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Gesundheitspolitik Der Pillen-Dreh: Wie Medikamente billiger werden sollen

Steigende Arzneimittelpreise machen Krankenkassen arm und Pharmakonzerne reich. Gesundheitsminister Philipp Rösler will das jetzt ändern. Doch seine Pläne gehen nicht weit genug. Erfolgreiche Strategien aus dem Ausland zeigen, wie Medikamente wirklich billiger werden.

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unt_pharma_aufm Quelle: Getty Images/David Sutherland

Wie entsteht ein Preis? Durch Angebot und Nachfrage? Nicht in der deutschen Pharmaindustrie. „Will ein Unternehmen zum Beispiel mit einem neuen Krebsmittel etwa zwei Milliarden Euro pro Jahr verdienen“, erzählt ein Insider, „und gibt es dafür nur 30.000 Patienten, dann teilt man eben die zwei Milliarden Euro durch 30.000 und fertig ist ungefähr der Preis.“ So kostet eine Jahresration des Darmkrebsmittels Erbitux in Deutschland gut 62.000 Euro, pro Monat macht das 5200 Euro. In Großbritannien bezahlen die Patienten für dasselbe Präparat nur 2858 Euro. Das ist symptomatisch: Um 18 Prozent liegen die deutschen Medikamentenpreise über dem Durchschnitt der OECD-Industrieländer.

Pharmahersteller können in Deutschland nicht nur für rezeptfreie Mittel von Aspirin bis Warzensalbe, sondern auch für rezeptpflichtige Medikamente die Preise frei festlegen. Neben Malta und Dänemark ist Deutschland das einzige Land in Europa, in dem Krankenversicherungen immer noch ohne Kontrolle zahlen, was Arzneimittelfirmen fordern.

Kein Wunder, dass das deutsche Gesundheitswesen an den Kosten zu ersticken droht. Angesichts immer weiter steigender Pillenpreise und Krankenkassenbeiträge nimmt Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler nun den Kampf mit Pharmagiganten wie Bayer, Boehringer oder Novartis auf. Sein Rezept, um die Arzneimittelkosten um bis zu zwei Milliarden Euro pro Jahr zu drücken: Rösler will den Konzernen Verhandlungen mit den Kassen aufzwingen. Die Pillenhersteller können künftig nicht mehr erwarten, dass ihnen jeder gewünschte Preis erstattet wird. Auch sollen sie stärker den Nutzen ihrer Produkte und den Mehrwert gegenüber der Konkurrenz nachweisen.

Deutsches Gesundheitswesen auf der Intensivstation

Immerhin. Doch Rösler könnte noch viel mehr tun, um Versicherte und ihre Arbeitgeber finanziell zu entlasten. So gibt es bei der Preisfestsetzung für Medikamente Stellschrauben, an denen andere Länder längst mit Erfolg drehen: härtere Nutzen-Nachweise, keine automatische Erstattungspflicht der Krankenversicherungen, Zulassungsbeschränkungen von Medikamenten je nach Krankheit oder Patientengruppe, die Deckelung von Unternehmensgewinnen und einiges mehr. Das Sparvolumen in Deutschland wird auf fast dreieinhalb Milliarden Euro jährlich geschätzt, ohne dass die Patienten zu leiden hätten.

Das deutsche Gesundheitswesen ist ein Intensivpatient: Allein für Arzneimittel gaben die gesetzlichen Kassen (GKV) im Jahr 2009 etwa 30 Milliarden Euro aus – Tendenz: um jährlich rund fünf Prozent steigend. Die Bundesregierung pumpte 2009 schon 15,4 Milliarden Euro Steuergeld in den Gesundheitsfonds zur stabileren Finanzierung der gesetzlichen Kassen. Selbst die privaten Krankenversicherungen (PKV), die staatlichen Einfluss auf ihr Geschäft sonst ablehnen, rufen nach mehr gesetzlichem Rückhalt bei Preisverhandlungen mit Pharmakonzernen.

Rabatte und Moratorien

Die Geldnot hat Folgen über steigende Beiträge hinaus. So beklagt Ärztepräsident Jörg-Dietrich Hoppe die versteckte Rationierung medizinischer Leistungen.

Der Druck auf Rösler ist deshalb enorm. Doch dem jungen Minister steht die erprobte Abwehrfront der Pharmalobby gegenüber. Sie schwingt bei jedem Reformversuch die „Wir sichern Arbeitsplätze in Deutschland“-Keule. Derzeit sind das rund 127.000 Jobs. Röslers Vorgängerin Ulla Schmidt (SPD) hat sich mehrfach die Zähne ausgebissen bei der Sisyphosarbeit, die Branche zu regulieren – unter anderem mit Festbeträgen und einem Preismoratorium.

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