Gefängnis-Report Haftbedingungen im Ausland

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Haftort Russland

Jana Jakowlewa wurde im Moskauer Frauengefängnis in eine Massenzelle mit 40 Frauen gepfercht. Für die resolute Unternehmensgründerin, die 80 Mitarbeiter führte, ein traumatisches Erlebnis. Jakowlewa, verurteilt zu 15 Jahren Haft, kam nach sieben Monaten frei – bis heute ohne jede Erklärung der Behörden, aber vermutlich aufgrund der starken Resonanz, die ihr Fall ausgelöst hatte: „Öffentliche Aufmerksamkeit und Druck von unten sind das Einzige, was gegen Strafrechtsmissbrauch hilft.“ Den unterstellt sie. Denn nach Jakowlewas Darstellung drängten Beamte der russischen Arzneimittel-Aufsichtsbehörde ihr Unternehmen Sofex, Lösungsmittel für die Silikon-Herstellung, die sich auch zur Drogenproduktion eignen, an dubiose Kontaktleute in Tadschikistan zu liefern. Als sie nicht parierte, wurde sie festgenommen und angeklagt. „Der Weg in den Gerichtssaal war wie der Gang zum Schafott“, sagt sie, „denn ich wusste ja, dass der Fall konstruiert war und dass ich keine Chance hatte.“ Wieder in Freiheit, veröffentlichte Jakowlewa ihre Briefe aus dem Gefängnis als Buch, fand andere Geschäftsleute, denen Ähnliches widerfahren war.

Die Bedingungen für Häftlinge aus der Wirtschaft richten sich nach dem politischen Hintergrund ihrer angeblichen oder tatsächlichen Vergehen. Das bekamen auch die Manager des Ölkonzerns Yukos zu spüren, der zerschlagen und einem Staatsbetrieb einverleibt wurde. Seit der frühere Oligarch und Yukos-Chef Michail Chodorkowski beim Kreml in Ungnade fiel und wegen Steuerhinterziehung und Betrugs verurteilt wurde, sitzt er in der sibirischen Strafkolonie IK-10 Krasnokamensk. Die aus der Zarenzeit stammende und in der Sowjetunion weiterentwickelte Methode, Häftlinge fern der Heimat festzusetzen, ist noch heute Usus. Chodorkowski lebt gefährlich in seinem Lager: Während er schlief, verletzte ein Zellengenosse ihn mit einem Schustermesser im Gesicht. Nach Aussage eines ehemaligen Mithäftlings setzt die Gefängnisleitung Spitzel, im Knastjargon „Brüthennen“, auf Chodorkowski an, die belastende Informationen sammeln sollen. Mal wird seiner Frau, mal seinen Anwälten unter kuriosen Vorwänden der Zugang verwehrt. Angebliche Verstöße wie Teetrinken am falschen Ort vereitelten Chodorkowskis Gesuch um vorzeitige Entlassung. Noch härter traf es den früheren Yukos-Vizechef Wassili Alexanian: Trotz einer Aids- und Krebserkrankung erhielt er monatelang keine angemessene medizinische Behandlung.

Die Gefahr, mit dem HI-Virus, Hepatitis oder Tuberkulose infiziert zu werden, ist hoch. Etwa ein Drittel der Häftlinge ist infiziert, Gesunde und Kranke werden nach Angaben von Menschenrechtsgruppen oft gemeinsam untergebracht. Insbesondere Untersuchungsgefängnisse sind oft überfüllt, ihre Insassen leiden unter Platz- und Sauerstoffmangel. Die Enge resultiert aus den Gepflogenheiten der Gerichte, vielfach schon in minder schweren Fällen, auch bei Wirtschaftsdelikten, U-Haft anzuordnen.

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