Eurovision Song Contest Melodien für Millionen

Bürgermeister, Unternehmen und Fernsehsender stecken Millionen in Europas größtes Schlagerspektakel. Doch von den Ausgaben werden nur wenige viel und viele wenig profitieren.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Eurovision Song Contest Quelle: handelsblatt.com

Thomas Schreiber steht in der Düsseldorf-Arena und blickt respektvoll zur mehr als 45 Meter hohen Hallendecke. "Da oben hängen jetzt gut und gerne 180 Tonnen Material", raunt der Unterhaltungschef der ARD. Eine solche Materialschlacht hat Deutschlands Erstes schon lange nicht mehr geschlagen. 2200 Scheinwerfer, eine im Durchmesser 13 Meter große Bühne, dahinter eine 1080 Quadratmeter große LED-Wand, dazu 25 Kameras und 90 Mikrofone – alles für das Finale des Eurovision Song Contest, kurz: ESC, am kommenden Samstag in Düsseldorf.

Mehr als 30 Millionen Euro wird das größte TV-Event, das der alte Kontinent derzeit zu bieten hat, voraussichtlich verschlingen. Ein Jahr nach dem Triumph der deutschen Schlagerhoffnung Lena Meyer-Landrut steckt allein die ARD als hiesiger Veranstalter mehr als zwölf Millionen Gebühren-Euro in das Spektakel. Die Stadt Düsseldorf ist als Gastgeber mit mindestens zehn Millionen Euro dabei. Unternehmen machen als Sponsoren ebenfalls Millionen für den Lieder-Wettstreit locker.

ARD träumt von größter Show der Welt

Doch ob sich die Musiksause für alle Geldgeber lohnt und sich die Investitionen je rechnen, steht in den Sternen. Während ein Teil der beteiligten Unternehmen auf der sicheren Seite steht oder Aufwand und Ertrag zumindest hart kalkuliert, setzen die öffentlich-rechtlichen Finanziers in erster Linie auf das Prinzip Hoffnung – vielleicht bringt es ja was. Die europaweite Schlagerschau, die vor 55 Jahren mit sieben Teilnehmern im schweizerischen Lugano startete, erlebt derzeit immerhin eine Art Wiedergeburt. Nach einer Phase der Agonie und des Niedergangs gehen diesmal Sänger aus 43 Ländern an den Start. Der Veranstalter, die Europäische Rundfunkunion, ein Zusammenschluss von 86 staatlichen und öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, rechnet mit bis zu 120 Millionen Zuschauern in mehr als 55 Ländern – beide Halbfinale und Finale zusammengerechnet.

Damit steht der Schlagerzirkus von der Algarve bis Aserbaijan zugleich an einem Wendepunkt: Hocken die Fans wie im Vorjahr in Massen vor dem Fernseher, profitieren die Sponsoren und steigt auch noch die musikalische Qualität, winkt der Trällerveranstaltung wirtschaftlich eine große Zukunft. "Das kann die größte Show der Welt werden", träumt ARD-Manager Schreiber.

Darauf bauen nicht zuletzt die fünf Groß-Sponsoren Henkel, Metro Group, Lufthansa, Vodafone und der Schokoladenhersteller Trumpf, die am Ende die größten Gewinner der Party sein könnten. Ob sie es wirklich werden, hängt davon ab, wie sehr die Musik beim Publikum einschlägt.

Denn was nützt noch die größte Material- und Werbeschlacht, wenn am Ende nur belanglose Pop-Nümmerchen zu hören sein werden und die Zuseher in aller Welt mit Grausen abschalten. Titel wie „Haba Haba“ (Norwegen), „Boom Boom“ (Armenien) oder „Ding Dong“ (Israel) klingen allenfalls bizarr. Im schlimmsten Fall drohen daher: ein maues Sieger-Lied und 42 Schauer-Schlager – plus wenige Gewinner und viele, die nur in die Röhre schauen.

Historische Fernseher Quelle: dpa

Selber singen wird er nicht. Ansonsten kümmert sich TV-Manager Schreiber um fast alles bei der Schlagersause. Schreiber ist bei der ARD, mit einem Umsatz von 6,3 Milliarden Euro auf Rang 17 der weltgrößten Medienkonzerne, der Mann fürs Bunte. Meist in Anzug, Hemd und Krawatte gewandet, verströmt der 51-Jährige den Charme eines seriösen, bedächtigen Sachbearbeiters. Und doch war er es, der den Song Contest in Kooperation mit dem Privatsender ProSieben und seinem Star Stefan Raab aufmöbelte.

