
Es stimmt etwas nicht im Reich der Energiewirtschaft. Bisher galt beim größten deutschen Gasimporteur der eherne Grundsatz: Die Russen halten ihre Verträge ein, egal was kommt. "Sogar unter den kommunistischen Regierungen war die Lieferung von Erdgas stets gesichert", war bisher ein häufig zu hörender Ausspruch in der E.On-Ruhrgas-Zentrale in Essen. "Sogar" oder "nur"? So könnte man ketzerisch fragen.
Der neuerliche Streit um angeblich ausstehende Rechnungen zwischen Russland und der Ukraine hat Westeuropa praktisch von russischen Erdgaslieferungen abgeschnitten. Die Zweifel an der unerschütterlichen Liefertreue von Gazprom sitzen nun tief. So etwas hätte es tatsächlich im Monoblock aller kommunistischen Regierungen des ehemaligen Ostblocks nie gegeben. Denn dort wurden Dreißigjahresverträge ebenso streng befolgt wie das kommunistische Manifest an jeder Lenin-Schule.
Nun aber tragen die Regierungen ihre unterschiedlichen Interessen zum Teil martialisch aus. Erst recht in der Ukraine, die früher zum Sowjetreich gehörte und nun ein eigenständiger Staat ist. Zudem ist der Einfluss von E.On auf den mächtigen Lieferanten Gazprom ist geringer geworden, seitdem der deutsche Konzern seinen Aktienanteil an Gazprom von 6,5 Prozent auf nun 3,5 Prozent reduzieren musste.
Für E.On ist das eine neue Situation. Diese soll nun ein Mann verbessern. E.Ons Antwort heißt Tazin, Sergei Tazin.
Tazin wird E.Ons Gesicht in Russland
Der 44-jährige Russe ist seit 100 Tagen bei E.On. Seit Anfang des Jahres arbeitet er für E.On. Tazins Aufgabe: Er soll praktisch auf Arbeitsebene, aber im Schulterschluss mit Ex-Kanzler Gerhard Schröder das Gesicht der deutschen Energiewirtschaft in Russland vertreten. E.On ist als größter Gasimporteur aus Russland quasi identisch mit diesen nationalen Interessen.
Mit anderen Worten: Tazin soll die Drähte zu Politik und Wirtschaft in Russland wieder ins Glühen bringen. Er soll Termine bei Premier Wladimir Putin machen. Er soll in alle Ministerien, vor allem ins Wirtschafts- und in das Energieministerium gute Verbindungen schaffen - damit E.On nicht abgehängt wird vom innerrussischen Informationsfluss. Tazin ist in der Hierarchie direkt unterhalb des Vorstands angesiedelt. Er ist E.Ons mächtigster Mann in Russland.
E.Ons neuer Russlandchef bringt Doppelqualifikationen mit, die ideal sind für den eon-russischen Dialog. Der sympathische Russe spricht fließend englisch und französisch. Er studierte am Spracheninstitut in Moskau bevor er nach Amerika ging, um sich dort an der Rensselaer Polytechnic Institute in Troy im US-Bundesstaat New York einzuschreiben. Dort wurde er zum Ingenieur für Elektrotechnik (Bachelor of Science in Electric Power Engineering). Er heuerte beim uramerikanischen Unternehmen Edison Inc. an und startete dort als Ingenieur in einem Kraftwerk nahe Troy. Später kam er als Entwicklungsingenieur zu General Electric und lernte dort auch den ehemaligen Großguru von GE, Jack Welch, kennen, von dem er sich amerikanische Managementsitten abguckte.
Dann ging er wieder nach Russland. Als Generaldirektor von Altai-Power in Kamenogorsk war er für Energielieferungen an eine Million Kunden veranwortlich. Später war er Direktor bei der Fernwärmegesellschaft Eurosib Power Co in Moskau. Hier lernte er auch die politische Elite kennen, die in Russland für Energie verantwortlich ist.
Bei E.On ist er nun fast ganz oben angesiedelt. Er darf sich sogar "CEO von E.On Russia" nennen, also Vorstandsvorsitzender. Die hohe Ansiedlung von Tazin in der E.On-Hierarchie deutet auf eine Kräfteverlagerung hin. In einem Jahr wird die Debatte neu entflammen, wer Nachfolger von Bernotat wird. Im Mai vergangenen Jahres wurde sein Vertrag verlängert - doch nur um zwei Jahre, der 2010 ausläuft. Also wird ein Jahr vorher die Nachfolgediskussion im Aufsichtsrat geführt.
In den internen Zirkeln, so heißt es aus dem Konzern, ist schon ausgemacht, wer sein Nachfolger wird: E.Ons Organisationschef Johannes Teyssen. Und der soll Tazin dann als Russland-Chef in den Vorstand berufen - wenn Tazin die hohen Erwartungen erfüllt, die alle bei E.On in ihn setzen. Der Auftrag heißt: Niemals wieder von einem Lieferstopp von Gazprom geschockt werden - auch wenn er nur ein paar Tage dauert.