Finanzkrise Britische Lebensversicherungen stehen massiv unter Druck

Sie lockten lange Jahre mit hohen Renditen und geraten jetzt in die Mühlen der Finanzkrise: Angelsächsische Lebensversicherungen, in die auch deutsche Anleger investiert sind, stehen massiv unter Druck. Den Versicherten drohen magere Ergebnisse.

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Grafik: Eingeebnet. Wie das Glättungsverfahren bei angelsächsischen Policen funktioniert (zur Vollansicht bitte auf die Grafik klicken)

Auf einen Schlag waren die Lebensversicherungen bis zu 22 Prozent weniger wert: Reihenweise werteten britische Versicherer in der vergangenen Woche die Guthaben ihrer Kunden ab. Für die bedeutet das: Wer jetzt aus dem Vertrag aussteigt, geht mit herben Verlusten.

Die Insel ist weit weg? Für etwa 900.000 Deutsche ist das Vereinigte Königreich ziemlich nah. Denn auch sie sind Kunden einer Gesellschaft aus Großbritannien oder Irland. Bleiben die kommenden Börsenjahre mau, könnten am Ende die Überschüsse, die ihnen ihre Lebensversicherung zahlen soll, zusammenschmelzen – im schlimmsten Fall droht ihnen sogar unterm Strich ein Minus.

Die britischen sogenannten With-Profit-Policen – „überschussberechtigte“ Lebensversicherungen, die seit Mitte der Neunzigerjahre auch hierzulande kräftig an den Mann gebracht werden – ähneln den klassischen deutschen Kapitallebensversicherungen. Monatliche Beitragszahlung ist genauso möglich wie die Anlage eines Einmalbeitrags. Die Vertreiber der britischen Policen werben damit, dass der Kunde höhere Renditechancen habe als mit einer deutschen Lebensversicherungen, was grundsätzlich stimmt. Keine Chance jedoch ohne Risiko – das bekommen die Kunden jetzt zu spüren. Britische und irische Gesellschaften dürfen bis zu 100 Prozent in Aktien gehen, für die deutschen ist bei 35 Prozent Schluss. Im Schnitt haben deutsche Lebensversicherer momentan sogar weniger als zehn Prozent der Versichertengelder in Aktien, bei den britischen und irischen Gesellschaften sind es noch immer 40 bis 60 Prozent.

Der Aktien-Crash schlägt deshalb auf die Policen durch. Eine gesetzlich garantierte Mindestverzinsung – bei deutschen Policen sind das 2,25 Prozent – gibt es nicht. In den meisten Verträgen wird lediglich garantiert, dass der Kunde die eingezahlten Beiträge und einen minimalen Wertzuwachs von 1,0 oder 1,5 Prozent – abzüglich der teils immensen Kosten – bekommt. Anspruch darauf hat er aber nur, wenn er bis zum Ende der Laufzeit seines Vertrages durchhält.

Jährliche Boni sinken seit Jahren

Zwar schreiben die Gesellschaften den Versicherten jedes Jahr einen Bonus zu, der zu Beginn des Geschäftsjahres festgelegt wird. Nach schlechten Börsenjahren kann der aber mächtig schrumpfen. Anders als bei den deutschen Gesellschaften machen die jährlichen Zinsen nur einen kleinen Teil des gesamten Wertzuwachses aus. Wichtig ist der Schlussbonus am Ende der Laufzeit. „Der Schlussbonus dominiert so stark, er macht bis zu 60 Prozent der gesamten Rendite aus“, sagt der Berliner Versicherungsmathematiker Axel Kleinlein. Im schlimmsten Fall – wenn die Märkte schlecht laufen – fällt freilich auch dieser Schlussbonus aus. Dann kann für Anleger nach Abzug der Vertriebs- und Verwaltungskosten weniger herauskommen, als sie über die Jahre eingezahlt haben.

Seit Jahren sinken die jährlichen Boni, zuletzt schrieben die Versicherer nur 2,0 bis maximal 3,5 Prozent gut. Sie glätten über die Laufzeit den Wertzuwachs. „Smoothing“ nennt sich das. In guten Jahren wird nur ein Teil der Gewinne dem Kunden gutgeschrieben, der Rest wandert in Reserven. Aus denen schöpft die Gesellschaft dann, wenn es an den Börsen schlecht läuft – so wie jetzt. „Wie die Glättung genau berechnet wird, ist für den Kunden allerdings absolut intransparent“, sagt Kleinlein. So kann der Kunde auch kaum nachvollziehen, wie der Versicherer am Ende auf den Schlussbonus kommt. Kunden, deren Verträge jetzt auslaufen, müssen mit niedrigeren Renditen leben. Das trifft die Briten selbst allerdings härter: Da es die angelsächsischen Policen in Deutschland noch nicht so lange gibt, enden hierzulande etliche Verträge erst in vielen Jahren.

