Ermittlungen wegen Vertriebskartell Deutsche Telekom unter Verdacht

Der Vertrag von Vorstandschef René Obermann soll vorzeitigverlängert werden. Der Aufsichtsrat rechnet ihm die Erfolge bei der Sanierung des Deutschlandgeschäfts hoch an. Dabei steht ein Teil der Verkaufserfolge unter dem Verdacht, dass sie durch den Aufbau eines Vertriebskartells mit den Konkurrenten Debitel und Freenet zustande gekommen sind. Jetzt ermittelt das Kartellamt.

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Wie viel Geld die Deutsche Telekom in den Vertrieb gepumpt hat

Da liegt sie, die Präsentation mit dem Vermerk „streng vertraulich“, die in der Telekom-Zentrale nur ein paar handverlesene Top-Manager kennen. Charts mit dem magentafarbenen T, ein gutes Dutzend verschiedenfarbige rechteckige Kästchen, ein paar durchgezogene und schraffierte Linien und mehrere schwarze Pfeile zeigen ein auf den ersten Blick kaum zu entwirrendes Beziehungsgeflecht. Mit viel Liebe zum Detail hat ein Manager der Mobilfunksparte T-Mobile aufgemalt, wie er sich die „strategische Zusammenarbeit“ mit dem Konkurrenten Freenet vorstellt und welche Kunden künftig von welchem Unternehmen betreut werden.

Bei näherem Hinsehen birgt diese Tischvorlage, die T-Mobile für das Treffen mit Vorständen des Konkurrenten Freenet am 17. Juni 2008 anfertigte und die der WirtschaftsWoche vorliegt, brisante Details: So sollte zum Beispiel eine „kleine Zahl besonders wertvoller Kunden“ von Freenet zu T-Mobile „migriert“, also verschoben werden.

Bedenkliche Absprachen

„Strategische Zusammenarbeit“ mit einem direkten Wettbewerber? Und dieser soll einige seiner besten Kunden an die Telekom abtreten? Klingt verwirrend – und jedenfalls nicht nach einer legalen Form der Zusammenarbeit. Das sieht auch das Bundeskartellamt so: „Es gibt einen Verdacht für kartellrechtlich bedenkliche Absprachen.“ Die Bonner Wettbewerbshüter prüfen, ob sie in den kommenden Tagen ein Verfahren gegen die Telekom einleiten.

Leidtragende des mutmaßlichen Vertriebskartells sind die Kunden. Denn durch gesetzwidrige Absprachen bekommen sie im Vertrauen auf ein vermeintlich objektives Angebot unter Umständen zu teure Verträge aufgeschwatzt.

Möglich wurde das durch eine Doppelrolle, die erst der Telefondienste-Anbieter Debitel und nach dessen Verkauf 2008 der Freenet-Konzern bei der Deutschen Telekom eingenommen hat. Mit den Marken Debitel, Mobilcom und Talkline betreut das in Hamburg ansässige Unternehmen 17 Millionen Handykunden und ist zu einem der stärksten Konkurrenten der Telekom aufgestiegen. Freenet beliefert wichtige Verkaufsstellen wie die Großmärkte Saturn und Media Markt sowie die Warenhäuser Kaufhof und Karstadt. Zugleich gehören zu Debitel/Freenet aber auch die über 400 Telefonshops des Filialisten dug. Die Kette ist ein wichtiger Telekom-Vertriebspartner.

Bevorzugt Telekom

Dort wurden pro forma zwar Telefon- und Internet-Verträge mit allen Anbietern verkauft. De facto gingen jedoch vor allem Telekom-Produkte über die Ladentheken. Denn mit Zuschüssen in Millionenhöhe gehört dug zu den Hauptprofiteuren einer Verkaufsoffensive, mit der Telekom-Chef René Obermann den Abstand zum Konkurrenten Vodafone vergrößern, den Kundenschwund im Festnetz stoppen und den Marktanteil bei neu gewonnenen Internet-Anschlüssen schnell von 17 auf 43 Prozent steigern konnte (siehe Grafik links).

