Expat Die Bulgaren sind Meister im Improvisieren

Über die Wirtschaft Bulgariens gibt es viele Vorurteile, doch was nach Mafiosi aussieht, ist oft nur das Gehabe geltungssüchtiger Geschäftsleute. Dies und warum man mit heiklen Jobs oft Frauen betraut, erklärt ein Expat.

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Expat Nico Alexander Jahn

Wenn Sie an Bulgariens Wirtschaft denken, dann in jüngster Zeit wahrscheinlich an Korruption, Mafia und frierende Menschen in Wohnungen und Betrieben, die kein russisches Erdgas mehr aus der Ukraine erhalten. Schade, denn das ist nur ein winziger Ausschnitt.

Weder ich noch irgendein anderer Ausländer in meinem Bekanntenkreis hatten je Grund, uns vor organisierter Kriminalität zu fürchten. Die wirklichen Verteilungskämpfe spielen sich in Kreisen ab, mit denen ausländische Geschäftsleute kaum in Berührung kommen. Natürlich sieht man sie, die grimmigen Bodyguards und die schwarzen Geländewagen mit getönten Scheiben – übrigens oft mit deutschen Kennzeichen. Sicher, darin können Mafiosi sitzen. Aber oft ist diese Aufmachung auch nur das Gehabe geltungsbedürftiger, aber ungefährlicher Geschäftsleute. Solche Allüren sind nicht zwingend der Beweis für Mafia-Verbindungen. Wer Einfluss und Geld hat, zeigt das hier gern.

Womit ich nicht behaupten will, Korruption und organisierte Kriminalität gingen ausländische Geschäftsleute in Bulgarien nichts an. Jedem kann es passieren, dass ein Beamter Andeutungen macht, einen Auftrag oder eine Genehmigung bekomme man nur für diese oder jene Gefälligkeit. Da kann ich nur raten: Finger weg. Die Gefahr, durch Polizei oder durch Medienberichte aufzufliegen, ist zwar ziemlich gering. Aber wenn Sie sich auf so etwas einlassen, machen Sie sich abhängig und erpressbar.

„Jetzt sei mal nicht so deutsch“

Carré Noir, eine Abteilung der französischen Werbegruppe Publicis, entwirft hier in Sofia Corporate Design, Verpackungsdesign, Marken-Identitäten und Innenarchitektur für Unternehmen. Das ist für bulgarische Firmen ein großes Thema, denn viele haben hier noch erheblichen Nachholbedarf. Ich bin der einzige Ausländer in der Agentur und leite eine Gruppe von vier Mitarbeitern.

Mit deutscher Unternehmenskultur im Gepäck musste ich aber erst einmal die Illusion planvoller, durchorganisierter Mitarbeiterführung aufgeben. Die Bulgaren sind Meister im Improvisieren. Sie überraschen mich immer wieder damit, dass ein Projekt scheinbar hoffnungslos durcheinanderläuft, dass in letzter Minute aber doch irgendwie alles klappt.

Ein simples Beispiel aus dem Büroalltag: Als uns kürzlich das Druckerpapier ausging, wies ich verärgert meine Mitarbeiter zurecht: „Leute, wer sieht, dass das Papier zur Neige geht, bestellt gefälligst neues!“ Hier in Bulgarien sprintet stattdessen einer los und holt das Papier im Laden – eine Viertelstunde später ist es auch da.

Die Kollegen frotzeln in solchen Situationen gern: „Nico, jetzt sei mal nicht so deutsch.“ So etwas sei doch ein „malko problem“, ein kleines Problem. Zu unwichtig, um sich darüber zu ärgern. Diese entspannte Haltung habe ich inzwischen schätzen gelernt.

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