Für Schreiber kommt es Samstag auf zweierlei an: Erstens muss die teure Show perfekt funktionieren. Sein Heimatsender NDR ist verantwortlich dafür, dass die Übertragung in jeder der geplanten 195 Sendeminuten klappt und jedes der 55 angeschlossenen Länder seine Bilder bekommt. Zweitens müssen die ARD-Quoten stimmen. 2010 hatten beim Finale fast 15 Millionen eingeschaltet. Gar mehr als 60 Prozent betrug der Marktanteil bei den 14- bis 29-Jährigen. Das ist auch diesmal Schreibers Messlatte, alles darunter dürften seine ARD-Kollegen als Niederlage empfinden. Denn dem Ersten dient die Schlagerorgie nicht zuletzt dazu, sich auf jugendlich zu trimmen. Immerhin liegt der Altersdurchschnitt der Zuschauer sonst oft deutlich jenseits der 60 Jahre.

ARD legt beim Grand Prix drauf

Dass Schreiber keine tiefschürfendere Kritik an dem Millionenaufwand erntete, liegt auch daran, dass die Gebührenfunker in all den musikalisch so erfolglosen Jahren vor Lena preiswert an die Ausstrahlung der bisherigen Wettbewerber kamen: Der jeweilige Gastgeber zahlte für die Party, die angeschlossenen Anstalten mussten nur eine Art Eintrittsgebühr überweisen. In diesem Jahr schießt die Europäische Rundfunkunion als Rechteinhaberin 3,8 Millionen Euro aus dem Ergebnis als Sockelbetrag dem NDR zu.

Weitere Einnahmen erzielt die ARD über Werbung im Umfeld der täglichen Sendungen zum Contest, die von diesem Montag an laufen, sowie aus dem Verkauf von 100 000 Show-Tickets. Wie viel der bringt, konnte der NDR noch nicht sagen. Die beiden nationalen Sponsoren – der Nutzfahrzeughersteller MAN und der E-Mail-Anbieter GMX – geben Geld und Dinge, etwa die 43 Reisebusse, mit denen die Delegationen durch Düsseldorf kurven. Unterm Strich wird der Song Contest für die ARD wohl zum Zuschussgeschäft.

Stefan Raab als Mitmoderator des Finales und Lena als Deutschlands Sangeshoffnung sind nur die sichtbaren Hinweise auf die Rolle, die einer der größten deutschen TV-Produzenten beim Contest spielt: Brainpool. Das Unternehmen mit Sitz in Köln produziert im schnöden TV-Alltag unter anderem Raabs Comedy-Sendung „TV total“ sowie seine zahlreichen Groß-Shows und vermarktet über ein Tochterunternehmen Lena. In Düsseldorf zieht Brainpool an noch größeren Strippen. Im Auftrag des NDR laufen die Fäden für die gesamte Produktion der Show bei Brainpool-Chef Jörg Grabosch – helle Windjacke, blauer Schal, kahler Kopf – zusammen. Unter seinen Fittichen stehen die mehr als 100 Subunternehmen, die die Düsseldorfer Arena in ein TV-Studio verwandelten – vom Generatorenverleiher Aggreko aus Aachen über die Spezialeffekte-Firma LunatX aus Düsseldorf bis zum Bühnenbauer MCI aus Hamburg. "Wir wickeln die ganze Show für den NDR ab, so wie wir auch Produktionen für ProSieben machen", sagt Grabosch.

Brainpool gehört zu 50 Prozent der international vernetzten französischen TV-Produktionsfirma Banijay, hinter der Investoren wie der italienische Industrieclan Agnelli (Fiat) und die französische Dynastie Arnault stehen, denen der Luxuskonzern LVMH (Louis Vuitton, Moet) gehört. Die übrigen Anteile verteilen sich zu gleichen Teilen auf Raab, Grabosch, Mitgeschäftsführer Ralf Günther sowie den Kölner Anwalt Andreas Scheuermann.