Aufsichtsräte rechnen Obermann diese Vertriebserfolge hoch an. Vor allem wegen dieser Lorbeeren bei der Sanierung des Heimatmarktes Deutschland soll sein Vertrag als Vorstandschef auf einer der nächsten Aufsichtsratssitzungen um weitere fünf Jahre verlängert werden.

Ein Teil der Verkaufserfolge ist jedoch, wie sich jetzt zeigt, auf rechtlich zweifelhafte Weise zustande gekommen. Den Verdacht schürt jedenfalls ein Stapel interner Papiere und E-Mails, die mehrere Manager unabhängig voneinander der WirtschaftsWoche übergeben haben.

Mehrere zwischen 2006 und 2008 mit den Konkurrenten Debitel und Freenet getroffene Geheimabsprachen der Telekom verfolgten offenbar das Ziel, ein geschickt getarntes Vertriebskartell aufzubauen. Debitel und Freenet haben in ihren Shops den Kunden Wettbewerb vorgegaukelt, obwohl die Läden die Vorgabe hatten, hauptsächlich Kunden für die Telekom und ihre damaligen Töchter T-Mobile und T-Home zu gewinnen.

Die 7. Beschlusskammer des Kartellamts wertet die Absprachen als Einschränkung des Wettbewerb: Marktführer wie die Telekom zementierten damit ihre herausragende Stellung auf dem deutschen Telekommunikationsmarkt. So ist der Marktanteil netzunabhängiger Mobilfunkdienstleister seit 2006 kontinuierlich auf zuletzt nur noch 23 Prozent gesunken, wie die Bundesnetzagentur in ihrem jüngsten Jahresbericht feststellt.

Der Vorstandsvorsitzende der Quelle: dapd

Die Vorwürfe richten sich direkt gegen Obermann und seine engsten Vertrauten – den damals für Vertrieb und Service zuständigen Vorstand Timotheus Höttges (heute: Finanzen) und den damaligen Deutschland-Chef von T-Mobile Philipp Humm (heute Chef von T-Mobile USA).

Das Trio trug zwischen 2006 und 2008 die alleinige Verantwortung für die Reorganisation des Vertriebs in Deutschland. Sie waren die Architekten einer gigantischen Vertriebsoffensive. Sie stockten die Vertriebsausgaben um 250 Millionen Euro auf über 2,1 Milliarden Euro auf und suchten nach neuen Verkaufsstellen, um den Kundenschwund zu stoppen und Marktanteile zurückzugewinnen – offenbar auch mithilfe wettbewerbswidriger Absprachen mit Debitel und Freenet. Die Telekom teilte in einer offiziellen Stellungnahme mit, dass sie den Vorwurf des unlauteren Wettbewerbs sehr ernst nehme. Die vorgebrachten Behauptungen ließen aber nur den Rückschluss zu, dass hier ein Versuch zur üblen Nachrede unternommen werde. Zu weiter gehenden Details wollte die Telekom keine Stellung nehmen.

Besonders schwer wiegen die Kartellvorwürfe, weil von außen hinzugezogene Gutachter der renommierten Anwaltskanzlei Clifford Chance bereits zur Jahreswende 2006/07 Wettbewerbsverstöße feststellten – damit aber bei den Telekom-Oberen wenig Gehör fanden.

Die Top-Anwälte sprachen eine deutliche Warnung aus: Wenn Konkurrenten wie Debitel als Vertriebspartner eingesetzt werden, wird das von Behörden und Gerichten „als Beschränkung des ansonsten geltenden Geheimwettbewerbs bei der Preisstellung angesehen“, heißt es in dem Rechtsgutachten, das der WirtschaftsWoche vorliegt.

Solche Vertriebskooperationen, warnte Clifford Chance, würden nicht den Segen des Kartellamts bekommen: „Jede Form der Zusammenarbeit von Wettbewerbern im Rahmen des Vertriebs von Produkten und Dienstleistungen ist kartellrechtlich problematisch.“ Schon deshalb müsse die Telekom besondere Vorsicht walten lassen.

