Finanzvertrieb Druck auf OVB-Vermittler wächst

Der Finanzvertrieb OVB leidet unter Machtkämpfen und Umsatzeinbrüchen. Umso massiver setzt er seine Vermittler unter Verkaufsdruck. Die gute Kundenberatung bleibt dabei oft auf der Strecke.

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OVB-Chef Wilfried Kempchen

Alles Gute kommt von oben. „Wir verdoppeln die Sterntaler“, verspricht die OVB ihren führenden Beratern in einer Vertriebsaktion. Seit Dezember beschert ihnen das Management 50 Cent zusätzlich für jede verdiente Vertragseinheit, wenn ihre untergebenen Anfänger Versicherungen, Fonds oder Kredite verkaufen. So klingeln für eine typische Rentenversicherung rund 140 Euro extra in der Kasse.

Die großzügig anmutende Geste hat mehr mit dem Märchen gemein, als dem neuen OVB-Chef Wilfried Kempchen lieb sein kann. Denn wie beim armen Sterntaler-Mädchen herrscht auch bei der OVB nackte Not. Durch die Zurückhaltung der Kunden in der Finanzkrise kassierte das Unternehmen bis Ende September 2009 europaweit nur noch 147 Millionen Euro an Provisionen – ein Viertel weniger als in der Vorjahreszeit. Der Gewinn brach um 75 Prozent auf 4,7 Millionen Euro ein. Obendrein schwächt ein Machtkampf unter den Hauptaktionären die börsennotierte Nummer vier unter den deutschen Finanzdienstlern nach DVAG, AWD und MLP.

Eine Reihe von Top-Leuten in der Schweiz und Frankreich hat Ende Januar die Konsequenzen gezogen und gekündigt. Damit droht dem Finanzvermittler, der zwei Drittel des Umsatzes jenseits der deutschen Grenze erzielt, auch noch ein Aderlass im Ausland. Umso stärker wächst der Druck an der Vertriebsfront, um jeden Preis Geschäfte zu machen. Gegenüber der WirtschaftsWoche decken Vermittler und Ausgestiegene ungezügelte Geldschinderei an der Basis auf, die wohl auch vor Falschberatung der Kunden nicht haltmacht.

Härtere Bandagen

Und um die Zahl der gut 1300 deutschen Berater konstant zu halten, werden den Berichten zufolge Neulinge mit irreführenden Anwerbeaktionen gekeilt (siehe Kasten Seite 63), Berater mit Knebelverträgen gebunden und sogar Vermittler beschäftigt, die offenbar eine Privatinsolvenz hingelegt haben. Die OVB betont demgegenüber: „Im Rahmen unserer Tätigkeit stehen die Wünsche und Bedürfnisse der Kunden an erster Stelle.“

Dabei haben die Beteiligten durchaus einen Ruf zu verlieren: Die OVB gehört mehrheitlich den namhaften Versicherern Signal Iduna, Generali sowie der Schweizer Bâloise und galt lange als Börsenliebling. In Deutschland betreut die OVB nach eigenen Angaben knapp 700 000 Kunden.

Die können angesichts des Verkaufsdrucks wohl immer weniger auf „Objektive Vermögensberatung“ – so der einstige volle Titel des 1970 gegründeten ältesten deutschen Strukturvertriebs – hoffen. Das Erfolgsrezept der OVB wie der größeren Konkurrenten DVAG und AWD besteht darin, dass jeder Vermittler die Hierarchie des Unternehmens beständig nach unten erweitert. Die Mitarbeiter an der Basis verdienen kein festes Gehalt, sondern Gebühren für Vertragsabschlüsse. Ein Großteil der Provisionen fließt an die Führungsebenen über ihnen.

„In einem solchen Pyramidenvertrieb ist der Verkaufsdruck deutlich größer als im normalen Provisionssystem“, urteilt Lars Gatschke vom Verbraucherzentrale Bundesverband. „In der Finanzkrise sind die Bandagen im Strukturvertrieb noch härter geworden.“ So pushte die OVB 2009 die Verkäufer-Anwerbung: „Jetzt heißt es mehr denn je – Recruiting, Recruiting, Recruiting – und dadurch mehr Umsatz, denn so schnell konnte man noch nie Geld verdienen.“

Geldanlage: Anleger sollten Quelle: dpa

Die Anfänger versprechen schon deshalb frisches Geschäft, weil jeder seine Angehörigen, Freunde und Kollegen als potenzielle Kunden angraben soll. Marketingchef Jürgen Kotulla: „Mitarbeiteraufbau ist unser wichtigstes Thema.“

Besonders wählerisch ist die OVB dabei offenbar nicht. So müssen Finanzvermittler laut Gewerbeordnung in finanziell geordneten Verhältnissen leben. Mehrere Ex-OVBler bestätigen jedoch: „Bei der OVB war eine Reihe von Beratern beschäftigt, die eine Privatinsolvenz hingelegt haben.“ Herbert Kaiser* ist einer von ihnen. Die OVB nennt Kunden im Internet Kaiser als Büroinhaber, obwohl vor dem Amtsgericht Mayen sein privates Insolvenzverfahren läuft.

