Warnung vor Überkapazitäten Droht Deutschland mit den LNG-Terminals eine neue Abhängigkeit?

Geholt mit „neuer Deutschlandgeschwindigkeit“: die „Esperanza“, das schwimmende LNG-Terminal vor der Küste Wilhelmshavens. Aber sind die LNG-Importkapazitäten jetzt überdimensioniert? Quelle: imago images

Die „neue Deutschlandgeschwindigkeit“ findet Oliver Hummel, Chef des Ökostromanbieters Naturstrom, zwar gut – aber er befürchtet, dass der ungebremste Ausbau der Importterminals die Abhängigkeit vom Erdgas verfestigt.

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Von Null auf fast ein Dutzend? Im Rekordtempo hat die Bundesregierung im vergangenen Jahr den Ausbau von schwimmenden und landgebundenen Flüssiggas-Importterminals angeschoben. Vor allem der Bau des Wilhelmshavener Anlegers, die Verlegung einer knapp 30 Kilometer langen Pipeline von Wilhelmshaven nach Etzel sowie das Anmieten und das Andocken des Terminal-Schiffs „Esperanza“ gelten als leuchtende Beispiele für eine in Deutschland vergessene Tugend: Geschwindigkeit bei Infrastrukturprojekten.

Dennoch warnt Oliver Hummel, Chef des Düsseldorfer Ökostromanbieters „Naturstrom“ vor Überkapazitäten bei den LNG-Importstrukturen. „Wichtig ist jetzt, dass wir das Ruder bei der ganzen Sache nicht überreißen“, sagte Hummel in der aktuellen Folge des Wirtschaftswoche-Podcasts „Chefgespräch“. „Wir dürfen nicht sagen: Das klappt gerade so gut. Lasst uns noch mal zehn Terminals mehr bauen. Denn dann wäre auch klar, dass wir die Abhängigkeit vom Gas für die nächsten 10, 20 Jahre zementieren. Das passt nicht mit der Energiewende zusammen.“

LNG-Importe könnten frühere Importe aus Russland übersteigen

Die Deutschen haben bislang im Jahr etwa 90 Milliarden Kubikmeter (BCM) Erdgas verbraucht und davon rund 55 Milliarden Kubikmeter per Pipeline aus Russland importiert. Dazu kamen Lieferungen vor allem per Pipeline aus Norwegen oder den Niederlanden. Seit Ende August des vergangenen Jahres fällt das russische Gas weg.

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Norwegen und die Niederlande haben ihre Lieferungen aufgestockt, vor allem aber wird seit wenigen Monaten über schwimmende Terminals in Wilhelmshaven, Brunsbüttel und Lubmin LNG importiert, erwärmt und in Gas umgewandelt. Im Lauf dieses Jahres kommen weitere schwimmende Terminals in Stade, Wilhelmshaven und Lubmin dazu, insgesamt fünf sogenannte Floating Storage and Regasification Units (FSRU) hat die Bundesregierung angemietet, eines ist frei finanziert.

Für die Jahre danach ist der Bau von drei fest an Land installierten LNG-Terminals in Wilhelmshaven, Stade und Brunsbüttel geplant. Umweltorganisationen wie die „Deutsche Umwelthilfe“, aber auch die Umweltökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin gehen davon aus, dass so Überkapazitäten entstehen.

So hat das „New Climate Institute“, ein Think Tank mit Sitzen in Köln und Berlin, errechnet, dass in Deutschland bis Ende 2026 insgesamt elf LNG-Terminals in Betrieb sein könnten – mit einer Gesamt-Importkapazität von rund 73 Milliarden Kubikmetern, also mehr, als vor Ausbruch des Kriegs von Deutschland aus Russland importiert worden ist.

„Herkulesaufgabe“ bei den Erneuerbaren

Die Bundesregierung, allen voran Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck, hat diesen Ausbau stets mit Verweis auf die Versorgungssicherheit und notwendige Puffer verteidigt. An der Feuerwehr, sagte Habeck Anfang Januar in Brunsbüttel, dürfe man nicht sparen.

