Energiemarkt Gazproms heiße Flirts

Der russische Gasgigant Gazprom verfolgt eine Doppelstrategie, um das Ende der Atomkraft hierzulande für den Einstieg bei möglichst vielen deutschen Energieunternehmen zu nutzen.

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Gazprom CEO Alexei Miller Quelle: dapd

Novatek, das klingt modern, technisch, nach Startup. Novatek, jubilierte Deutschlands Presse fast eine Woche lang, das sei „Russlands größter unabhängiger Gasförderer“. Mit solch einem Unternehmen an der Seite wolle EnBW, Deutschlands drittgrößter Energiekonzern, den Abschied von seinen insgesamt vier Atomkraftwerken einläuten – zum Beispiel durch den Bau von Gaskraftwerken und durch Firmenbeteiligungen mit Novatek.

Gut gedacht, gut gemacht, Hans-Peter Villis, Pozdrawlenie, Gratulation?

Der Eindruck täuscht in einem entscheidenden Punkt. Von wegen begehrter Solitär aus dem Osten, den sich EnBW-Chef Hans-Peter Villis da zu angeln scheint, um einen eigenen Weg in die atomfreie Zukunft zu finden. Novatek, der Unbekannte aus der sibirischen Kleinstadt Tarko-Sale, ist kein Einzelgänger der russischen Energiebranche. Der Gaskonzern mit einem Jahresumsatz von 2,9 Milliarden Euro ist Teil eines polit-industriellen Komplexes rund um den Staatsgiganten Gazprom, der sich anschickt, schrittweise Deutschlands Energieversorgung zu kapern.

In Novatek steckt viel Gazprom

Denn was eine Woche lang keiner sagte: Wichtiger Einzelaktionär des möglichen EnBW-Partners Novatek ist Russlands Staatskonzern Gazprom, der über seine zypriotische Tochter Gazfin 9,99 Prozent an Novatek hält. Bis vorigen Dezember besaß Gazprom sogar weitere 9,4 Prozent, die die Berliner Dependance über eine Gesellschaft auf den Cayman-Inseln steuerte. Drei von neun Novatek-Aufsehern sind bis heute Vertreter von Gazprom oder stehen dem Giganten nahe. Zu ihnen gehört Burckhard Bergmann, der ehemalige Chef der E.On-Tochter Ruhrgas. Weiterer Novatek-Großaktionär ist der dubiose Oligarch Gennadij Timtschenko, ein Russe mit finnischem Pass, der als Kumpel von Regierungschef Wladimir Putin gilt.

Damit erweist sich Novatek als versteckter Baustein einer raffinierten Doppelstrategie von Gazprom-Chef Alexej Miller, der in Deutschland weit über die bisherigen Gaslieferungen hinaus wirtschaftlich Fuß fassen will. Auf der einen Seite verhandelt der Russe die kommenden drei Monate vordergründig „exklusiv“ über Allianzen mit Jürgen Großmann, dem Chef des zweitgrößten deutschen Energiekonzerns RWE in Essen. So steht es in einer Absichtserklärung, die beide Manager am 14. Juli in Rom unterzeichneten.

Auf der anderen Seite baggert Miller indirekt via Novatek und hinter Großmanns Rücken, um parallel zu den Verhandlungen mit RWE auch bei EnBW voranzukommen. Gelänge der Schulterschluss Novatek-EnBW, kann Miller auf einen Machtzuwachs im direkten Handel mit Gas in Deutschland hoffen. Denn zu dem möglichen Deal in Deutsch Südwest gehört wohl, dass Novatek von EnBW bis zu 25 Prozent der Aktien an der Leipziger Verbundnetz Gas (VNG) übernimmt, an der Gazprom bereits mit 10,5 Prozent beteiligt ist. Damit wüchse via Novatek der Einfluss von Gazprom bei dem ostdeutschen Gashändler weiter. Bis Ende 2011 hat EnBW über die oldenburgische EWE noch eine Kaufoption auf 48 Prozent an der VNG.

