
Ein rühmlicher Auftritt war es nicht gerade, den der Vizechef der amerikanischen Notenbank Fed, Donald Kohn, gestern im Washingtoner Kapitol hinlegte.
Seit Tagen drängen Politiker in den USA darauf, dass der taumelnde US-Versicherer American International Group (AIG) endlich die Namen jener Banken veröffentlichen solle, die mit dem Konzern komplizierte Derivativgeschäfte abgeschlossen haben. AIGs Geschäftspartner haben direkt einen Teil jener Gelder erhalten, die von der US-Regierung zur Rettung von AIG bereit gestellt wurden.
Politiker wollen nun wissen, wohin das Geld der Steuerzahler genau geflossen ist. Deshalb haben sie Kohn gestern vor den Bankenausschuss des US-Senats geladen. Da die Fed mitterweile 80 Prozent an AIG hält, könnte Kohn eine solche Namensliste problemlos beschaffen.
Doch der Fed-Mann wehrte sich mit Händen und Füßen gegen eine Herausgabe der Namen. Eine Offenlegung der AIG-Vertragspartner, so Kohn, hätte weltweite Erschütterungen zur Folge. Firmen würden sich zunehmend weigern, mit Unternehmen wie AIG Geschäfte zu machen, die Hilfen vom Staat erhalten. Das würde AIGs Probleme verschärfen und das Risiko auf den Finanzmärkten erhöhen.
US-Politiker wollen für Transparenz sorgen
Kohns Antwort war wenig befriedigend angesichts der Summen, die hier auf dem Spiel stehen.
Vier Mal hat die Fed das Unternehmen mittlerweile vor dem Aus bewahrt, über 180 Milliarden Dollar an Steuergeldern haben die Rettungsaktionen für den Versicherer bisher verschlungen. Der Grund für den hohen und plötzlichen Kapitalbedarf von AIG liegt in den Fußnoten der komplizierten Swap-Geschäfte begraben, die AIG letztlich Kopf und Kragen gekostet haben. Denn die Vertragspartner von Credit Default Swaps, die AIG so gerne anbot, können zusätzliche Sicherheiten in bar einfordern, wenn sich das Geschäftsumfeld verändert.
Genau dies dürften sie auch in großem Umfang getan haben – denn nur so ist zu erklären, warum AIG in den letzten Monaten so rasch so große Summen für sein Überleben benötigte.
Ganz Amerika will nun natürlich wissen, wo das Geld geblieben ist - und deshalb war den US-Senatoren Kohns Argumentation zu dünn. „Ich betrachte das, gelinde gesagt, nicht als adäquate Antwort“, schleuderte der Vorsitzende des Ausschusses, der demokratische Senator Christopher Dodd, Kohn entgegen. „Die Öffentlichkeit ist sehr, sehr verstört“.
Richard Shelby, ranghöchste Republikaner im Bankenausschuss, forderte ebenfalls mehr Transparenz von AIG: „Wenn das Geld der US-Steuerzahler auf dem Spiel steht, und das ist hier wohl in großem Umfang der Fall, müssen die Steuerzahler, das Volk und dieser Ausschuss wissen, wer davon profitiert hat und wohin dieses Geld geflossen ist“, sagte Shelby.
Europas Banken drohen bittere Enthüllungen - und sinkende Aktienkurse
Diese Ansagen von US-Politikern lassen an Deutlichkeit kaum zu wünschen übrig.
Allerdings: Gibt AIG die Namen seiner Vertragspartner tatsächlich heraus, stehen Banken auch in ganz Europa bittere Tage bevor. Denn Geldinstitute aus Europa stehen ganz oben auf AIGs Kundenliste. Einige Sätze im vor kurzem veröffentlichten Jahresabschluss von AIG verdeutlichen die Dimension. „Hauptsächlich europäische Finanzinstitute“ haben von AIG über Derivativgeschäfte Garantien in Höhe von 234 Milliarden Dollar bekommen, heißt es im Jahresabschluss.
Banken haben sich bei AIG mit sogenannten Credit Default Swaps eingedeckt. Dabei haben sie AIG eine Prämie dafür gezahlt, dass der Versicherer Kreditgarantien abgibt. Für die Banken hatte das einen enormen Vorteil: Mit Hilfe dieser Derivativgeschäfte mussten sie weniger Kapitaldeckung für die gleiche Kreditsumme aufbringen. Denn anders als bei der Vergabe von Krediten - bei der die Banken einen Teil der vergebenen Summe in Bar halten müssen - gelten bei Derivativgeschäften weniger strenge Regeln für die Kapitalunterlegung.
Solche Geschäfte erweisen sich jetzt als Bumerang: Verschlechtert sich die Bonität des Garantiegebers, und das ist bei AIG der Fall, müssen Banken selbst einen größeren Teil der aushaftenden Kredite mit Kapital hinterlegen. Im Klartext: Sie müssen ihre Bargeldreserven erhöhen. Können sie das nicht, müssen sie einen Teil der Kreditsumme abschreiben.
Die Folge sind weitere Verluste - und genau das können Europas Banken derzeit am wenigsten gebrauchen. Deshalb haben sie auch wenig Interesse daran, dass ihre Verbindung zu AIG publik wird. Bislang ist nämlich nicht klar, wer hier mit mit welchen Summen drinnen steckt.
Werden nun die Namen der AIG-Vertragspartner bekannt, dürften die Aktienkurse einiger europäischer Banken zum Sinkflug ansetzen. Welche Banken damit gemeint sein könnten, hat die US-Zeitung Wall Street Journal im Dezember vergangenen Jahres angedeutet. Einem internen Dokument zufolge seien 19 Milliarden Dollar des Fed-Rettungspakets direkt an zwei Dutzend Vertragspartner ausgeschüttet worden, berichtete die Zeitung damals. Knapp drei Viertel dieser Summe ging an eine Gruppe von Banken.
Zu ihnen zählten die Societe Générale, Goldman Sachs, Merill Lynch - und auch die Deutsche Bank, die laut Wall Street Journal von September bis November 2008 fast drei Milliarden Dollar von AIG erhielt.