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Naturstrom-Chef Hummel warnt auch vor der „Zementierung“ der fossilen Energien, weil er trotz aller Schwierigkeiten zuversichtlich ist, dass das von der Bundesregierung gesteckte Ziel beim Ausbau der Erneuerbaren Energien erreicht werden kann. Es handele sich um eine „Herkulesaufgabe“, kommentierte Hummel im „Chefgespräch“ mit Varinia Bernau. Die Genehmigungen für den Bau von Anlagen für Erneuerbare Energien dauerten zwar immer noch zu lange, es fehle auch häufig an Fachkräften und an Material. Aber dennoch denke er: „Wir schaffen das“.

Von 133 auf 360 Gigawatt?

Die Bundesregierung hat im vergangenen Jahr das Ziel gesetzlich verankert, dass bis 2030 80 Prozent des Bruttostromverbrauchs der Deutschen mit Strom aus Erneuerbaren Energien stammen müssen. Konkret bedeutet das einen Ausbau der Kapazität der Erneuerbaren von derzeit etwa 133 Gigawatt auf 360 Gigawatt, fast eine Verdreifachung.

Wie groß der Sprung ist, erkennt man, wenn man sich die einzelnen Erzeugungsarten ansieht. Bei der Fotovoltaik muss die Kapazität von etwa 67 Gigawatt 2022 auf 215 Gigawatt 2030 anwachsen, bei der Windkraft an Land von etwa 58 Gigawatt auf 115 Gigawatt, bei der Windkraft auf See von 8 Gigawatt auf 30 Gigawatt. Das ist es, was Hummel meint, wenn er von einem „Herkulesprojekt“ spricht.

Dabei ist es eine mutige, manche sagen: waghalsige Wette, die Deutschland eingeht. Denn während die Erneuerbaren Energien noch ausgebaut werden müssen, will die Bundesregierung bereits Mitte April endgültig aus der Atomkraft aussteigen. Der Ausstieg aus der Kohlekraft soll nicht erst 2038, sondern schon 2030 erfolgen. Für das rheinische Revier ist der Ausstieg bis 2030 nach einem Deal der Bundesregierung mit RWE schon beschlossen, mit der ostdeutschen LEAG verhandelt die Bundesregierung derzeit über mögliche Szenarien, die einen früheren Ausstieg ermöglichen. Die Brücke hin zu den Erneuerbaren Energien soll die Gaskraft bilden – in der Hoffnung, dass die Preise sich auf einem erträglichen „New Normal“ einpendeln.

„Eine Steuer wäre eine einfachere Lösung gewesen“

Kritisch sieht Hummel die Umsetzung der Gewinnabschöpfung bei Energieerzeugern. „Ich finde es ein bisschen schade, dass die Bundesregierung sich entschlossen hat, einen relativ komplizierten Weg zu gehen“, monierte Hummel im „Chefgespräch“. Das Gesetz sieht vor, Gewinne ab Anfang Dezember 2022 zunächst befristet bis Ende Juni dieses Jahres abzuschöpfen, der konkrete Modus der Abschöpfung hängt von der Erzeugungsart ab. Naturstrom betreibt Windkraftanlagen, Solarparks und eine Biogas-Anlage und ist deshalb als Erzeuger von der Abgabe betroffen.

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Er habe nicht grundsätzlich etwas dagegen, die Gewinne zu teilen, konstatierte Hummel. Aber: „Die einfachere Lösung wäre gewesen, die extra Gewinne zu besteuern.“ Da die Preise nun im Dezember schon wieder deutlich gefallen gewesen seien, dürfte das die Staatseinnahmen zudem deutlich verringern. „Eigentlich hat man den Gewinn bei den Unternehmen gelassen“, meinte Hummel. Anders als Ökostrom-Konkurrent Lichtblick erwäge Naturstrom jedoch keine Verfassungsklage gegen das Gesetz zur Strompreisbremse.

Hören Sie hier das vollständige Podcast-Gespräch mit Naturstrom-Chef Hummel.

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