Gefängnis-Report Haftbedingungen im Ausland

Überfüllte Zellen, Dauerkontrollen, Aids-Gefahr: Die Haft im Ausland, in Frankreich, den USA, Brasilien und Russland, kann für Wirtschaftsstraftäter zur Qual werden.

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Haftort Frankreich

Airbus-Chef Thomas Enders: Die Quelle: REUTERS

Als eines „der schrecklichsten Erlebnisse“ seines Lebens betrachtet der wegen Veruntreuung zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilte frühere Chef des Mineralölkonzerns Elf Aquitaine Loïk Le Floch-Prigent seine Zeit im Pariser Gefängnis La Santé. Ähnlich hat sich auch Bernard Tapie geäußert, der ehemalige Minister und Adidas-Eigner, der mehrmals wegen Steuerhinterziehung einsaß: „Die ersten Stunden im Gefängnis werden immer Teil meines Lebens bleiben.“ Zwar haben es Prominente wie Le Floch, Tapie und der Milliarden-Spekulant Jérôme Kerviel, der die Bank Société Générale um rund fünf Milliarden Euro prellte, vergleichsweise komfortabel. Sie sitzen im Gefängnis in einem Sondertrakt, in einer etwa neun Quadratmeter großen Einzelzelle. Normalerweise drängeln sich in einem solchen Raum bis zu vier Häftlinge. Doch es reicht schon, die Schreie der Neuankömmlinge, die von ihren Mithäftlingen vergewaltigt werden, aus der Ferne zu hören, um die Nerven zu verlieren. Frankreichs Strafanstalten werden von internationalen Organisationen regelmäßig als eines zivilisierten Landes nicht würdig bezeichnet. Alvaro Gil-Robles, ehemaliger Menschenrechtskommissar des Europarates, beschreibt sie als die schlimmsten in ganz Westeuropa. Dass sich der deutsche Ex-Staatssekretär Ludwig-Holger Pfahls, der wegen Korruption und Steuerhinterziehung mehrere Monate in La Santé in Paris einsaß, lieber nach Deutschland ausliefern ließ, war für Kenner der Situation verständlich.

Etwas von diesen Zuständen bekommen auch die Manager des Luft- und Raumfahrtkonzerns EADS mit, die im Rahmen von Ermittlungen der französischen Justiz – wegen angeblicher Insiderdelikte beim Verkauf von Aktien – in Polizeigewahrsam geraten. In Frankreich ist es üblich und gilt quasi als Teil der Ermittlungen, Beschuldigte bis zu 48 Stunden festzuhalten und sie zwischen den Verhören zwei Nächte mit einer nach Urin stinkenden Decke in eine Zelle einzusperren, in der ein Loch im Boden als Toilette dient. Verdachtsmomente sind dafür gar nicht nötig. Neben dem ehemaligen EADS-Co-Vorsitzenden Noël Forgeard kamen Ex-Airbus-Chef Gustav Humbert sowie Andreas Sperl, Chef des Dresdner Werkes, schon in den zweifelhaften Genuss dieser Prozedur, die auch Airbus-Chef Thomas Enders droht.

Haftort USA

In den USA wurden in den vergangenen Jahren gleich reihenweise Manager-Superstars zu langen Haftstrafen verurteilt. Der heute 67-jährige Bernie Ebbers, ehemaliger Chef des Telekommunikationskonzerns Worldcom, sitzt seit zwei Jahren als Gefangener Nummer 56022–054 im Oakdale Federal Correctional Complex in Louisiana ein und verbüßt dort eine 25-jährige Strafe. Der 61-jährige Dennis Kozlowski, Ex-Chef des Elektronik-Konglomerats Tyco mit Sitz auf Bermuda, muss mindestens acht Jahre hinter Gittern verbringen. Er sitzt in der Mid-State Correctional Facility im Bundesstaat New York ein. Und der ehemalige Chef des einstigen Energieriesen Enron, Jeffrey Skilling, wird 74 Jahre alt sein, wenn er am 21. Februar 2028 seine Haftstrafe im Bundesgefängnis von Waseca in Minnesota verbüßt hat.