Das Gutachten war für die Telekom-Spitzen so ernüchternd, dass sie es in der Schublade verschwinden ließen. Die Vorstände, allen voran die in dieser Zeit für den Vertrieb verantwortlichen Höttges und Humm, wollten sich nicht von ihrer Vertriebsoffensive abbringen lassen.

Großer Fehler

Ein Jahr später, am 14. Januar 2009, legten die Anwälte ein weiteres Gutachten vor – und gingen mit den Vorständen noch schärfer ins Gericht. Die Telekom hatte zwei bisher aus wettbewerbsrechtlichen Gründen streng getrennte Vertriebsabteilungen – für Freenet als Abnehmer von Telefonnetzkapazitäten und für Freenet als Vertriebspartner – zusammengelegt. Ein zentraler Ansprechpartner für Freenet sollte sich künftig um alles kümmern.

Ein großer Fehler, urteilte Clifford Chance. Denn dadurch fällt die chinesische Mauer zwischen Großhandel und Direktvertrieb. Freenet kann anhand der Informationen über ausgehandelte Einkaufspreise, Werbekostenzuschüsse und Erfolgsprämien sofort ausrechnen, welche Produkte dem Unternehmen am meisten einbringen.

Und die in einer Abteilung vereinten Telekom-Mitarbeiter halten alle Fäden in der Hand, um den Absatz ihrer Produkte zielgenau auszusteuern. Damit „steige das Risiko eines gedämpften Preis- und Konditionenwettbewerbs und einer unzulässigen Einflussnahme auf das Wettbewerbsverhalten von Freenet“, heißt es in dem als „privilegiert und vertraulich“ gekennzeichneten Sondergutachten.

Für Obermann kommen die Vorwürfe zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Noch in diesem Monat will der Aufsichtsrat seinen im November 2011 auslaufenden Vertrag vorzeitig um weitere fünf Jahre verlängern. Der Beschluss sei nur noch Formsache, heißt es in dem Gremium.

Ruf eines Saubermanns

Arbeitgeber- und Arbeitnehmerflügel sind mit Obermanns Arbeit zufrieden. „Ihm ist es zu verdanken, dass die Telekom auf einem guten Weg ist“, loben Vertreter aus beiden Lagern. Auch die Hausdurchsuchung der Staatsanwaltschaft Bonn bei Obermann wegen Korruptionsvorwürfen bei einer Tochtergesellschaft in Mazedonien änderte daran bisher nichts.

Die Daten- und Spitzelskandale hat Obermann ohne größere Blessuren überstanden. Der Telekom-Chef hat bei einigen Aufsichtsräten sogar den Ruf eines Saubermanns erworben, weil er jedes Mal lückenlose Aufklärung verspricht und den Ermittlungsbehörden jede Unterstützung zusagt.

In diesem Fall ist das anders. Obermann war nicht nur in die Pläne zum Aufbau einer Vertriebsoffensive eingeweiht, die jetzt vom Kartellamt wegen möglicher Wettbewerbsverstöße untersucht wird. Er hat sie zusammen mit seinen Vertrauten Höttges und Humm in großen Teilen sogar selbst ausgearbeitet und bis zuletzt auch deren Realisierung kontrolliert.

Minutiös zeichnen die der WirtschaftsWoche vorliegenden Dokumente nach, wie Obermann & Co. in mehreren Etappen und unbemerkt von den Wettbewerbshütern die Konkurrenten Debitel und Freenet zu bevorzugten Vertriebspartnern umgewandelt haben, damit sie in ihren Shops und Callcentern eine stetig steigende Zahl von Original-Angeboten der Telekom-Töchter T-Mobile und T-Home vermarkten.

Den Grundstein für dieses Vertriebskartell legt Obermann persönlich. Bereits im Sommer 2006, wenige Monate vor seinem Aufstieg an die Telekom-Spitze, hat der damalige T-Mobile-Chef auch die Verantwortung für den stationären Handel übernommen und einen ehrgeizigen Plan vorgelegt.

