Energiekonzern Vattenfall versucht unter finnischem Chef Neuanfang in Deutschland

Der neue Europa-Chef des schwedischen Energieriesen Vattenfall, Tuomo Hatakka, will Deutschland und Polen vereinen. Wie kommt der Finne dazu?

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Neuer Vattenfall-Chef Hatakka: Quelle: dpa

Die Finnen, so steht es jedenfalls im Reiseführer „Kulturschock Finnland“, sind Menschen, die am besten auf der Bühne aufgehoben sind – „als Schauspieler oder Regisseure“. Das entsprach bisher nicht dem Klischee des schweigsamen Schneesteppensiedlers. Und noch eine Eigenschaft zeichne die Bewohner des hohen Nordens aus: „Konventionen werden gern infrage gestellt“, so die einfühlsame Beschreibung des finnischen Nationalcharakters.

Auf Tuomo Hatakka trifft bisher nur eine dieser Eigenschaften zu: Er bricht gern mit alten Gepflogenheiten. Seit Anfang des Jahres amtiert der Finne in Berlin als Europa-Chef des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall, des drittgrößten Versorgers in Deutschland hinter E.On und RWE. Und schon plant er Dinge, die alles Bisherige infrage stellen: Hatakka will die Grenzen zwischen Polen und Deutschland niederreißen und die sich jahrhundertelang beargwöhnenden Regionen in ein gemeinsames Stromland verwandeln. „Ein integrierter Energiemarkt in Europa ist kein Fernziel“, sagt er kühl. „Bald werden wir uns von einem individuellen, nationalen Ländermarkt zu einem integrierten europäischen Versorgungsgebiet bewegen. Deswegen verknüpfen wir unser Geschäft in Deutschland und Polen.“

Im Klartext: Strom made by Vattenfall wird – egal, ob im industriellen Hochlohnland Deutschland oder im aufstrebenden Niedriglohnland Polen – bald überall das Gleiche kosten: „Das Zusammenwachsen des deutschen und polnischen Energiemarktes wird stufenweise vollzogen“, sagt ein Vattenfall-Manager, „Deutschland und Polen als Nachbarländer – das wird das gemeinsame Preisgebiet sein.“ Denn: „Polen und Deutschland“, sagt Hatakka selbst, „gehören zu derselben Region.“

Die völkerverbindende Wirkung ist die eine, die wirtschaftliche Folge die andere Konsequenz der geplanten deutsch-polnischen Vereinigung. „Die historisch extrem niedrigen Energietarife in Polen führten dazu, dass in den vergangenen zwei Jahrzehnten kaum mehr Investitionen in moderne Anlagen flossen“, sagt ein anderer Vattenfall-Manager. Um dies zu ändern, will Hatakka die Strompreise östlich von Oder und Neiße stark anheben, um den Bau neuer Kraftwerke lukrativer zu machen. Gleichzeitig macht der Finne damit aber auch jede Hoffnung der Deutschen zunichte, sie könnten ihren Stromhunger durch preiswerte Importe aus Ost- und Mitteleuropa stillen. Billigstromländer, so die Botschaft aus dem Einstromland, wird es nicht geben, denn Vattenfall ist da.

Grenzüberschreiter Hatakka ist in Deutschland noch viel unbekannter als sein zumindest im Norden und Osten der Republik geläufiger Arbeitgeber aus Schweden. Vattenfall, das heißt auf Deutsch Wasserfall und steht für 15 Milliarden Umsatz sowie einen Jahresgewinn von drei Milliarden Euro. Acht Milliarden Euro setzt der zehntgrößte Energiekonzern Europas in Deutschland um, wo zuletzt Gewinne in Höhe von 1,6 Milliarden Euro sprudelten. Während die Schweden in Skandinavien vor allem Wasser- und Atomkraft produzieren, verstromen sie hier in erster Linie ostdeutsche Braunkohle – und machen zurzeit mit ihren skandalträchtigen Atomkraftwerken Krümmel und Brunsbüttel von sich reden.

Hatakka hat mit diesen Meilern ein Erbe angetreten, das schwer auf ihm lastet. Sowohl Krümmel als auch Brunsbüttel sind derzeit abgeschaltet und produzierten dadurch bisher Kosten in Höhe von 201 Millionen Euro. In Brunsbüttel war in den vergangenen Monaten mehrmals das Notstromsystem defekt. In Krümmel gab es im vergangenen Jahr einen Transformatorenbrand, der tagelang schwelte und den damaligen Deutschland-Chef von Vattenfall, Klaus Rauscher, den Job kostete. Vor ein paar Tagen qualmte es schon wieder. Aber auch im heimischen Kernkraftwerk Forsmark hatte Vattenfall Stress. Nach einem Unfall schrieb die schwedische Boulevardpresse über „betrunkene Techniker“. Ein Vattenfall-Bericht beklagte „den Mangel an Sicherheitskultur“. Davon geschockt, kündigten 250.000 von drei Millionen deutschen Vattenfall-Stromkunden in den Vattenfall-Hochburgen Hamburg und Berlin.