„In diesen Fällen müsste ein Verfahren zur Gewerbeuntersagung eingeleitet werden“, fordert Verbraucherschützer Gatschke. Er sieht bei insolventen Vermittlern „ein erhebliches Aufsichtsdefizit“ der örtlichen Behörden.

Erst seit Kurzem werden Finanzdienstleister überhaupt beaufsichtigt – von den örtlichen Industrie- und Handelskammern (IHK). Seit Ende 2009 spießt außerdem eine kritische Homepage ehemaliger OVBler im Internet unter www.exovb.com Missstände auf.

Stornoquote gestiegen

Das Unternehmen lehnt eine Stellungnahme zu Personen aus Datenschutzgründen ab, erklärt aber, es verlange einen Bonitätsnachweis der Auskunftei Schufa: „Voraussetzung für die Zusammenarbeit unseres Unternehmens mit einem selbstständigen Handelsvertreter ist, dass dieser in geordneten Vermögensverhältnissen lebt und uns daher vor Einstellung eine Schufa-Selbstauskunft vorlegt.“

Bei verschuldeten Beratern steigt der Druck, um jeden Preis Finanzprodukte zu verkaufen. „Viele, auch führende Mitarbeiter, stehen selbst bei der OVB in der Kreide“, berichten Insider. So weist der Geschäftsbericht 2008 12,5 Millionen Euro an Forderungen gegen Vermittler aus. Die Forderungen führt die OVB auch auf steigende Vertragskündigungen durch Kunden zurück. Dann müssen Vermittler der OVB erhaltene Provisionen zurückerstatten – oder eben schuldig bleiben.

Üblicherweise stornieren OVB-Kunden jedes Jahr 4,5 Prozent der abgeschlossenen Verträge, vom Bausparvertrag bis zum Fondssparplan. „Infolge der Finanzkrise ist diese Stornoquote – regional unterschiedlich – angestiegen“, so das Unternehmen. „Für die Gruppe bewegt sich die Stornoquote auf den Vertragsbestand noch immer im einstelligen Bereich.“

Nach Insiderangaben sind die Quoten im reinen Versicherungsgeschäft stärker gestiegen: Bei einer Versicherung, die an der OVB beteiligt ist, liegt sie demnach deutlich über zehn Prozent – weit über den üblichen Stornoquoten bei Lebensversicherern, die im Durchschnitt nur um zwei Zehntelpunkte auf vier Prozent geklettert sind. „Eine Betrachtung von einzelnen Versicherungspartnern wird von uns nicht verfolgt“, erklärt die OVB dazu. Hohe Stornoraten gelten auch als Indiz für gehäufte Falschberatungen.

* Name geändert

Unversöhnliche Machtblöcke

Wem das Wasser bis zum Hals steht, der kann leicht in Versuchung kommen, Klienten aus laufenden Versicherungen herauszulotsen, damit sie eine neue Police bei ihm abschließen – und der Vermittler die Provision kassiert. Krankenversicherer etwa berichten über eine Vielzahl Fälle, bei denen die Verbraucher oft Tausende Euro an Finanzreserven verlieren, die sie im bisherigen Unternehmen für das Alter zurückgestellt haben. Zumindest in Teilen des OVB-Reichs ist diese Praxis bekannt: „Die Mitarbeiter müssen das zum Schaden der Kunden machen, weil sie sonst nicht leben können“, berichtet eine Exführungskraft. Die OVB weist dies zurück. Ihre Vermittler würden Beratungen umfangreicher protokollieren als gesetzlich vorgeschrieben.

Die berichteten Missstände stehen im krassen Gegensatz zur Initiative von Verbraucherministerin Ilse Aigner für mehr Qualität und Transparenz bei der Finanzberatung: „Eine Provision oder Vergütung ist nichts Verwerfliches, doch darf sie nicht das Hauptmotiv für eine bestimmte Empfehlung sein. Die Interessen des Kunden müssen im Mittelpunkt der Beratung stehen“, fordert sie.

„Wir registrieren derzeit einen eklatanten Anstieg von Beschwerden über fondsgebundene Versicherungen, die häufig von Strukturvertrieben verkauft werden“, sagt Michael Wortberg, Versicherungsexperte der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz.

