Energieversorger Warum bei E.On, RWE und Co. die Nerven blank liegen

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Gefesselter Boss Quelle: Laif

Vor allem aber die Kosten der erneuerbaren Energie sind nach gegenwärtigem Stand kaum zu kalkulieren und könnten sich schlimmstenfalls als schleichende Wohlstandskiller erweisen.

Vielfach überwiegt Hoffnung das konkrete Geschäft. RWE etwa hat deswegen das Projekt Desertec – den Plan gigantischer Solarkollektoren in den Wüsten Nordafrikas – nicht auf Vorstandsebene angesiedelt. Bei E.On ist bisher kein einziger Ingenieur mit Desertec beschäftigt. Es gibt noch kein Solarkraftwerk in der Wüste, das in nennenswerten Mengen Strom erzeugt, geschweige denn Strom über die einzige Leitung bei Gibraltar nach Europa exportiert. Immerhin soll in Marokko 2012 die erste Pilotanlage gebaut werden.

Offen ist auch, welchen Weg der Ausbau der Windenergie nimmt. Die Investition in Windräderparks bis zu 80 Kilometer weit vor den Küsten sind gigantisch und technisch noch überhaupt nicht erprobt. „Das geht nicht so schnell“, sagt Teyssen über Windstrom von hoher See. „Wir kommen da nicht wie Phönix aus der Pfütze.“

Was ist der Ausweg?

Zu hoch sind die Kosten, als dass die Stromriesen auf die Elektrizität hinterm Horizont abfahren. Allein die erforderlichen Seekabel werden internen Schätzungen der Energiebranche zufolge gut zwei Milliarden Euro kosten. Bei E.On bezifferte kürzlich Teyssens Vorgänger Wulf Bernotat die nötigen Investitionen auf rund 20 Milliarden Euro. Hinzu kommt, dass die Einspeisung des Windstroms neuartige Fern-Übertragungsnetze nötig macht. Sie müssen den elektrischen Saft von den Küsten in die Industriereviere des Westens und Südens, zu Thyssen, Daimler oder BASF unterbrechungsfrei und hoch belastbar durchleiten können.

Dabei gilt es, Spannungsabfälle bei Windflauten schnell aufzufangen und Strommassen flexibel hochfahrbarer Gaskraftwerke abzufedern. Solche Netze müssen überall im Land überhaupt erst gebaut werden.

Auch dagegen keimt Bürgerprotest, sind Blockaden von Häuslebesitzern und Anwohnern zu erwarten. So entzündeten am vergangenen Wochenende wütende Bauern im niedersächsischen Kreiensen 300 Strohballen, die weithin in den Nachthimmel loderten. „Vorsicht Freileitung“ stand auf Protestschildern. Die Landwirte forderten Erdkabel tief unter ihren Äckern – unsichtbar, vor allem viel teurer als Masten. Die konkreten Mehrkosten würden das 20-Milliarden-Euro-Investitionsprogramm, von dem Bernotat sprach, „noch einmal um fünf bis sieben Milliarden erhöhen“, schätzt ein E.On-Manager. Eine Überlandleitung kostet pro Kilometer etwa 1,8 Millionen Euro. Erdkabel werden pro Kilometer auf 4,2 Millionen Euro taxiert. Nicht nur Erdkabel, auch Gaspipe-lines sind schwer in Verruf. In Brandenburg müssen öffentliche Anhörungen zu Pipelineprojekten häufig polizeilich abgeriegelt werden. Der Andrang derjenigen, die das „Gas aus der Tiefe“ fürchten. wird immer größer.

Auch für E.On, RWE und Co. gibt es kein Patentrezept gegen die Malaise. Die Energiewirtschaft wird sich neu erfinden müssen. Ein möglicher Weg wäre der Umbau der Giganten in kleinere Einheiten. Kraftwerksbetreiber würden sich auf ihre Meiler, Vertriebler auf den Stromverkauf, Ökos auf Windanlagen und Infrastruktur-Unternehmen auf den Bau optimaler Netze konzentrieren. Die Stromriesen „müssen sich aufspalten und in kleineren Einheiten auftreten – wie Schnellboote, aber nicht mehr als Großkampfschiffe“, sagt ein Analyst. Ein schöner Nebeneffekt wäre mehr Wettbewerb, der die ständigen Strompreiserhöhungen im Gleichklang verhindern würde.

Das Zauberwort für die Branche aber heißt Energieeffizienz. Mit ihm könnten die Versorger als Berater endlich das Verhältnis zu ihren Kunden verbessern. Das Thema brandmarkte Teyssen-Vorgänger Bernotat noch als „nicht konzerntauglich“. Es sei eher ein Geschäftsfeld für den Mittelstand. Die Energieeffizienz-Firma des früheren TV-Managers und Premiere-Gründers Georg Kofler wurde ironisiert. Falsch, Herr Bernotat, Ihr Nachfolger Johannes Teyssen weiß es besser. „Wir setzen auf Energieeffizienz“, sagt Teyssen, der auch Mitglied des Weltenergierates ist.

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