Skillings Aufenthaltsort steht exemplarisch für den Absturz der White-collar-Verbrecher in den USA. Für den Ex-Enron-Chef müssen bereits die Schilder am Eingang des 10.000-Einwohner-Ortes Waseca in Minnesota wie blanker Hohn gewirkt haben: „Waseca: For an Hour… for a Lifetime“. Ob eine Stunde oder fast das ganze Leben – heute leben hier mit Skilling gut 1000 Häftlinge in fünf Ziegelsteinbauten. Meist teilen sich vier Insassen eine Kammer mit zwei einfachen Etagenbetten. Es gibt einen Basketballplatz, ein Laufoval und Tischtennis. Es wird erwartet, dass die Häftlinge arbeiten, der Stundenlohn beträgt weniger als einen Dollar. Der Tagesablauf ist streng reguliert. „Sie sagen dir, wann du aufstehen musst, wann du zum Frühstück musst, welchen Job du erledigst, wann du schlafen gehst“, berichtet ein früherer Insasse. Doch auf dem Gelände, das von Zaun und Stacheldraht umgeben ist, können sich die Häftlinge einigermaßen frei bewegen, denn Waseca ist ein Gefängnis mit niedriger Sicherheitsstufe. Das hört sich relativ harmlos an. „Doch lasst uns ehrlich sein“, sagt Ray Hill, ein ehemaliger Häftling, „Gefängnisse sind rassistische, sexistische und homophobische Orte.“ Hill saß selbst acht Jahre wegen Diebstahls ein und betreut die unter Knackis und deren Familienmitgliedern in Südwest-Texas beliebte Radio-Sendung „The Prison Show“.

Ex-Tyco-Chef Kozlowski, Häftling Nummer 05A4820 in Mid-State, würde sich über solche Haftbedingungen freuen. Er wurde in ein Gefängnis der mittleren Sicherheitsstufe eingewiesen. „Wohin Wirtschaftskriminelle überstellt werden, darauf haben sie selbst praktisch keinen Einfluss“, sagt Marilyn McShane, Professorin für Strafrecht an der Universität von Houston und Autorin des Buchs „Prisons in America“.

Kozlowski hat eine etwa drei mal knapp vier Meter große fensterlose Einzelzelle mit Bett, Toilette, Waschbecken und kleinem Spind. Kärglich für einen früheren Wirtschafts-Sonnenkönig, den sein 6000-Dollar-Duschvorhang einst zum Paradebeispiel für hemmungslose Verschwendungssucht machte. Heute arbeitet Kozlowski in der Gefängniswäscherei. Sein Rat für alle Managerkollegen, die eine solche Strafe antreten müssen: „Bereite dich auf das Schlimmste vor.“

Traumatisierende Haftbedingungen müssen auch Frauen fürchten, selbst wenn sie nur zu relativ kurzen Haftstrafen verurteilt werden. Das zeigt Lea Fastow, die ehemalige Assistentin des Finanzchefs von Enron und Ehefrau des Kronzeugen im Enron-Prozess, Andrew Fastow. Sie musste ihre einjährige Haftstrafe in einer rund acht Quadratmeter kleinen Zelle des Federal Detention Center in Houston verbringen, einer Fläche ungefähr so groß wie ihr früherer begehbarer Kleiderschrank. Dazu kamen ständige Bedrohungen durch Gewalt, routinemäßige Durchsuchungen, bei denen sich die Gefangenen ausziehen müssen, und enge Betten, berichten Ex-Insassen. Nicht einmal die Toilette konnte sie unbeobachtet benutzen. Die stand ohne Abtrennung in der Zelle, die sie sich mit einer anderen Gefangenen teilte.

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