Der Haken bei den „alten Hasen“

Ein Indiz dafür, dass die Beratung alles andere als objektiv ist, liefern interne OVB-Provisionslisten, die der WirtschaftsWoche vorliegen: Sie zeigen, dass fast ausschließlich Produkte der Hauptanteilseigner an den Mann und die Frau gebracht werden sollen, also von der Bâloise-Tochter Deutscher Ring, Signal Iduna und Generali. Nur vereinzelt tauchen andere Versicherer in den Honoraraufstellungen auf. Große Namen wie Allianz, R+V, Zurich oder Hamburg-Mannheimer sind als Anbieter nicht vorgesehen.

Exberater berichten zudem über gehäufte Falschberatungen auf der Jagd nach Provisionen: Demnach vermittelten OVB-Leute etwa Immobilien mit falschen Angaben an Anleger, aber auch an die eigenen Mitarbeiter und an Familienangehörige. Wichtige Merkmale wie etwa versprochene Denkmalabschreibungen hätten sich als Luftnummer entpuppt.

„Ich bin selbst geschockt über mich: Keiner ist vor der Gier gefeit“, sagt der ausgestiegene Vermittler Torsten Neh*. Seine Konsequenz: „Ich werde nie wieder im Finanzdienstleistungsbereich arbeiten.“

Um nicht noch mehr Geschäft zu verlieren, will die OVB ihre Berater offenbar um jeden Preis bei der Stange halten. So versprach das Unternehmen seinen Beratern Ende 2008, dass die hauseigene Ausbildung zum Certified Financial Consultant den bis Jahresende erforder-lichen IHK-Sachkundetest für Vermittler überflüssig mache. Doch die Zertifikate wurden nicht anerkannt und die Prüfung nur den „alten Hasen“ erlassen, die vor August 2000 tätig waren.

Um aus der Falle zu entkommen, hat die OVB offenbar zeitweise versucht, auch Vermittler als „alte Hasen“ zu deklarieren, die erst seit 2003 als Finanzberater unterwegs waren. Walter Porz*, von 2003 bis Anfang 2009 für die OVB tätig: „Ich hatte schon meine Anerkennung als geprüfter Vermittler im Briefkasten, bevor ich meinen Kurs bei der IHK in Erfurt abgeschlossen hatte.“ Bei der IHK vor Ort sah er sich die Zugehörigkeitsbescheinigung an, die die OVB dort für ihn eingereicht hatte. Demnach war er schon seit 2000 aktiv. Beide Schreiben liegen der WirtschaftsWoche vor.

* Name geändert

 Die OVB bestätigt Unregelmäßigkeiten: „In Einzelfällen kam es aus einem bedauerlichen Versehen zur Bescheinigung unzutreffender Eintrittsdaten. Diese Einzelfälle wurden von uns gegenüber den für die Registrierung zuständigen Industrie- und Handelskammern offengelegt.“ Die Kandidaten absolvierten dann doch noch eilig ihre IHK-Prüfungen.

Ungeachtet dessen muss die OVB ein immer größeres Rad drehen, um den Beraterschwund auszugleichen und kündigt bereits im Geschäftsbericht 2008 Abwehrmaßnahmen gegen Fluktuation und Abwerbungen an: „Die OVB sieht sich gut positioniert, die Konkretisierung dieses Risikos mit ihren bewährten Instrumenten der Mitarbeiterbindung eng zu begrenzen.“

Abwanderungswillige Mitarbeiter bekommen diese Instrumente seitdem schmerzhaft zu spüren. Bis zum Frühjahr 2009 hatte sich das Management Insidern zufolge kulant gegenüber Aussteigern gezeigt. Jetzt pocht es bei mindestens dreijähriger Betriebszugehörigkeit darauf, dass die langen Kündigungsfristen von einem Jahr zum Jahresende eingehalten werden. Das bedeutet im Extremfall: Wer im Januar 2010 hinwirft, kann erst am 31. Dezember 2011 aufhören.

Finanzindustrie ist tabu

 Die Kündigungsfristen sind rechtens. Aber der Arbeitgeber darf dem Vermittler während dieser Zeit nicht die Arbeitsgrundlage entziehen: Kaltstellen ohne Provisionszahlung gilt nicht“, urteilt Arbeitsrechtler Christian Kerner von der Kölner Kanzlei Weskamp, Kerner, Bellinghausen. Tatsächlich berichten Abtrünnige, dass ihre Kunden zu anderen Vermittlern umgeleitet werden. Die OVB rechtfertigt ihr Verhalten während der laufenden Kündigungsfrist mit Verbraucherschutz: „Es ist sowohl im Sinne der Kunden als auch unseres Unternehmens, eine kompetente Beratung und Betreuung weiter zu gewährleisten. Deshalb werden betroffene Kunden selbstverständlich von einem anderen OVB-Berater weiter betreut.“ Während der Kündigungsfrist dürfen OVBler nicht zur Konkurrenz wechseln, tabu ist die gesamte Finanzindustrie.

