendung

Kaufhaus in Barcelona: Die üppige Nachtbeleuchtung in den Einkaufsstraßen soll dem neuen Energiesparplan der Regierung in Madrid zufolge ab 22 Uhr deutlich reduziert werden. Quelle: imago images

Premier Pedro Sánchez hat vor seinem Sommerurlaub einen Energiesparplan verabschiedet - auch auf Druck der Deutschen. Der Energiesparplan geht weit über das hinaus, was sonst in der EU gilt - und war längst überfällig.

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Schon um 10 Uhr morgens schlendert im Madrider Zentrum ein Herr durch den Discount-Supermarkt Día auf der Suche nach etwas Abkühlung. Draußen sind es schon 32 Grad. Der Mann geht nach rund 15 Minuten an der Kassiererin vorbei und zeigt, dass er nichts gestohlen hat. Dann verschwindet er wieder zur Tür hinaus. Sie schaut ihm hinterher und muss lachen: „Das passiert gerade öfters, dass Leute einfach durch unseren Laden spazieren, weil wir hier Klimaanlagen haben.“

Aber der Trick dürfte nicht mehr lange funktionieren. Spanien hat als eines der ersten Länder der EU einen Energie-Sparplan verabschiedet. Geschäfte, Büros und öffentliche Gebäude dürfen demnach nur noch auf 27 Grad heruntergekühlt und im Winter darf nur noch auf 19 Grad geheizt werden. Diese Regeln sollen bis Oktober 2023 gelten. Ausgeschlossen davon sind unter anderem Krankenhäuser.

Bei Außentemperaturen im ganzen Land von um die 40 Grad ist das eine enorme Herausforderung. Als vor wenigen Wochen ein Straßenkehrer bei der Arbeit umkippte, sorgte sein Tod für viele Schlagzeilen und Debatten über Hitzefrei. Fast 2200 Menschen starben laut spanischem Gesundheitsinstitut „Instituto de Salud Carlos III“ im Juli an den Folgen der hohen Temperaturen. 

Viele Maßnahmen sind einfach gesunder Menschenverstand

„Das Land hat es über Jahrzehnte verpasst, beim Wasser- und Energieverbrauch sparsamer zu sein. Im Sommer waren Kaufhäuser und Kinos oft ein Eisschrank“, kritisiert Ismael Morales von der Stiftung Erneuerbare („Fundación Renovables“). Im Winter seien dagegen viele bei rund 24 Grad in Geschäften und Haushalten ins Schwitzen gekommen. Das Land spüre den Klimawandel seit Jahren, aber erst seit 2021 zahlten die Spanier auch die Rechnung dafür: Die Strompreise für einen Durchschnittshaushalt haben sich verdoppelt.

Die Opposition und auch die Medien erhöhten deswegen den Druck auf die Links-Regierung, etwas dagegen zu tun. Premier Pedro Sánchez hat daraufhin die Mehrwertsteuer auf Elektrizität in mehreren Schritten von 21 Prozent auf fünf Prozent gesenkt. Vor der Sommerpause wurde noch eine zwei Jahre andauernde Steuer auf die Sondergewinne der Stromkonzerne eingeführt, die dem Staat zwei Milliarden Euro einbringen soll, die wiederum in den grünen Umbau der Wirtschaft fließen sollen.

Der Unmut bei der Bevölkerung auf die mächtigen spanischen Energieversorger wie Iberdrola, Endesa und Naturgy ist in den vergangenen Monaten enorm gestiegen. Spanien erlebt anders als Deutschland keinen Energie-Notstand und für viele Bürger sind die hohen Preise auch ein Machtspiel der Industrie. Die spanische Umweltministerin Teresa Ribera hat sich deswegen anfangs gegen die von den Deutschen motivierten Energiesparpläne für die EU gewehrt. Sie wollte den Spaniern nicht noch weitere Opfer zumuten, auch weil das Land bereits 20 Prozent seines importierten Gases nach Nordeuropa exportiert. Statt 15 Prozent Einsparungen beim Gas- und Ölverbrauch konnte sie sich schließlich auf sieben Prozent mit Brüssel einigen. 