Fußball Länderspiel: Quelle: dpa

Weit unauffälliger als Brainpool-Chef Grabosch verdient ein stiller Mann aus der Schweiz an dem Spektakel: Bernhard Burgener. Der Eidgenosse ist Chef des Münchner Konzerns Constantin Medien, an dem auch Ex-Filmhändler Leo Kirch, dessen Firmenimperium 2002 unterging, mit fast 20 Prozent beteiligt ist. Zum weiten Reich von Burgener gehört neben Deutschlands wichtigstem Filmproduzenten Constantin Film ("Das Parfüm") auch die kleine, feine Sportvermarktungsagentur Team mit Sitz im Schweizer Ort Zug. Team ist eine Ertragsperle: 2010 konnte die Agentur ihren Umsatz um acht Prozent auf 100,9 Millionen Franken steigern – bei einer Umsatzrendite von stolzen 41 Prozent.

Team erfand 1992 das Sponsoring-Konzept für die Fußball-Champions-League: Möglichst wenige Sponsoren, dafür zahlen die umso mehr an den Veranstalter. Im Gegenzug erhalten sie das Alleinrecht, die Zuschauer zu umwerben. Wenn Team anrückt, müssen Europas Stadien werbefrei sein. Nur UniCredit, Ford, Heineken und wenige andere Auserwählte dürfen auf den Stadionbanden, auf Werbetafeln bei Fernsehinterviews und in der TV-Werbung während der Halbzeitpause auftauchen. Das funktioniert so gut, dass das Team damit die Blaupause für das Sponsoring von WM, EM und Olympia lieferte – und nach dem Muster seit 2004 auch den Eurovision Song Contest vermarktet. Der Vertrag mit der Europäischen Rundfunkunion wurde bis 2015 verlängert. Team-Manager Ferdinand von Strantz sagt: „Wir sind als weltweiter Vermarkter sehr zufrieden mit dem ESC – die Veranstaltung entwickelt sich von Jahr zu Jahr immer besser. Alle internationalen Sponsoring-Positionen sind vergeben.“

Die Hoffnungsvolle

Nur kurze Zeit brauchte der Aufbau, dann stand die Light-Box hier, am südlichen Ende von Düsseldorfs Vorzeige-Meile Kö. Aus großen Fenstern hat Tina Müller dort gerade alles im Blick. Die Light-Box ist ein zwei Stockwerke hoher, mit hellen Stoffbahnen verkleideter Stahlkoloss, der auf Stelzen über dem Fußweg einer Grünanlage schwebt und auf dessen Fassade Silhouetten nach dem Vorbild des Logos der Haarpflegemarke Schwarzkopf zu sehen sind. Entworfen hat die mobile Kiste der Modeschöpfer Karl Lagerfeld. Ist der Song Contest zu Ende, wird die Box abgebaut und reist gen Mailand und Paris, neuen Werbezwecken entgegen.

Müller ist bei Henkel die weltweite Marketingchefin für Kosmetik und gerade recht zufrieden mit sich und der Welt: Kein anderer Sponsor ist im Stadtbild so sichtbar mit dem ESC verbunden wie die Henkel-Marke Schwarzkopf. Auf Fahnen und Plakaten sticht das Logo direkt ins Auge: "Schön in die Mitte gerückt", sagt Marketingprofi Müller, "nicht nach links, da schaut ja keiner hin."

Müllers Trumpf im Rennen um den begehrten Sponsoren-Platz war ihre Schnelligkeit – kaum stand fest, dass der nächste Song Contest in Deutschland stattfinden würde, griff sie zu. Wie viele Millionen sich Henkel das kosten lässt, verrät sie nicht. Es lockte die Chance, die Marke mithilfe der Schlagerparade zu verjüngen. "Das hat in Moskau 2009 auch schon sehr gut funktioniert", sagt Müller – die Schwarzkopf-Marke Drei-Wetter-Taft, die vor zwei Jahren als Sponsor auftrat und in Russland den Markt anführte, steigerte danach weiter spannkräftig ihre Marktanteile.