Bis 2008, so die vom Vorstand abgesegnete Vertriebsoffensive, soll das magentafarbene T alle Einkaufsstraßen und Shoppingcenter erobern. 1000 T-Punkte, 1000 neue Fachhändler – sogenannte T-Partner – und 1000 zusätzliche Verkaufsstellen in Kooperation mit anderen Distributoren sollen dafür sorgen, dass kein Kunde mehr an der Telekom vorbeikommt.

Für Obermann ist dies die Erfüllung eines Traums. Omnipräsenz auf der Straße – das bringe Kunden und Marktanteile, erklärt er mehrfach auf internen Sitzungen. „Jeder Kunde muss einen Telekom-Shop in wenigen Minuten erreichen können.“

Der Plan enthält jedoch eine große Unbekannte. Hält Debitel, mit 13 Millionen Kunden der größte netzunabhängige Mobilfunkdienstleister und damit auch einer der größten T-Mobile-Konkurrenten, an seiner Neutralität fest, bleibt die Verkaufsoffensive der Telekom auf halber Strecke stecken.

Debitel beliefert für den Massenvertrieb so wichtige Absatzkanäle wie die Elektronik-Großhändler Saturn und Media Markt sowie die Warenhäuser Kaufhof und Karstadt. Mehrmals klopft der Obermann-Vertraute Humm bei der Media-Saturn-Holding an, um mit den Vorständen über ein Vertriebsbündnis mit der Telekom zu diskutieren. Doch die lassen ihn abblitzen.

Wegbereiter für Fusion

Umso beherzter greift die Telekom zu, als sich eine andere Chance eröffnet. Debitel will den vor allem in Ostdeutschland starken Shop-Filialisten dug übernehmen – und braucht dafür die Zustimmung des Ex-Monopolisten. Entsprechende Klauseln hatte die Telekom in die Verträge mit dug aufgenommen. Die Telekom hatte den dug-Gründern Lars Dittrich und Alexander Grella Zuschüsse in Höhe von 55.000 Euro pro Shop gezahlt, damit sie innerhalb weniger Jahre den größten Handyfilialisten zwischen der Ostsee und dem Erzgebirge aufbauen. Ostdeutschland war fest in der Hand von Vodafone, da wollten Obermann, Höttges und Humm mit dug ein Gegengewicht schaffen.

Für Obermann steht viel auf dem Spiel. Geht dug an Debitel, verliert er auch die Kontrolle über 400 Shops, die bisher überwiegend Telekom-Produkte verkaufen. In diesem Fall hätte die Telekom ein vertraglich zugesichertes Veto-Recht gezogen. Doch dies ist nicht nötig. Debitel knüpft die Übernahme von dug an die Zusage, auch in ihren anderen Shops und Vertriebskanälen künftig stärker die Original-Angebote der Telekom zu verkaufen.

Mit der Übernahme von dug bekommt Debitel eine Doppelrolle, die die Telekom im Laufe des Jahres 2007 immer stärker ausnutzt. Einerseits bleibt Debitel einer der größten Konkurrenten, der zu Großhandelskonditionen bei der Telekom einkauft und daraus eigene Angebote schnürt und unter der Marke debitel verkauft. Zugleich steigt Debitel mit den dug-Filialen auch zu einem der größten Vertriebspartner der Telekom auf, der deren Original-Angebote auch in seinen Shops verkauft.

Durch Werbekostenzuschüsse, Akquisitionsprämien und Bonus-Zahlungen für das Erreichen vorher festgelegter Absatzziele bestimmt nun die Telekom, welche Produkte Debitel den Kunden zuerst anbietet und welche erst bei mehrmaligen Nachfragen auf den Ladentisch kommen.