Sollten Versicherte jetzt lieber aussteigen und verkaufen? Das wäre keine gute Idee. Wer sich auf eine Kapitallebensversicherung eingelassen hat, sollte dies auch durchhalten. Denn die Garantien gelten eben nur dann, wenn der Vertrag auch tatsächlich bis zur Fälligkeit behalten wird, sonst sind bei britischen und irischen Policen nicht einmal die schon gutgeschriebenen Boni sicher. Hinzu kommt: Zurzeit profitieren Kunden, die dabei bleiben, sogar von dem Glättungssystem. Der so eingeebnete Wert ihrer Policen liegt weit über dem tatsächlichen. Die massiven Verluste sind bei den Kunden nicht verbucht, sondern wurden mit Rücklagen aus den vergangenen besseren Börsenjahren ausgeglichen. Wer jetzt aufgibt, profitiert aber nicht davon, er leidet nahezu unbegrenzt unter den Crash-Folgen. Wer bei der Gesellschaft Royal London Anfang 2008 einen Einmalbetrag in eine Lebensversicherung gesteckt hat und diese jetzt kündigt, dem überweist der Versicherer derzeit mal eben 17 Prozent weniger. Die Abschlusskosten mit eingerechnet, liegt der vorübergehende Abschlag gar bei über 20 Prozent. „Damit schützen wir die langfristigen Anleger, die geschädigt wären, wenn jetzt viele kündigten“, sagt Dirk Terjung, der bei Royal London für den deutschen Markt zuständig ist.

Grafik: Abhängig von der Börse (zur Vollansicht bitte auf die Grafik klicken)

Den jährlichen Bonus bekommen die Kunden in diesem Jahr dennoch – wie hoch er 2009 sein wird, entscheiden die Gesellschaften Anfang nächsten Jahres. Dafür müssen einige Versicherer die aufgebauten Reserven anzapfen. Wie lange diese Reserven reichen, um den geglätteten Wertzuwachs aufrechtzuerhalten, geben die Gesellschaften aber nicht preis.

Deutsche Kunden sollten auch darauf achten, in welcher Währung ihre Police läuft. In Deutschland angebotene angelsächsische Versicherungen werden heute meist in Euro abgerechnet, die dahinterliegenden Fonds nicht immer. Bei Royal London etwa notiert der Fonds, in dem die Versichertengelder gebunkert werden, in britischen Pfund. Verliert das Pfund gegenüber dem Euro, hat der Versicherte am Ende der Laufzeit einen Wechselkurs-Verlust.

In der Finanzkrise wird auch immer wichtiger, wo der Versicherer seinen Sitz hat. Bei einer Pleite der Gesellschaft kann im schlimmsten Fall vom Ersparten nichts mehr übrig bleiben. Nur in Großbritannien, nicht aber in Irland, gibt es ein dem deutschen Protektor vergleichbares Sicherungssystem, das im Insolvenzfall die Verträge weiterführt oder dem Kunden Entschädigung zahlt. Geht ein irischer Versicherer pleite, springt niemand ein. Wichtig ist es daher, auf die Finanzstärke der Gesellschaft zu achten – oder gleich die Finger von diesen Policen zu lassen.

Gesellschaften wie die irische Canada Life Europe verweisen auf ihre Finanzstärke und die penible irische Aufsichtsbehörde. Der Kölner Versicherungsberater Detlef Lülsdorf empfiehlt derartige Policen dennoch nicht. „Ich muss den Kunden darauf hinweisen, dass es bei irischen Versicherern das Risiko des Totalverlustes gibt“, sagt er.

Beinahe-Pleite ein Weckruf für FSA

Komplettschutz bietet aber auch die britische Insolvenzsicherung Financial Services Compensation Scheme (FSCS) nicht. Sie garantiert 2.000 Pfund und bürgt für den Rest zu 90 Prozent. Bei Totalausfall einer 100.000-Pfund-Police büßt ein Kunde demnach 9800 Pfund (12.300 Euro) ein.

Die deutschen Wettbewerber von britischen Versicherern in Deutschland wie zum Beispiel Clerical Medical oder Standard Life wiesen jahrelang gern darauf hin, dass deutsche Kunden der Briten bei einer Pleite nicht abgesichert wären. Vom deutschen Schutzsystem Protektor wurden sie ebenso wenig gedeckt wie vom britischen Schutzschild FSCS.

Das hat sich geändert. Standard Life etwa betont jetzt, dass auch ihre deutschen Kunden durch das britische System gedeckt werden. Dies gilt allerdings nur für Kunden, deren Vertrag seit Dezember 2001 – damals wurde FSCS gegründet – ausgestellt wurde. Nach Angaben der Versicherer werden auch Kunden von Clerical Medical, Royal London, Friends Provident und Legal & General vom britischen System geschützt.

In Großbritannien wie in Deutschland sind Beinahe-Pleiten von Versicherern kein unvorstellbares Szenario. In Deutschland musste 2003 die Mannheimer Lebensversicherung aufgefangen werden, weil sie sich mit Aktien verzockt hatte. Der britische Versicherer Equitable Life schlidderte 2000 wegen zu hoher Garantien nur knapp an der Pleite vorbei. Seitdem wurden die Schutzregelungen deutlich verschärft. Für die britische Finanzaufsicht FSA, sagen Branchenkenner, sei die Beinahe-Pleite ein Weckruf gewesen.

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