Frog-Design-Gründer Hartmut Esslinger „Ich spiel’ den Hartmut“

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Bis sich Anfang der Siebzigerjahre ein Headhunter per Telefon meldete. Esslinger lag mit Grippe im Bett. Ein Treffen würde gewünscht, schon am folgenden Tag. Wo? In Köln. Klar, in der Domstadt hatte Sony sein deutsches Hauptquartier. Irgendwie schaffte es Esslinger zum Stuttgarter Flughafen, überstand fieberzitternd den Flug. In Köln erwarteten ihn Sony-Manager – und ein Ordner mit seinen Brandbriefen. So begann eine zehnjährige Liaison mit Sony, mal in Deutschland, dann in Tokio. Wega wurde 1975 von den Japanern übernommen, Esslinger schuf Designs für die Sony-Wega-Trinitron-Fernseher, noch heute eine der wertvollsten Marken des Konzerns. Er durfte Sony-Präsident Norio Ohga beraten, begeisterte sich für japanische Kunst. In der US-Presse wird er oft als derjenige bezeichnet, der europäisches Design in die Computerindustrie brachte. „Quatsch“, sagt Esslinger. „Das meiste ist nicht Europa, sondern Japan.“ Die Arbeit für Sony führte ihn Anfang der Achtzigerjahre in die USA. Im Silicon Valley ergab sich ein Termin bei dem damals heißesten Startup – Apple. Dessen Gründer Steve Jobs war 27, dank des Börsengangs Multimillionär. Der Jungstar erwartete den Deutschen in seinem Büro, in Jeans und T-Shirt, barfuß und ungeduldig. Kaum hatte der Designer die ersten Arbeiten präsentiert, attackierte ihn Jobs. „Was soll denn das? Das sind nicht deine Arbeiten!“ „ Wieso?“ „Das ist viel zu viel für einen Designer. Das ist Sony.“ „Aber ich habe doch acht Jahre für Sony gearbeitet.“ „Ach so. Tatsächlich?“ Jobs heuerte Esslinger an. Auftrag: Designs zu entwerfen und Ideen für neue Produktlinien vorzuschlagen – für zunächst zwei Millionen Dollar pro Jahr. Es war der Start der einflussreichsten Phase des Designers. Er zog nach Kalifornien um, verlegte schließlich den Firmensitz in die USA. » Es entstand der Apple IIc, der erste tragbare Apple-Computer, der heute in New York im Whitney Museum of American Art steht, sowie der berühmte Apple-Macintosh. Esslingers Arbeiten finden sich in der Trophäensammlung von Frog Design, im ersten Stock des Büros in Palo Alto. Dabei ist auch das erste Modell des legendären Lisa-Computers, der wegen seiner hohen Kosten und langen Entwicklungszeit den Rausschmiss von Jobs bei Apple besiegelte. Zu sehen ist auch ein Telefon mit Touchscreen-Display, eine Art iPhone der frühen Achtziger. Es blieb eine Studie. „Ich habe Steve damals schon gesagt, dass Apple in die Unterhaltungselektronik einsteigen sollte“, sagt Esslinger. Aber der winkte ab. Für Jobs neue Firma Next entwarf er den „Cube“-Computer in Schwarz mit buntem Logo. Frog Design hat für viele große Namen gearbeitet: Lufthansa, den Porzellan-Hersteller Rosenthal, Kodak, Siemens, Swatch, Microsoft. Für Louis Vuitton entwarf Esslinger einen Koffer. SAP-Gründer Hasso Plattner schlug er 1999 freundlichere Softwaremenüs für dessen Unternehmensprogramm-Koloss R/3 vor. Das brachte ihm den Spott konkurrierender Designer ein. Heute, wo Software die Geräte definiert, ist es gang und gäbe, dass sich Industriedesigner auch um ihr grafisches Erscheinungsbild und die Benutzeroberfläche kümmern.

Ein Vierteljahrhundert Arbeit drängt sich auf den Regalen bei Frog Design – für Disney, Tivo, Logitech. Esslinger nimmt eine Logitech-Webcam in Form eines Lippenstifts aus dem Regal und sagt triumphierend: „Beim Design ist es wie im Fußball. Entweder man trifft das Tor, oder der Schuss geht ins Leere.“ Im Hintergrund lauschen die Designer, auserwählt aus Hunderten Bewerbern, Durchschnittsalter 33. Im Großraumbüro steht eine Tafel mit dem 1969 verfassten Firmenmotto: „Wir sind enthusiastisch dabei, die Welt zu verbessern. Wir sind nicht einfach nur ein Unternehmen...“ Es gibt nur ein abgeschlossenes Büro, das von Esslinger. Doch der Gründer ist selten da. Ab und zu fährt er mit seinem quietschgelben Porsche vor, um wichtige Kunden zu beeindrucken oder Mitarbeiter zu inspirieren. „Ich spiel’ dann den Hartmut“, sagt er. Der kann sich über unausgereifte Entwürfe aufregen. „Zu viel Höflichkeit macht nur krank.“ Aber er bleibt zivil dabei. „Wenn man schreit, habe ich in Japan gelernt, verliert man das Gesicht.“ Esslinger ist als Sturkopf bekannt, akzeptiert selten Grenzen, schon gar nicht Schnickschnack ohne Funktion – wie Jobs. Aber Esslinger ist netter. Er ist Menschenfreund, bescheiden geblieben und kann auch über sich lachen. Auf dem Nummernschild seines Porsches steht „Frogmut“ – eine Wortspielerei aus Frog und Hartmut.

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