Gedrehte Kunden

Bei den Konkurrenten bestätigen sich die schlimmsten Befürchtungen. Regelmäßig schickt Vodafone Testkäufer in die dug-Shops – und die kommen jedes Mal mit der gleichen Botschaft zurück: „Die Kunden werden gedreht“, melden die Mitarbeiter. Soll heißen: Auch wer mit der festen Absicht, einen Vodafone-Vertrag abschließen zu wollen, einen dug-Shop betrat, ging später als T-Mobile-Kunde wieder heraus. „Eigentlich waren die dug-Shops verkappte Filialen der Telekom“, sagt ein Insider, der für dug und die Deutsche Telekom arbeitete.

Aus der Liaison wird eine harmonische Dreiecksbeziehung, die alle Beteiligten glücklich macht. Die Telekom kann einen wichtigen Vertriebskanal unter ihre Kontrolle bringen. Die angeschlagene Debitel findet mithilfe der üppigen Provisionen für die stark steigenden Telekom-Abschlüsse auf einen kaum noch für möglich gehaltenen Wachstumspfad zurück. Und der Finanzinvestor Permira, Mehrheitseigner von Debitel, kann seine Braut zum profitablen Verkauf herausputzen.

Mehrmals trifft sich in dieser Zeit T-Mobile-Chef Humm mit Permira-Partnern – darunter auch Thomas Jetter. Die beiden tauschen auch unter vier Augen Ideen aus, die von Vorteil für beide Seiten sind. In den Gesprächen deuten Permira-Manager mehrmals an, dass sie Debitel-Anteile bereits 2008 abstoßen wollen. Um die erhofften Verkaufserlöse in Höhe von rund 500 Millionen Euro erzielen zu können, muss Debitel also bereits 2007 in die schwarzen Zahlen zurückkehren.

Der Kraftakt kann nur gelingen, wenn die Telekom mit Debitel noch enger zusammenrückt und Debitel ein hervorragendes Schlussquartal vorlegt. Mit ihren Pendants bei Debitel fixiert die Telekom deshalb am 25. Oktober die Details einer überaus einträglichen Jahresendrallye. Die „konsolidierte Sichtweise unserer Gespräche“ schreibt ein T-Mobile-Manager am 1. November 2007 in einer E-Mail an seinen Kollegen bei Debitel: „Die Deutsche Telekom ist bereit, im Sinne unserer strategischen und partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit dug/Debitel Sie im Jahresendgeschäft 2007 zu unterstützen.“

Für Debitel ein Sechser im Lotto: In den verbleibenden zwei Monaten bis Ende 2007 verspricht T-Mobile „zusätzliche Ergebnischancen in Höhe von sechs Millionen Euro“ und „Kulanzen in Höhe von 10,25 Millionen Euro“ – zusammen also rund 16 Millionen Euro. Ein Teil der Zuwächse bei Debitels Gewinn im Geschäftsjahr 2007 ist auf diese zusätzlichen Einnahmen zurückzuführen.

Die Telekom teilte in einer offiziellen Stellungnahme mit, dass sie den Vorwurf des unlauteren Wettbewerbs sehr ernst nehme. Zu weiter gehenden Details wollte sie keine Stellung nehmen.

Die Begeisterung ist offenbar so groß, dass das Kartell schon wenige Tage später formell Konturen annimmt. Der Debitel-Vorstand trifft sich turnusgemäß am 8. November, und der designierte Vorstandsvorsitzende Oliver Steil nutzt die erste Sitzung nach seiner Ernennung, um seine Pläne vorzustellen. Steil plädiert für einen noch engeren Schulterschluss mit der Telekom. In einer „strategischen Charta“, die die WirtschaftsWoche bei einem Debitel-Manager einsehen konnte, schlägt Steil erstmals offiziell vor, die Unabhängigkeit von Debitel aufzugeben und „der Deutschen Telekom eine bevorzugte Vermarktung einzuräumen“. Konkret soll Debitel „einen überproportionalen Marktanteil der Telekom-Produkte anstreben“. Gleichzeitig empfiehlt sich Steil als „Primärpartner für die T-Punkte-Organisation“ und will „überproportional am T-Punkt-Wachstum“ teilnehmen. Soll heißen: Debitel will künftig mehr T-Shops eröffnen als die Telekom und damit zum Gelingen von Obermanns Verkaufsoffensive beitragen.