Traum von der Lieferkette

Griff nach Europa

Geht das Geschäft von EnBW mit Novatek über die Bühne, läge Gazprom-Chef Miller bald nicht nur bei einem weiteren größeren deutschen Versorger im Bett. Der mächtige Russe wäre auch einen großen Schritt weiter in seinem Angriffsplan, den er mit Ministerpräsident Putin abgestimmt hat: Gazprom soll kein reiner Rohstoffexporteur mehr sein, der Gas nur bis an die Grenze liefert. „Miller träumt davon, die gesamte Lieferkette zu kontrollieren“, sagt der unabhängige Moskauer Energieexperte Michail Krutischin. „Sie wollen ihr Produkt vom sibirischen Gasfeld bis in die deutsche Küche liefern.“

Damit steht Gazprom-Chef Miller an der Spitze derer, die seit Jahren die in Russland gültige Staatsdoktrin endlich in die Tat umsetzen: die Emanzipation vom allzu leicht verdienten Geld, das der Rohstoffreichtum dem Land beschert, den Wandel der Wirtschaft zu höherwertiger Produktion zugleich aber bremst. Miller will vormachen, wie es anders geht. Dazu möchte er Gazprom in einen Konzern umbauen, der Gas fördert, Pipelines baut und betreibt, Kraftwerke hochzieht, Strom mit Gas produziert, direkt mit Industrie- und Privatkunden Geschäfte macht.

Kühle Kanzlerin

Der Miller-Plan gewinnt umso rasanter an Konturen, je länger der Atomausstieg in Deutschland läuft und die Versorger neue Geschäftsmodelle suchen. Denn die Gazprom-Strategen, die den freiwilligen Abschied Deutschlands aus der Kernenergie fassungslos belächeln, rechnen mit einem drastisch steigenden Gasbedarf der Industrienation im Herzen Europas. Diese Lücke, glauben die Russen, kann einzig und allein Gazprom schließen.

Aus diesem Grund schickte der Gazprom-Chef vorige Woche zum Beispiel seinen Diplomaten Viktor Subkow zum deutsch-russischen Gipfel nach Hannover. Russlands spröder Vize-Premier, treuer Putin-Paladin und Gazprom-Chefaufseher, sollte Kanzlerin Angela Merkel den Blanko-Segen für Gazprom-Investitionen in Deutschland abringen. Denn Gazprom-Lenker Miller will sicher sein, dass er zwischen Rhein und Oder willkommen ist und jene politischen Störfeuer ausbleiben, die bislang alle Einstiegs- und Übernahmegerüchte begleiteten.

Dazu brachte Gazprom-Aufsichtsratschef Subkow ein Dokument mit, in dem er der Kanzlerin ein Gasdefizit nach der Energiewende vorrechnete. Insgesamt, so Subkows Prognose, erwarte er in Deutschland einen „zusätzlichen Gasbedarf von 30 bis 35 Prozent“. Kanzlerin Merkel setzte ihr ironisches Lächeln auf und antwortete kühl: „Schau’n wir mal.“

Großen politischen Widerstand gegen seine Expansionspläne in Deutschland muss Miller hierzulande deswegen aber kaum fürchten. Politiker wie Martin Lindner, wirtschaftspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, begrüßen die Gazprom-Pläne. „Ohne Atomkraft“, ließ der Liberale verlauten, „ist Deutschland an russischen Gaslieferungen noch mehr interessiert als früher.“

Wie groß das Interesse ist, zeigt EnBW-Chef Villis, dessen Unternehmen bisher bis zu 50 Prozent vom Atomstrom abhing. Zwei Meiler sind schon abgeschaltet, es muss dringend Ersatz her. „Der kann mittelfristig nur in Form von Gaskraftwerken dargestellt werden“, sagt ein Insider bei EnBW, „dafür muss sich der Konzern aber dringend einen Partner suchen.“ Und die Not für EnBW, einen starken Partner für das Gasgeschäft zu finden, steigt dramatisch. Im ersten Halbjahr 2011 fiel ein Verlust von 600 Millionen Euro an – auch infolge des Ausstiegs aus der Atomenergie.

Mehr als eine Röhre. Neue Quelle: AP

Nach Angaben hochrangiger EnBW-Insider hat Villis bereits Pläne in der Schublade, zumindest ein neues Gaskraftwerk in Deutschland zu bauen. Dabei sollen die Düsseldorfer Stadtwerke helfen, an denen EnBW zu 54,95 beteiligt ist. Mit den Rheinländern soll Villis Insidern zufolge die Möglichkeit prüfen lassen, in den kommenden zwei Jahren in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt einen Gasverstromer direkt am Rhein zu errichten. Schon früh habe er aber klargemacht: Ein solches Gaskraftwerk werde er nur mit einem starken russischen Partner im Rücken bauen, der den Zugang zu bezahlbarem russischem Erdgas garantiere.

Mit dem Gazprom-Fernableger Novatek könne Villis „dieses Tor zu attraktiven Beschaffungsmärkten nun aufstoßen“, sagt ein Branchenkenner. Im Umfeld von EnBW ist bereits zu hören, wie der Dreierbund mit Novatek, EnBW und Düsseldorfer Stadtwerke funktionieren könnte: Danach würden die Düsseldorfer eine Betreibergesellschaft gründen, an der sie und Novatek je 50 Prozent halten. Auf diese Weise verfügte Villis ein neues Kraftpaket, das ihm den Einstieg ins Gasstromgeschäft brächte – mit Gazprom als Nova-tek-Minderheitsaktionär im Hintergrund.