Hatakka ist ein Finne, der sich von denen im Reiseführer beschriebenen doch stark abhebt – ein Ausbund an Zurückhaltung, die ihm bei seiner schwierigen Mission in Deutschland und Polen nur hilfreich sein kann. Er ist ein Neuling in Deutschland und beginnt gerade damit, sich als Chef von „Vattenfall Central Europe“ in Berlin einzurichten.

Dass Hatakka als Ausländer ein Geschäft steuert, das politisch und national bisher stark im jeweiligen Land fußt, ist nicht das Ungewöhnliche. Auch Harry Roels, der bis Oktober vergangenen Jahres den zweitgrößten deutschen Energiekonzern RWE führte, stammte nicht von hier, sondern aus Holland.

Aus dem Rahmen fällt Hatakka in ganz anderer Hinsicht. Nicht nur, dass er zwei nationale Stromversorger auf einmal leitet – die Vattenfall Group Poland mit Sitz in Warschau und Vattenfall Europe mit Hauptquartier in Berlin. Sein auffälligstes, in der Energiebranche eher seltenes Merkmal ist Hatakkas Werdegang. Denn er ist im Gegensatz zu vielen Kollegen bei Wettbewerbern nicht mit Kilowattstunden und Ölfässern groß geworden. Nach seinem Studium an der Helsinki School of Economics and Business Administration sowie an einer Business-Schule in Barcelona startete er beim US-Konzern Procter & Gamble (Ariel, Pampers, Blend-a-med) in Mexiko, wechselte von dort aber nach Stockholm. Danach heuerte er bei der Unternehmensberatung Bain an, für die er nach Warschau ging, um polnische Waschmittelfabriken zu privatisieren. Zwölf Jahre verbrachte Hatakka in Warschau, zunächst arbeitete er im Auftrag von Bain für das Privatisierungsministerium. Danach blieb er im Land und verdingte sich sechs Jahre als Private-Equity-Manager, der im Team 500 Millionen Dollar aus US-Pensionsfonds in 45 polnische Firmen steckte.

Selbst als Unternehmer betätigte sich der Rührige. Zusammen mit zwei Bain-Kollegen machte er sich selbstständig. Als ihm das zu schwierig vorkam, heuerte er als Chef des polnischen Elektrokabelherstellers Elektrim Kable an, der durch zu schnelle Übernahmen anderer Kabelhersteller in Finanznöte geraten war. Hatakka wollte retten, was zu retten war. Seine Kunden waren auch deutsche Versorger. So kam er in Kontakt mit der Energiebranche.

Erst vor fünf Jahren war es schließlich so weit. Ein Headhunter rief Hatakka an, um ihn zum Einstieg bei Vattenfall zu bewegen. Der Umworbene sagte zuerst Nein, änderte seine Meinung jedoch, als er Vattenfall-Lenker Lars Josefsson kennenlernte, der ihm die Führung des Vattenfall-Geschäfts in Polen anbot. Also machte Hatakka es sich mit seiner deutschen Frau Christine und seinen drei Kindern Catharina, Cassandra und Constantin in der Nähe des früheren Sommerschlosses der polnischen Könige im Süden Warschaus gemütlich – und pflegte seine innere Nähe zu Deutschland. Die Kinder, heute fast im Erwachsenenalter, wurden deutsch erzogen und besuchten die Willy-Brandt-Schule in der polnischen Hauptstadt. Bald galt er als das „Integrations-Wunder Hatakka“ – vor allem bei den Polen. „Wenn seine Frau als Elternbeirätin auf Deutsch eine Rede hielt, redete er lieber polnisch beim Bier über das polnische Wirtschaftsleben“, sagt ein früherer Nachbar über ihn aus dem Warschauer Vorort Wilanow.

Den Blick allein auf seine Doppelwahlheimat kann sich Hatakka an seinem neuen Arbeitssitz in Berlin nicht leisten. Denn als Chef des Versorgungsgebiets Deutschland–Polen gehört er auch dem Vorstand der Konzernmutter in Stockholm an. Und die hat nur eines im Sinn. „Da gibt es nur Hunger, Hunger nach mehr, Hunger nach Expansion“, sagt ein Manager im Umfeld von Vattenfall. Will heißen: Hatakka darf nicht zwischen Berlin und Warschau kleben, sondern muss nach Tschechien, in die Slowakei und nach Ungarn blicken – alles noch weiße Flecken auf Hatakkas Zentraleuropa-Karte.

Seine vordringlichste Aufgabe jedoch liegt in Deutschland, wo er die Scharte der vergangenen Monate auswetzen muss. „Ich will um jeden deutschen Kunden kämpfen“, sagt er. Sein Lieblingswort, das er sich in zwölf Jahren Warschau zulegte, heißt „Time will tell“ – auf gut Deutsch: „Alles wird gut.“

Gemütlicher wird es dadurch weder bei Vattenfall in Deutschland noch in Polen. Zwar will Hatakka keine Tochterfirmen zusammenlegen. „Wir wollen das deutsche und polnische Energiegeschäft nicht fusionieren“, versichert er. Dazu seien Unternehmen wie die früheren Hamburger Stadtwerke HEW, der einstige Berliner Versorger Bewag oder die polnischen Vattenfall-Beteiligungen Gómoslaski Zaklad Elektroenergetyczny oder Elektrocieplownie Warszawskie zu unterschiedlich.

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