Richtig eng wird die Zusammenarbeit während der Übernahmeverhandlungen zwischen Freenet und Debitel im April 2008. Weil die dug-Shops hinter die Planvorgaben zurückfallen, schalten T-Mobile-Manager offenbar Sicherheitsvorkehrungen ab und ermöglichen den Händlern so nicht erlaubte Massenabfragen von Kundendaten, die zu Vertragsverlängerungen genutzt werden (siehe Kasten Seite 51).

Hürden aus dem Weg geräumt

Die Kooperation geht so weit, dass der Telekom-Vorstand wenige Wochen später persönlich Hürden beim Verkauf von Debitel aus dem Weg räumt. Die Übernahmeverhandlungen mit Freenet wären in letzter Sekunde gescheitert, wenn die Telekom auf der Übernahme der ursprünglichen Sicherungsvereinbarung in Höhe von rund 100 Millionen Euro bestanden hätte. Diese Vereinbarung hatte T-Mobile mit Debitel Anfang der Neunzigerjahre abgeschlossen, um sich gegen Forderungsausfälle abzusichern. Als künftiger Eigner hätte Freenet eine Bankbürgschaft vorlegen müssen, um die Ausfallrisiken abzusichern. Doch damit tat sich die hoch verschuldete Freenet schwer. Denn der Kreditrahmen war längst ausgeschöpft.

„Debitel und Freenet haben mit der Sicherungsvereinbarung ein großes Problem, dessen Lösung sie sich etwas kosten lassen würden“, heißt es in einer kurz vor Abschluss der Übernahmeverhandlungen am 21. April 2008 verfassten E-Mail eines Managers aus der Rechtsabteilung an T-Mobile-Chef Humm. „Wir sollten unser Risiko aus unseren Forderungen an einem hoch verschuldeten Freenet-Konzern nicht auf die leichte Schulter nehmen.“

Ein anderer Manager pflichtet ihm bei: „Meines Erachtens ist das Risiko für uns zu hoch. Die Transaktion scheint nahezu das gesamte Eigenkapital der Debitel zu vernichten.“

Humm wollte den Deal jedoch nicht scheitern lassen und modifizierte die Sicherungsvereinbarung so, dass Freenet keine Bankbürgschaft über 100 Millionen Euro mehr brauchte. Acht Wochen später verhandelte T-Mobile mit Freenet über die „Migration“ der wertvollsten Kunden. Freenet sollte sich für das Entgegenkommen offenbar erkenntlich zeigen.

Neuer Verdacht

Die „strategische Zusammenarbeit“ mit Freenet legte die Telekom erst ad acta, als die Protagonisten eines engeren Schulterschlusses mit der Deutschen Telekom – die Debitel-Vorstände Steil und Dittrich – ihre Posten bei Freenet im Herbst 2008 beziehungsweise im Frühjahr 2009 aufgaben. Als größter netzunabhängiger Anbieter, heißt es bei Freenet, achte man inzwischen wieder verstärkt darauf, keinen Netzbetreiber bevorzugt zu bedienen.

Telekom-Manager hegen noch einen weiteren Verdacht. „Vielleicht sind ja schon in dieser Nacht Absprachen über den späteren Verkauf des Online-Dienstleisters Strato getroffen worden“, vermutet ein Insider. Klar war schon damals, dass Freenet den Schuldenstand verringern und einige Tochtergesellschaften verkaufen musste. Als Perle galt die in Berlin ansässige Strato, die Web-Dienste für Privatleute und Kleingewerbetreibende anbietet.

Freenet-Chef Christoph Vilanek hat Strato dann im November 2009 für 275 Millionen Euro an die Telekom verkauft – Konkurrent United Internet hatte ein genauso hohes Angebot abgegeben.

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