E.On im Hintertreffen mit Gazprom

Eigentlich sollte die Investitionsentscheidung der Düsseldorfer Stadtwerke für ein Gaskraftwerk bereits gefallen sein. Doch hat sich das Projekt verzögert, damit ist noch Raum für Novatek. Offiziell heißt es von den Stadtwerken dazu nur, Düsseldorf setze weiterhin „auf die Erneuerung des Kraftwerksparks“.

Bei Gazprom ins Hintertreffen geraten scheint dagegen E.On. Dabei gilt Deutschlands Branchenprimus als Pionier im Gasgeschäft mit Russland. Zwischen der Gashandelstochter Ruhrgas und Gazprom gibt es seit den Siebzigerjahren eine enge Geschäftsbeziehung. E.On war bis vor zwei Jahren mit 6,5 Prozent ein sichtbarer ausländischer Gazprom-Aktionär. Die Düsseldorfer verkauften das Aktienpaket jedoch wieder, weil sie Förderrechte für ein Gasfeld in Sibirien erhielten.

Welcher deutsche Versorger auch immer zum Gazprom-Liebling aufsteigt: Mit der forcierten Expansion der Russen stellt sich die alte Frage erneut, ob das große Reich im Osten als Gaslieferant sicher ist und Deutschland sich nicht in eine gefährlich Abhängigkeit begibt. Die Antwort lautet beides Mal ja.

Natürlich haben all jene Gaslobbyisten recht, die Gazprom als zuverlässigen Lieferanten preisen. Schon 1973 floss unter dem Eisernen Vorhang sibirisches Gas in die Bundesrepublik. Seitdem lieferten die Sowjets wie später auch Gazprom stets pünktlich. Selbst 2009, als Konzernchef Miller und Putin der zahlungssäumigen Ukraine den Gashahn abstellten, mangelte es in Deutschland nicht an Gas.

Doch wächst mit den Kooperations-fantasien auch die Abhängigkeit von den Russen. Was das in der Praxis bedeutet, lässt sich in Essen studieren. Dort sitzt die E.On-Tochter Ruhrgas. Auf den russischen Handelspartner sind die Ruhrgas-Manager derzeit schlecht zu sprechen. Ruhrgas hat langfristige Verträge mit Gazprom abgeschlossen, die teilweise bis 2020 gültig sind. Festgeschrieben ist darin eine Mindestmenge an Gas, die jedes Jahr abgenommen werden muss. Der Preis folgt mit halbjähriger Verspätung dem Ölpreis.

Auf solche Verträge pocht Gazprom-Chef Miller weiterhin. Ruhrgas bescherte das 2010 einen Verlust von einer Milliarde Euro. Das Unternehmen verlor Großhändler als Kunden, weil diese sich lieber auf Spotmärkten mit Flüssiggas aus Katar eindeckten. Das war zeitweise ein Drittel preiswerter als das Pipeline-Gas von Gazprom, das sich am steigenden Ölpreis orientiert.

Seit Dezember trifft E.On-Chef Teyssen deshalb seinen Moskauer Kollegen Miller in regelmäßigen Abständen, um wenigstens für den Eigenbedarf beim Betrieb neuer Kraftwerke einen Rabatt herauszuschlagen. „Der Wettbewerbsdruck durch Flüssiggas wird bleiben, darum ist die Ölpreisbindung ist nicht mehr zeitgemäß“, fordert ein hochrangiger E.On-Manager. „Wir müssen uns auf eine neue Preisformel verständigen.“

Gazprom bleibt stur

Doch Gazprom-Chef Miller lässt weder an der Ölpreisbindung noch an den Mindestabnahmen rütteln. Sein Verhältnis zu E.On gilt als gestört. Er lässt Termine mit E.On-Managern in letzter Minute platzen. Und das, obwohl Gazprom zusammen mit E.On als Juniorpartner die künftige Gaspipeline Nord Stream durch die Ostsee betreibt, ein Paradeprojekt für die westeuropäische Gasversorgung.

Gazprom-Chef Miller müssen solche Petitessen nicht stören. Er setzt fest darauf, dass der Anteil russischen Gases am EU-Import, wie unabhängige Experten schätzen, in 10 bis 20 Jahren von 34 Prozent auf weit über 50 Prozent steigt. Das wäre in etwa die Größenordnung, die Gazprom-Chefaufseher Subkow Kanzlerin Merkel schmackhaft zu machen versuchte.

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