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Dass in Spanien im Rahmen der verabschiedeten Sparpläne auch die sehr üppige Nachtbeleuchtung von Geschäften, Büros und öffentlichen Gebäuden ab 22 Uhr heruntergefahren werden soll, kritisierte vor allem die Regierungschefin der autonomen Region Madrid, Isabel Ayuso: „Unsere Stadt ist einer der sichersten der Welt, auch dank dieser Beleuchtung. Wir begeben uns damit auf einen gefährlichen Pfad.“

EU-Plan für möglichen Gasnotstand

Viele geben ihr Recht. Die Abschaffung von automatischen Schiebetüren an Gebäude- und Geschäftseingängen bis Ende September hat dagegen vor allem für Unmut bei den Unternehmern gesorgt. Sie sollen für die Umbauten jedoch vom Staat unterstützt werden. Der spanische Physiker und Klimawissenschaftler Antonio Turiel warnt seit vielen Jahren vor dem Rohstoff-Engpass, den wir derzeit erleben: „Es wird alles auf den russischen Angriffskrieg geschoben, aber die Knappheit des Öls zeichnet sich bereits seit Jahren ab, der Klimawandel auch. Es wurde zu spät und nicht richtig gehandelt.“

Weil nun jedoch finanziell spürbar wird, was Konsum kostet, erlebt das Sonnenland, das jahrzehntelang die Idee der Solardächer ignorierte, einen regelrechten Boom bei Photovoltaikanlagen. „Lieferschwierigkeiten oder Personalmangel wie in Deutschland erfahren wir dabei noch nicht,“ erklärt Morales von der Stiftung Erneuerbare. Die aktuelle Regierung hatte die Gesetzgebung für Solardächer bereits vor eine paar Jahren geändert. „Aber erst mit den rasant steigenden Energiepreisen hat es bei den meisten Spaniern Klick gemacht,“ sagt Architekt Iñaki Alonso, der vor eineinhalb Jahren mit „Entrepatios“ das erste Passivhaus-Gebäude in Madrid gebaut hat. Auch dieses energiesparsame von Spaniern bisher ignorierte deutsche Baukonzept erlebt einen Boom. Aber auch Wind- und Solarparks sollen weiter massiv ausgeweitet werden. 45 Prozent des Stromverbrauchs werden in Spanien bereits durch erneuerbare Energiequellen gedeckt. Im kommenden November sollen weitere 3.300 Megawatt ausgeschrieben werden.

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Sommerurlaub in Spanien wird teuer und an einigen Orten unerträglich werden 

Während Deutschland und Frankreich im kommenden Winter wahrscheinlich tatsächlich an einigen Orten frieren wird, wie Energieexperte Turiel voraussagt, könne Spanien sich auf unerträgliche Sommer vorbereiten, die auch den Tourismus und Landwirtschaft stark beeinflussen werden. Schon jetzt gibt es Wasser-Restriktionen im Land, weil es seit Monaten nicht regnet und die Stauseen nur noch auf weniger als die Hälfte des normalen Wasserstands kommen. An einigen Stränden kann nicht mehr geduscht werden, anderswo wurde nachts das Wasser abgedreht. Die Bewässerung von den vielen Gemüse- und Obstfeldern, die von Huelva und Almeria Billigwaren nach Deutschland liefern, wird von Umweltorganisationen wie dem WWF hart kritisiert. „Es bleibt abzuwarten, was die steigenden Preise und die zu erwartende weltweite Rezession mit uns anstellen werden,“ warnt Turiel. Das sagt er auch in Hinsicht auf den für das Land so wichtigen Massentourismus. Eine Untersuchung der UNWTO (UN World Tourism Organisation) in Madrid hat errechnet, dass Urlauber am Tag 400 Liter Wasser verbrauchen, weit mehr als das Doppelte eines normales Bürgers.

Lesen Sie auch: Die europäischen Energieminister treffen sich in Brüssel, um über Solidarität in Zeiten der Gaskrise zu debattieren. Zur gleichen Zeit gibt es Kritik an Gaslieferungen von RWE über Spanien nach Marokko. Was ist da los?

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