Finanzkrise Web 2.0: Der Wettlauf ums Überleben hat begonnen

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Gebremster Anstieg

Zwar glauben die meisten Marktforscher, dass Online-Werbung auch in den kommenden Jahren gegen den Branchentrend zulegen wird – allerdings nur noch mit geringen Wachstumsraten. Doch nicht alle teilen den bescheidenen Optimismus. Nick Denton betreibt die florierende Online-Medienfirma Gawker Media, die mehrere viel gelesene Blogs publiziert und sich aus Internet-Werbung speist. Der ehemalige Journalist der „Financial Times“ gilt als neue Kassandra der Web-2.0-Branche – er fürchtet, dass die Internet-Werbeeinnahmen in den USA im nächsten Jahr um bis zu 40 Prozent einbrechen. Vorbeugend feuerte er Mitarbeiter und fasste Publikationen zusammen. Tatsächlich ist Vorsicht geboten. In den USA, dem am weitesten entwickelten Online-Werbemarkt der Welt, stammen 80 Prozent der Ausgaben von Autofirmen, Banken und Reiseanbietern – alles Branchen, die von der Kredit- und Konsumflaute besonders heftig betroffen sind.

Deshalb bibbern nicht nur die Chefs der Web-2.0-Unternehmen. Auch die Legenden der ersten Internet-Generation spüren Gegenwind. Yahoo-Gründer Jerry Yang hat sich gleich selbst entlassen und Einsicht in das eigene Versagen gezeigt: Zuerst verbaselte Yang ein lukratives Übernahmeangebot von Microsoft. Dann setzte er mit Google auf das falsche Pferd. Die groß angekündigte Marketing-Allianz platzte, weil Google-Manager wegen möglicher Auflagen der Kartellbehörden kalte Füße bekamen und einen Rückzieher machten. 

Schließlich bettelte Yang öffentlich bei Microsoft-Chef Steve Ballmer, er möge sein Übernahmeangebot erneuern – und machte sich endgültig zum Gespött im Silicon Valley. Während des monatelangen Hickhacks wechselten talentierte Yahoo-Mitarbeiter reihenweise zur Konkurrenz. Die Verbliebenen trifft es besonders hart: Yahoo lebt vor allem von der Bannerwerbung – dort erwarten Analysten die größten Rückgänge.

Auch die E-Commerce-Plattform Ebay, ein Leuchtturm der ersten Internet-Generation, leidet unter Kaufzurückhaltung und Vorsicht vieler Online-Händler. Um fast

20 Prozent sei die Zeit, die Ebay-Kunden in den USA auf der Web-Site durchschnittlich verbringen, seit einem Jahr gesunken, schreibt das Marktforschungsunternehmen Nielsen Online. Erstmals in der Geschichte des Unternehmens werden wegen schwacher Wachstumsraten im Handelsgeschäft Jobs abgebaut. 

Im Oktober wuchs auch Konkurrent Amazon, dem Internet-Analyseunternehmen Comscore zufolge, im Online-Handel nur um ein mickriges Prozent – im Vorjahr waren es noch 19 Prozent gewesen. Auch die Vorhersagen für den November sind mies. Zum ersten Mal in seiner Geschichte scheint der Umsatz im E-Commerce in den USA insgesamt zurückzugehen.

Auch Google-Chef Schmidt, auf Gedeih und Verderb vom Werbegeschäft abhängig, kennt die hohen Risiken seines einseitigen Geschäftsmodells genau. In den vergangenen Jahren flossen die Werbeeinnahmen noch reichlich und verwöhnten viele Aktionäre. Wenn diese Quelle jetzt weniger sprudelt, gibt es kaum Alternativen. Das für 1,65 Milliarden Dollar gekaufte Videoportal YouTube hat zwar beeindruckende Benutzerzahlen – fast 400 Millionen weltweit. Doch selbst wenn sich aus dieser Zahl nennenswert Kapital schlagen ließe, wüchse die Abhängigkeit vom Werbegeschäft weiter.

Einzige Hoffnung für Google ist das Online-Bürosoftwarepaket Google Apps, ein Konkurrenzprodukt zum Office-Programm von Microsoft. Google hat bereits zehn Millionen Geschäftskunden gewonnen, die gegen Bezahlung die Software via Internet nutzen. Es ist der Einstieg in den sogenannten Cloud-Computing-Markt, bei dem die Kunden Software nicht mehr auf dem eigenen PC installieren, sondern sie bei Bedarf aus dem Internet herunterladen. Doch das Pflänzchen ist zart und wird momentan aus den Werbeeinnahmen quersubventioniert. 

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