Energieversorger E.On wird zur Energiebaustelle

Der neue Vorstandschef Johannes Teyssen will keinen Stein auf dem anderen lassen - der Vergleich mit den Wettbewerbern fällt aber noch glimpflich aus.

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Johannes Teyssen, Quelle: dapd

Seit Mai des vergangenen Jahres sitzt der Jurist Johannes Teyssen nun schon im Sessel des Vorstandschefs bei E.On - als Nachfolger von Wulf Bernotat, dem seine fünfjährige Amtszeit nur um zwei Jahre verlängert wurde. Zehn Monate denkt Teyssen schon über seine neue Strategie nach. Erste Gedanken ließ er schon im Sommer hochsteigen: E.On will nicht mehr nur mitteleuropäischer Energiekonzern sein, sondern weit über Europas Grenzen hinauswachsen: "Wir waren bisher eurozentriert", sagte Teyssen, der damit ein ehernes Gesetz von Aufsichtsratschef Ulrich Hartmann aufbrach, der früher selbst einmal Chef von E.On und dessen Vorgänger Veba war. Einzige Ausnahme war bisher Russland, speziell Sibirien, wo E.On zusammen mit Gazprom und Wintershall ein Gasfeld betreibt, und auch die Kraftwerke des russischen Stromproduzenten OGK-4 gehören zum Düsseldorfer Dax-Konzern.

Teyssen hat sich seit seiner Amtsübergabe mit neuen, lukrativ erscheinenden Wachstumsregionen für E.On beschäftigt. Bisher hat er sich zu den Einzelregionen nicht geäußert, nur vage Asien und Südamerika in Hintergrundgesprächen nennen lassen. Am Aschermittwoch wird sich Teyssen in der großen Glashalle der E.On-Hauptverwaltung am Rhein näher äußern. Ein Stichwort wird dabei die "independent power stations" sein, mit den E.On vor allen in Schwellenländern reüssieren will. Genau damit jedoch hat die benachbarte Steag, früher ganz in Evonik-Besitz, heute zu 51 Prozent unter Führung eines nordrhein-westfälischen Stadtwerke-Konsortiums, definitiv kein Glück gehabt. Teyssen wird auch sagen müssen, was er anders machen will als die Steag.

WIll E.On in der Golfregion expandieren?

E.On wird zur gigantischen Energiebaustelle, soviel steht fest. Am 5. Mai findet die Hauptversammlung in Essen statt. Dann spätestens wird Teyssen sich genau zur Strategie äußern, Einzelländer aufzählen und erste Projekte vorstellen. E.On will künftig nicht mehr ganze Energieunternehmen schlucken, wie es beim gescheiterten Versuch, die spanische Endesa zu übernehmen noch der Fall war, sondern ausgewählte Einzelaktivitäten kaufen. Zum Beispiel Kraftwerke in aufstrebenden Entwicklungsländern, wo der Energiehunger steigt. Gerüchten zufolge hat Teyssen auch die Golfregion für eine Expansion im Auge.

In Europa werden die Perspektiven für E.On immer düsterer. Kartellämter verhindern, dass der Energiekonzern noch wachsen kann, die politischen Widerstände sind enorm. Bei Versuch, Endesa zu übernehmen, legte sich der damalige Vorstandschef Wulf Bernotat mit fast dem gesamten Establishment in Spanien an. Energiewirtschaft wird immer noch als nationale Aufgabe begriffen - nicht zuletzt auch in Deutschland, wo sowohl RWE als auch E.On darum bemüht sind, keinen ausländischen Großaktionär aus der Energiewirtschaft hereinzulassen. Gazprom hatte zuvor schon Interesse an Aktienpaketen von beiden Versorgern Interesse gezeigt. Und war damit abgeblitzt.

Teyssen wird zum Innovator

Größtes Sorgenkind von E.On ist die Essener E.On Ruhrgas. Der Gashändler ist quasi ein Kind aus dem Kalten Krieg, als Handel und Wandel zwischen Westeuropa und der damaligen Sowjetunion eine politische Brücke bauen sollte. Die Ruhrgas schloss Anfang der siebziger Jahre langfristige, zum Teil jahrzehntelange Lieferverträge ab mit Festpreisen. Verhandlungspartner war damals das sowjetische Energieministerium. Ruhrgas verkaufte das Gas an die deutschen Stadtwerke weiter, an denen das Unternehmen, das damals noch nicht zu E.On-Vorgänger Veba gehörte, sondern selbsständig war, sogar zum großen Teil beteiligt war. Ruhrgas und die Stadtwerke bildeten einen Club, der sich auf Festpreise und Festmargen verlassen konnte. Das ist vorbei. Die Stadtwerke verstehen sich heute als Gegenspieler der großen Versorger. Sie kaufen sich das Erdgas auf Spotmärkten ein, die zur Zeit viel billiger sind. Folge: E.On Ruhrgas bleibt auf seinem Gas sitzen. Verhandlungen mit den Russen sind erfolglos. Gazprom, das staatsnahe Unternehmen regelt in der Nachfolge zu den früheren Ministerien des Kreml die Verträge mit den Westunternehmen - und zeigt sich stur. Termine von E.On-Managern werden zum Teil gar nicht mehr angenommen.

