Ermittlungen wegen Vertriebskartell Deutsche Telekom unter Verdacht

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Der Vorstandsvorsitzende der Quelle: dapd

Die Vorwürfe richten sich direkt gegen Obermann und seine engsten Vertrauten – den damals für Vertrieb und Service zuständigen Vorstand Timotheus Höttges (heute: Finanzen) und den damaligen Deutschland-Chef von T-Mobile Philipp Humm (heute Chef von T-Mobile USA).

Das Trio trug zwischen 2006 und 2008 die alleinige Verantwortung für die Reorganisation des Vertriebs in Deutschland. Sie waren die Architekten einer gigantischen Vertriebsoffensive. Sie stockten die Vertriebsausgaben um 250 Millionen Euro auf über 2,1 Milliarden Euro auf und suchten nach neuen Verkaufsstellen, um den Kundenschwund zu stoppen und Marktanteile zurückzugewinnen – offenbar auch mithilfe wettbewerbswidriger Absprachen mit Debitel und Freenet. Die Telekom teilte in einer offiziellen Stellungnahme mit, dass sie den Vorwurf des unlauteren Wettbewerbs sehr ernst nehme. Die vorgebrachten Behauptungen ließen aber nur den Rückschluss zu, dass hier ein Versuch zur üblen Nachrede unternommen werde. Zu weiter gehenden Details wollte die Telekom keine Stellung nehmen.

Besonders schwer wiegen die Kartellvorwürfe, weil von außen hinzugezogene Gutachter der renommierten Anwaltskanzlei Clifford Chance bereits zur Jahreswende 2006/07 Wettbewerbsverstöße feststellten – damit aber bei den Telekom-Oberen wenig Gehör fanden.

Die Top-Anwälte sprachen eine deutliche Warnung aus: Wenn Konkurrenten wie Debitel als Vertriebspartner eingesetzt werden, wird das von Behörden und Gerichten „als Beschränkung des ansonsten geltenden Geheimwettbewerbs bei der Preisstellung angesehen“, heißt es in dem Rechtsgutachten, das der WirtschaftsWoche vorliegt.

Solche Vertriebskooperationen, warnte Clifford Chance, würden nicht den Segen des Kartellamts bekommen: „Jede Form der Zusammenarbeit von Wettbewerbern im Rahmen des Vertriebs von Produkten und Dienstleistungen ist kartellrechtlich problematisch.“ Schon deshalb müsse die Telekom besondere Vorsicht walten lassen.

Das Gutachten war für die Telekom-Spitzen so ernüchternd, dass sie es in der Schublade verschwinden ließen. Die Vorstände, allen voran die in dieser Zeit für den Vertrieb verantwortlichen Höttges und Humm, wollten sich nicht von ihrer Vertriebsoffensive abbringen lassen.

Großer Fehler

Ein Jahr später, am 14. Januar 2009, legten die Anwälte ein weiteres Gutachten vor – und gingen mit den Vorständen noch schärfer ins Gericht. Die Telekom hatte zwei bisher aus wettbewerbsrechtlichen Gründen streng getrennte Vertriebsabteilungen – für Freenet als Abnehmer von Telefonnetzkapazitäten und für Freenet als Vertriebspartner – zusammengelegt. Ein zentraler Ansprechpartner für Freenet sollte sich künftig um alles kümmern.

Ein großer Fehler, urteilte Clifford Chance. Denn dadurch fällt die chinesische Mauer zwischen Großhandel und Direktvertrieb. Freenet kann anhand der Informationen über ausgehandelte Einkaufspreise, Werbekostenzuschüsse und Erfolgsprämien sofort ausrechnen, welche Produkte dem Unternehmen am meisten einbringen.

Und die in einer Abteilung vereinten Telekom-Mitarbeiter halten alle Fäden in der Hand, um den Absatz ihrer Produkte zielgenau auszusteuern. Damit „steige das Risiko eines gedämpften Preis- und Konditionenwettbewerbs und einer unzulässigen Einflussnahme auf das Wettbewerbsverhalten von Freenet“, heißt es in dem als „privilegiert und vertraulich“ gekennzeichneten Sondergutachten.

Für Obermann kommen die Vorwürfe zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Noch in diesem Monat will der Aufsichtsrat seinen im November 2011 auslaufenden Vertrag vorzeitig um weitere fünf Jahre verlängern. Der Beschluss sei nur noch Formsache, heißt es in dem Gremium.

Ruf eines Saubermanns

Arbeitgeber- und Arbeitnehmerflügel sind mit Obermanns Arbeit zufrieden. „Ihm ist es zu verdanken, dass die Telekom auf einem guten Weg ist“, loben Vertreter aus beiden Lagern. Auch die Hausdurchsuchung der Staatsanwaltschaft Bonn bei Obermann wegen Korruptionsvorwürfen bei einer Tochtergesellschaft in Mazedonien änderte daran bisher nichts.

Die Daten- und Spitzelskandale hat Obermann ohne größere Blessuren überstanden. Der Telekom-Chef hat bei einigen Aufsichtsräten sogar den Ruf eines Saubermanns erworben, weil er jedes Mal lückenlose Aufklärung verspricht und den Ermittlungsbehörden jede Unterstützung zusagt.

In diesem Fall ist das anders. Obermann war nicht nur in die Pläne zum Aufbau einer Vertriebsoffensive eingeweiht, die jetzt vom Kartellamt wegen möglicher Wettbewerbsverstöße untersucht wird. Er hat sie zusammen mit seinen Vertrauten Höttges und Humm in großen Teilen sogar selbst ausgearbeitet und bis zuletzt auch deren Realisierung kontrolliert.

Minutiös zeichnen die der WirtschaftsWoche vorliegenden Dokumente nach, wie Obermann & Co. in mehreren Etappen und unbemerkt von den Wettbewerbshütern die Konkurrenten Debitel und Freenet zu bevorzugten Vertriebspartnern umgewandelt haben, damit sie in ihren Shops und Callcentern eine stetig steigende Zahl von Original-Angeboten der Telekom-Töchter T-Mobile und T-Home vermarkten.

Den Grundstein für dieses Vertriebskartell legt Obermann persönlich. Bereits im Sommer 2006, wenige Monate vor seinem Aufstieg an die Telekom-Spitze, hat der damalige T-Mobile-Chef auch die Verantwortung für den stationären Handel übernommen und einen ehrgeizigen Plan vorgelegt.

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