Expat Die Bulgaren sind Meister im Improvisieren

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Einen Unterschied macht es auch, ob Sie jüngere oder ältere Kollegen vor sich haben: Die Jungen sind offen gegenüber Projektarbeit nach westlichem Muster, etwa einer genau auf Spreadsheet ausgearbeiteten Planung für die Einführung eines neuen Corporate Design. Sie beherrschen Englisch und sind vertraut mit westlicher Business-Etikette. Viele Älteren wirken auf mich dagegen eher südländisch, ja fast orientalisch. Sie lösen ein Problem, indem sie zum Telefonhörer greifen und einen entfernten Verwandten anrufen, der ihnen noch einen Gefallen schuldet.

Wenn Sie zum ersten Mal ein bulgarisches Büro betreten, wird Ihnen sofort die Geräuschkulisse auffallen. Stille ist den Bulgaren unheimlich. Permanent läuft das Radio. Aber kein Kunde stört sich daran, wenn es bei einem Telefonat im Hintergrund zugeht wie auf einem Basar. Die Türkei ist nah. Die Menschen hier hören das nicht gern, aber: Ihre Heimat enthält eine ordentliche Prise Orient.

Mit besonders heiklen Jobs betraut man Frauen

Bulgarien ist immer noch ein Macho-Land – allerdings mit einer Besonderheit: In der Berufswelt werden Frauen absolut respektiert. Sie sind meist besser ausgebildet, sprechen mehr Fremdsprachen, gelten als pfiffig, ausgleichend und besonders integer. Frauen im Top-Management und in der Politik sind zudem weniger in korrupten, aus kommunistischen Zeiten stammenden Seilschaften verfangen als Männer. Mit besonders heiklen Jobs betraut man deshalb Frauen. Die ehemalige bulgarische Botschafterin in Deutschland etwa, Meglena Plugtschieva, wacht als Vizepremierministerin und eiserne Lady über die Verwendung der EU-Gelder.

Als Deutscher, der den positiven Klischees über Deutsche wie Geradlinigkeit, Genauigkeit und Pünktlichkeit entspricht, genießen auch Sie hier hohes Ansehen. Dennoch wird erwartet, dass Sie einen Teil dieses Deutschseins ablegen – etwa, indem sie die Menschen nah an sich heranlassen: Die Bulgaren suchen den Körperkontakt. Ähnlich wie in Südeuropa berührt man einander hier im Gespräch oft am Arm oder klopft dem anderen auf die Schulter.

Die Bulgaren unterscheiden auch kaum zwischen Beruf und Privatleben. Vier- bis fünfmal im Jahr stehen gemeinsame Wochenenden mit den Kollegen an. Und jedes private Highlight wird auch im Büro gefeiert – vom Namenstag über die Geburt eines Kindes bis zum neuen Auto. Dann heißt es: Schokolade für alle. Bei uns steht jeden Morgen eine ganze Phalanx von Pralinenschachteln mit Visitenkarten auf dem Empfangstresen.

Vergessen Sie mal eine dieser kleinen Gesten, so fühlen sich die Kollegen gekränkt. Immerhin: Die Bulgaren wissen um ihre Eigenheiten und erklären sie Ihnen geduldig. Ich war am Anfang stets für diesen nützlichen Hinweis dankbar: „Nico, das machen wir hier anders als bei euch in Deutschland.“

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