In Düsseldorf, wo Henkel seinen Hauptsitz hat, ist Schwarzkopf gleich mehrere Nummern größer eingestiegen – und setzt erstmals massiv auf Werbung im Internet. Dazu erfand die Agentur Tribal DDB die Web-Seite „The Look of Music“, auf der ESC-Fans in ganz Europa Fotos ihrer ausgefallensten Frisuren hochladen und Tickets fürs Finale gewinnen konnten. Auch im Fernsehen ist Schwarzkopf mit der Düsseldorfer Trällersause sehr präsent – seit Januar folgt nach jedem TV-Spot der Hinweis "Official Beauty Partner of the ESC". "Wir haben sicher das Maximum an TV-Präsenz herausgeholt", sagt Müller. Ob sich der Aufwand lohnt, wird bei Henkel in den kommenden acht bis zwölf Wochen mit spitzem Stift berechnet: „Wir prüfen, ob sich in der Entwicklung der Marktanteile der ESC-Effekt nachweisen lässt“, sagt Müller.

Einen Steinwurf von den Altstadt-Kneipen entfernt steht Dirk Elbers in seinem lichten Amtszimmer. Denkt er an den Song Contest Tag und Nacht, scheint er um Sorgen und Nöte gebracht. „Der ESC“, sinniert der CDU-Mann, der die Chose im vergangenen Oktober an den Rhein holte, "zeigt die ganze Vielschichtigkeit Europas, und diese Vielfalt wird sich auch in den Veranstaltungen in der Stadt widerspiegeln." Wie vielschichtig die ist, dürfen die Gäste aus aller Welt etwa am 14. Mai bewundern. Dann marschieren mehr als 2400 Schützen und Karnevalisten den Rhein entlang, samt Fasanenfeder am Hut.

"Das", erklärt Elbers die Folklore, „ist eine Art Musikparade plus Brauchtumsumzug.“ Und überhaupt: "Düsseldorf ist eine sehr internationale und offene Stadt mit rheinischem Frohsinn, wo Brauchtum mit Lokalkolorit dazugehört – warum sollen wir das verstecken?" Fragt sich, was die Geburtsstadt Heinrich Heines am Ende davon hat. Die Rhein-Metropole, einst Bühne für Künstler wie Beuys und Immendorff, Musikpioniere wie Kraftwerk und Spaßpunker wie die Toten Hosen, will nämlich weg vom ewig angepappten Image, bloß Brutstätte der Kö-Schnepfe zu sein, der gelangweilten wie gelifteten, reichen Unternehmergattin.

Mindestens zehn Millionen Euro macht Nordrhein-Westfalens Landeshauptstadt deshalb für den erhofften Imagewandel locker. Der größte Teil davon geht mit 6,2 Millionen Euro für Miete und Umbau der Arena drauf. Weitere gut drei Millionen kostet das Ersatzstadion, in dem der heimische Zweitliga-Fußballclub Fortuna drei Partien austrägt. Gerade 800.000 Euro dagegen stehen im Haushaltsentwurf für Marketingzwecke: „Wir haben ein bestimmtes Budget und wollen nicht das Geld säckeweise ausgeben“, sagt Elbers.

Ob das allerdings reicht, um nachhaltig am Image zu feilen? Für große Würfe wie eine TV-Übertragung auf der Fassade des ehemaligen Thyssen-Hochhauses, die im ersten Anlauf gut eine Million Euro gekostet hätte, fehlten Geldgeber. Auch für eine Reihe von Spontan-Konzerten cooler Bands in den Stadtteilen, ausgedacht von den Machern des örtlichen alternativen „Open Source“-Musikfestivals, reichte es nicht. Und der als Kreativberater engagierte hochdekorierte Werber Ralf Zilligen ging frühzeitig von Bord – offenbar passten im Rathaus vielen seine Ideen nicht.

Was der ESC Düsseldorf bringt, ist unklar

Ob die Stadt vom Spektakel profitiert, ist daher zweifelhaft. Zwar rechnet Elbers "in Zukunft mit höheren Übernachtungszahlen, Buchungen der Arena und mit Effekten bei der Gewerbesteuer“. In Oslo, Gastgeber im vergangenen Jahr, stiegen die Übernachtungszahlen nach dem ESC um 15 Prozent. Die Rheinländer haben sogar einen Betrag von 140 Millionen Euro vor Augen, den sie für Werbung hätten ausgeben müssen, um die gleiche Aufmerksamkeit zu erreichen. Nachrechnen lässt sich das aber nicht. Der langfristige Effekt für Stadt und Image, räumt Elbers ein, lasse sich heute "noch nicht exakt beziffern".

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%