Gefängnis-Report Nadelstreifen hinter Gittern: Manager berichten aus dem Knast

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Ex-AUB-Vorstand Wilhelm Quelle: AP

In einem Bau der JVA Nürnberg aus den Siebzigerjahren sitzt der ehemalige Siemens-Geschäftspartner und Chef der von Siemens heimlich mit rund 50 Millionen Euro gepäppelten Arbeitsgemeinschaft Unabhängiger Betriebsangehöriger (AUB), Wilhelm Schelsky. Die Staatsanwaltschaft wirft Schelsky Steuerhinterziehung und Beihilfe zur Untreue vor, was der im Wesentlichen bestreitet. Während der mit ihm angeklagte frühere Siemens-Zentralvorstand Johannes Feldmayer, dem wegen des Verdachts der Untreue in einem besonders schweren Fall bis zu zehn Jahre Haft drohen, als freier Mann den Gerichtssaal betritt, wird Schelsky stets von Vollzugsbeamten hereingeführt. Seit einer seiner Anwälte versuchte, ihm im Prozesssaal Zeitungen zuzustecken, darf er nicht mehr zwischen den beiden Verteidigern sitzen, sondern wurde auf die Bank dahinter verbannt.

Schelsky ging jahrelang in den Siemens-Chefetagen ein und aus. Er hatte enge Beziehungen zum IOC-Vize Thomas Bach. Sein Domizil war eine Villa an der Ostsee, die er am 14. Februar 2007 mit neun Quadratmetern hinter Gittern tauschte.

Bleierne Regeln im Knast

Seit über 600 Tagen lebt er nun in einem U-Haft-Trakt mit insgesamt 18 Zellen. Jede hat die Größe und den Charme einer Abstellkammer: grauer Linoleumfußboden, lindgrün gestrichene Betonwände, Gitter vorm Fenster. Über der Tür hängt ein kleiner Fernseher, für den Schelsky 18 Euro Leihgebühr im Monat bezahlt. Schelsky darf sich morgens, mittags und abends von einem sogenannten Hausarbeiter, selbst ein Häftling, seine Mahlzeit auf dem Flur abholen. Am 21. Oktober wurde er 60, der zweite Geburtstag, den er im Knast verbrachte. Ein alter Weggefährte wie AUB-Vorstand Heinz-Jürgen Forstreuter, der den früheren Vorsitzenden jetzt im Gerichtssaal wiedersah, sagt: „Das ist nicht mehr der Schelsky, den ich kenne.“ Im Oktober erfuhr der Langzeit-Untersuchungshäftling, dass sein Antrag auf Aussetzung des Haftbefehls wieder abgelehnt worden war: „An dem Tag“, sagt sein Anwalt Jürgen Lubojanski, „war mit ihm kaum mehr zu sprechen.“

Das Leben im Knast ist wie ein Leben ohne Strom. Kein Zeitdruck mehr, keine Jagd von einem Termin zum nächsten. Stattdessen herrschen bleierne Regeln. Laut Lubojanski half Schelsky gerne zu Anfang seiner U-Haft in der Anstaltsbibliothek. Aber dann wurde er verlegt. Die Anstaltsleitung trifft alle Entscheidungen über Gegenstände im Haftraum, über Bücher oder Zeitungen, die der Häftling möchte. Den Schriftverkehr kontrolliert der zuständige Richter, der auch Besuchsscheine ausstellt. Auf privaten Besuch besteht eine Stunde pro Monat Anspruch, zwei oder drei Stunden sind großzügig. „Vielen Betroffenen erscheint diese Situation anfangs kafkaesk“, sagt der Nürnberger JVA-Chef Hans Welzel.

Sonne gibts nur hinter Gittern

Denn der Knast-Alltag ist haarklein geregelt. Zwei Stunden am Tag ist für Schelsky „Aufschluss“, wie es im Gefängnisjargon heißt. Dann sind die Türen innerhalb eines Trakts offen, und Schelsky kann mit anderen Häftlingen sprechen, allerdings nicht hinter verschlossener Tür. Morgens ist eine Stunde Hofgang, auch bei Regen. Sollte die Sonne später scheinen, sieht Schelsky sie nur durch das Eisengitter. Um aus dem hoch liegenden Fenster zu schauen, muss er auf einen Stuhl steigen. Zweimal im Monat dürfen die Gefangenen des Traktes geschlossen im Gefängnis-Supermarkt einkaufen. Dort gibt es das „normale Sortiment“, sagt Anstaltsleiter Welzel, „aber ohne Alkohol“. Für die Einkäufe darf jeder maximal 178 Euro im Monat ausgeben. Jeder hat dafür ein internes JVA-Konto.

Zu den Tiefpunkten im Häftlingsleben gehört der Transport zwischen mehreren JVAs. Im Beamtenjargon heißt das Verschubung. Dabei werden Gefangene mit einem vergitterten Bus nach festem Fahr- und Routenplan durch Deutschland gekarrt. Wer etwa von Passau nach Hamburg gebracht wird, weil er dort in einem Prozess aussagen muss, fährt aber nicht direkt, sondern über mehrere Etappen dorthin. Die Verschubungszellen gelten als das Schlimmste und Unhygienischste, was der deutsche Justizvollzug zu bieten hat.

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