Dass ein Abschied auch ganz schnell gehen kann, demonstrierte die OVB bei ihrem Vorstandschef. Michael Frahnert, einst unumschränkter Herrscher, musste das Unternehmen im Juli 2009 über Nacht verlassen. Nur sieben Tage später senkten die Kölner per Gewinnwarnung alle Geschäftsziele für 2009. Seither spekulieren Branchenbeobachter, dass Frahnert einen eigenen Konkurrenzvertrieb zur OVB aufbauen wolle und dazu ausländische Spitzenkräfte wie Alain Canonica abwerbe. Auch er hat die OVB gerade verlassen.

Doch Frahnert winkt gegenüber der WirtschaftsWoche ab: „Ich bin Pensionär. Ich werde keine neue Gesellschaft gründen.“ Die akute Gefahr für die OVB verfolgt er gleichwohl genau: „Ich beobachte mit großem Interesse, dass sich alle möglichen Leute neu orientieren.“ In der Schweiz muss die OVB den Weggang von 26 Beratern einräumen, in Frankreich von zehn.

Die Abtrünnigen sind nicht irgendwer: Landesdirektor Canonica beispielsweise gehört zu den Top-Verkäufern. Zu Gerüchten, dass er sich einer Frahnert-Truppe anschließen könnte, nimmt er keine Stellung. Gegenüber der WirtschaftsWoche verrät er nur: „Ich werde zu einem Unternehmen wechseln, das auf seine Neutralität gegenüber Anbietern achtet.“ Sollten Aussteiger wie Canonica auch ihre Vermittler zum Wechsel bewegen, droht ein desaströser Umsatzschwund. 

Auslöser für die Abgänge dürften die Machtkämpfe unter den beiden wichtigsten OVB-Aktionären Bâloise und Signal Iduna sein. So soll sich Frahnert zuletzt Bâloise genähert haben – zum Unmut von OVB-Aufsichtsratschef Wolfgang Fauter. Der leitet zugleich die Deutscher Ring Krankenversicherung, hatte sich mit ihr von Bâloise losgesagt und war bei Signal Iduna untergeschlüpft.

Seitdem versuchen beide, das Zepter beim gesamten Deutschen Ring an sich zu reißen und den Gegner herauszudrängen – mit dem gemeinsamen Unterpfand OVB als Verhandlungsmasse. Während die Finanzaufsicht BaFin Lösungsvorschläge fordert, steigt Bâloise mit einem neuen eigenen Vertrieb in die Abwerbeschlacht ein. Dessen Vertreter verkaufen dann nicht mehr Krankenversicherungen der Signal-Iduna-Gruppe, sondern des neuen Partners Hansemerkur.

Verkauf läuft schlecht

Frahnert-Nachfolger Kempchen hat daher ein umkämpftes und schwieriges Erbe angetreten. Der Verkauf von Versicherungen und Geldanlagen läuft weiter schlecht: Das von 29 auf 10 Millionen Euro korrigierte Ergebnisziel vor Steuern für 2009 dürfte schwer einzuhalten sein: Bis zum dritten Quartal lag die Zahl nur bei 6,2 Millionen Euro, im Vorjahreszeitraum hatten die Kölner operativ noch 22,3 Millionen Euro verdient.

Die Absatzflaute schlägt auf den Verdienst der Mitarbeiter durch. Im dritten Quartal 2009 büßten sie rechnerisch rund 30 Prozent ein. Die übergroße Mehrheit liegt nach Auskunft von Exführungskräften bei Provisionseinnahmen von weit unter 1500 Euro im Monat. „Einigen Vermittlern soll das Benzingeld für Kundenbesuche fehlen“, berichtet ein mit der OVB vertrauter Manager.

Ihnen dürften sogar die paar Cent rechts vom Komma ihrer Provisionsbeträge wehtun, die automatisch dem OVB-Hilfswerk „Menschen in Not“ zufließen. „Auf diese Weise kommt Jahr für Jahr ein sechsstelliger Betrag zusammen, der dort eingesetzt wird, wo die Not am größten ist“, lobt sich das Management selbst. Vielleicht sollte es demnächst auch die eigenen Berater bedenken.

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