Geschäftsmann Karajan Der Notenbanker

Herbert von Karajan war nicht nur ein begabter Dirigent, sondern auch ein begnadeter Geschäftsmann.

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Geiger mit Notenblatt Quelle: REUTERS

Den Sound seines Lebens hat Herbert von Karajan nicht gesucht, er hatte ihn schon früh gefunden – keiner wusste das besser als Karajan selbst. Weil er sein musikalisches Ideal schon als blutjunger Dirigent im Ohr hat, ist seine Arbeit nie tastendes Forschen, stets wissende Verfeinerung. Bereits in seiner Zeit am Ulmer Stadttheater (1929–1934) hört er „zwei verschiedene Orchester“: den „tatsächlichen Klang“ und „einen Idealklang, der darüber gelagert war“. Und weil sich diese beiden Klänge in Ulm noch nicht zur Deckung bringen lassen, tröstet Karajan sich mit seinen Klangkopfgeburten über die mangelhaft tönende Realität hinweg: „Ich habe gelernt, das reale Orchester nicht zur Kenntnis zu nehmen, seine Fehler und Unvollkommenheiten zu ignorieren und dafür umso intensiver dem imaginären Orchester zu lauschen. Sonst hätte ich’s einfach nicht ausgehalten.“

Erst mehr als zwei Jahrzehnte später hat Karajan das Orchester zur Verfügung, mit dem er der Realisierung seines Traumklangs Schritt für Schritt näher kommt: die Berliner Philharmoniker. Es ist ein Klang, der Arturo Toscanini so verpflichtet ist wie Wilhelm Furtwängler. Von diesem entlehnt Karajan Glut, Leidenschaft und Sinn für die großen symphonischen Bögen, von jenem übernimmt er die heißkalte Strenge und rhythmische Klarheit. Von 1955 bis 1965 ist, künstlerisch gesehen, Karajans goldene Dekade. Mag sein, dass ihm schon damals ein bestimmter Stil, eine typische Diktion, eine klare Richtung fehlt. Ohne Zweifel hat man ihn seither nie mehr so beschwingt und delikat, so elegant und schneidig, so detailverliebt und formvollendet, so gläsern und samtig zugleich gehört. Mit 50 Jahren ist er auf dem Höhepunkt seines Könnens angelangt, konzentriert er in seiner Person alle denkbaren Dirigentenvorzüge.

Doch Karajan glänzt nicht nur am Pult, auch seine Meriten als Unternehmer sind beachtlich. Er weiß mit Musik- wie mit Banknoten gleichermaßen umzugehen. Karajan bespielt die vier weltgrößten Musikkonzerne gleichzeitig, steht als Chef- und Gastdirigent in Berlin, Wien und London den besten Orchestern der Welt vor, lässt sich zum König der Salzburger Festspiele krönen, versammelt von der Schwarzkopf bis zur Callas die Primadonnen der Welt um sich – und handelt Fantasiegagen für sich aus. Als er am 16. Juli 1989 stirbt, hinterlässt er ein geschätztes Vermögen von mehr als einer halben Milliarde Mark. Den Sound seines Lebens allerdings, den hat er irgendwann, ein, zwei Jahrzehnte vorher, längst verloren. Mit akzentfreiem Gepränge verfeinert er in seinen späten Jahren allzu oft den bürgerlichen Feierabend – und viel zu selten die Musik der alten Meister.

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