Im Management hat Teyssen schon Aktzente gesetzt. Zwar hat er am Finanzvorstand festgehalten. Aber er holte als erstes deutsches Energieunternehmen die frühere Unicef-Chefin Regine Stachelhaus als Arbeitsdirektorin ins Vorstandsteam. Damit preschte Teyssen als Innovator in der Branche mächtig vor. Keinem anderen Energievorstand gehört eine Frau an. Die Männerriege in der Spitzenposition - nur noch die Stahlindustrie versperrt sich in gleicher Weise dem Einzug von Frauen in Entscheiderrollen - wurde so zumindest bei E.On etwas aufgebrochen. Zur Zeit besetzen Frauen im E.On-Konzern elf Prozent der Führungspositionen. Teyssen gab die Zielgröße 22 Prozent aus.

E.On im Vergleich zu seinen deutschen Wettbewerbern:

RWE:

Stärke gegenüber dem zweitgrößten Versorger in Deutschland: E.On befindet sich international in einer deutlichen Vorteilposition. E.On ist mit dem Restteil, den es von Endesa im Wert von zehn Milliarden Euro nach langen Bietergefechten doch noch bekam, weitaus internationaler als RWE. Auch die Beteiligung am sibirischen Kraftwerkspark OGK-4, er sich zur Zeit besser entwickelt als erwartet, macht E.On zu einem international breiter aufgestellten Unternehmen als es der Essener Nachbar ist. Mit der Gaspipeline in der Ostsee ist E.On an einer weitgehend fertiggestellten Leitung beteiligt, während das Konkurrenzprojekt "Nabucco" von RWE und anderen europäischen Versorgern bisher noch in der Planungsphase steckengeblieben ist.

Schwäche: E.On muss einen Milliardenverlust bei E.On Ruhrgs schultern. Dem Gashändler bricht das Geschäftsmodell weg. Die Russen wollenam liebsten eine eigene Handelsorganisation in Deutschland, vielleicht mit Hilfe von Partnern, aufbauen - und die Ruhrgas somit in die Knie zwingen. Ruhrgas hat kaum Chancen, aus diesem Dilemma zu entkommen.

Vattenfall:

Stärke: Gegenüber Pleiten, Pech und Pannen der Schweden in Deutschland ist es fast schon ein Leichtes, in einer Stärkeposition zu sein. Am Pannenreaktor Krümmel bei Hamburg hält E.On 50 Prozent, die andere Hälfte gehört zu Vattenfall. Die Schweden sind jedoch Betreiber des Atommeilers, der - so wie der Meiler Brunsbüttel - seit Juli 2007 stillsteht. Sowohl bei der schleswig-holsteinischen Atomaufsicht als auch in der Führungsspitze von Vattenfall Central Europe werden zur Zeit Gedanken konkretisiert, die Betreiberrolle von Vattenfall auf E.On zu übertragen. Bis zum Frühsommer sollen die Verhandlungen zwischen E.On und Vattenfall abgeschlossen sein. Es gehört zur Mißgeschicks-Serie von Vattenfall, dass der jüngste Stromausfall im Reichstagsgebäude auch auf das Konto des schwedischen Versorgers geht. Das ist zwar faktisch nicht so schlimm, aber ein weiterer fetter Minuspunkt im Image.

Gemeinsamkeit mit Vattenfall: E.On Hanse in Hamburg musste Gaspreiserhöhungen wieder zurücknehmen, nachdem aufgebrachte Kunden nach happigen Preisaufschläge geklagt hatten. Vattenfall ist mit seinem Hamburger Versorger ebenfalls bei Hamburger Politikern kräftig wegen undurchsichtiger Preiserhöhungen in Mißkredit geraten. Noch die schwarz-grüne Koalition gründete die wieder kommunalen Stadtwerke Hamburg als Gegenpol zu Vattenfall. Der neue, SPD-geführte Senat will das fortsetzen.

EnBW:

E.On und RWE haben den baden-württembergischen Großversorger mit vier Nukearblöcken quasi abgehängt, seitdem am 6. Dezember 2010 der industrielle Großaktionär, die französische EdF, das Schiff verlassen hat. Nun gehört EnBW ganz den schwäbischen und badischen Kommunen, die allerdings zerstritten und vor allem in der Atomstrategie nicht einig sind. Einige Bürgermeister von EnBW-Kommunen sind leidenschaftliche Kernkraftgegner und warten nur darauf, nach der Landtasgswahl am 27. März, das Leben der Kernkraftwerksingenieure von EnBW so schwer wie möglich zu machen.

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