Grünes Image Claus Hipp – König der Nachhaltigkeit

Marketingabteilungen zahlen Millionen für ein grünes Image. Eine Exklusivstudie zeigt nun, welche Unternehmen wirklich als nachhaltig wahrgenommen werden. Keinem gelingt das so gut wie dem Babykostproduzenten, Künstler und Musiker Claus Hipp. Wie macht er das?

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Herr der Gläschen Quelle: dpa

Der Mann, dem die Frauen vertrauen, hat schlecht geschlafen. Claus Hipp sitzt in einem dunkelbraunen Ledersessel in seinem Büro in Pfaffenhofen bei München und erzählt von einer komplizierten Pferdegeburt. Die halbe Nacht hatte ihn ein Fohlen wach gehalten, das nicht zur Welt kommen wollte. Es lag falsch herum im Mutterleib, Hipp musste in den Stall und das Pferdebaby drehen.

Nun ist das Neugeborene wohlauf und Claus Hipp guter Dinge. Und das, obwohl er trotz seines nächtlichen Geburtshelfereinsatzes um halb fünf aufgestanden war, bei seinen 20 Pferden und 80 Rindern nach dem Rechten gesehen, die Dorfkirche aufgeschlossen und um acht Uhr im Büro seinen ersten Besucher empfangen hat – wie fast jeden Tag: Der 72-Jährige schont sich nicht, auch nach mehr als 40 Jahren als Firmenchef nicht.

Dabei könnte er sich zurücklehnen und zurückblicken auf ein Leben, in dem er so viel geschafft hat wie andere in drei Leben nicht: Seit er nach dem Tod seines Vaters im Alter von 29 Jahren plötzlich das Familienunternehmen übernehmen musste, hat er es zu einer der bekanntesten Marken Deutschlands gemacht, zum größten Produzenten von Babynahrung und einer Ikone der Biobewegung: Kein Unternehmen verarbeitet mehr organisch-biologische Rohstoffe.

Ihm Glauben die Deutschen

Doch Claus Hipp ist ein Mann, der nicht aufhören kann. Einer, der bis zuletzt daran mitarbeiten will, die Welt zu einem besseren, „für unsere Kinder liebenswerten Ort“ zu machen, wie er sagt.

Das glauben ihm die Deutschen. Laut einer Studie der Werbeagentur Serviceplan halten sie Hipp für das nachhaltigste Unternehmen – noch vor der Drogeriekette dm und dem Haushaltsgerätehersteller Miele. Hipp, so glauben die Konsumenten, gehe verantwortungsvoller und fairer mit Ressourcen, Lieferanten und Mitarbeitern um als alle anderen Unternehmen. Trendforscher wissen: Das Thema ist keine grüne Folklore mehr. Die Zahl der Konsumenten, die nachhaltiges Wirtschaften einfordern, wächst. „Manche Kundenschichten lassen sich ohne derartiges Engagement überhaupt nicht mehr erschließen“, sagt Serviceplan-Geschäftsführer Ronald -Focken, „junge Familien zum Beispiel.“

Und so drucken Unternehmen massenhaft grüne Absichtserklärungen in ihre Broschüren. Nur ein Bruchteil von ihnen jedoch hat laut einer Studie der UN Umweltschutz tatsächlich als Unternehmensziel definiert. Hipp gehört zu diesen seltenen Beispielen.

Kaum einem Unternehmer ist es gelungen, verantwortungsvolles Handeln und nachhaltiges Wirtschaften so tief in die DNA seines Unternehmens einzupflanzen. Und kein Unternehmer hat diese Anstrengungen über Jahrzehnte so konsequent kommuniziert.

Dabei interessiert sich Claus Hipp selbst gar nicht so sehr für Umfragen und Studien. Er ist ein Mann, der auf einem festen, auf tiefem christlichem Glauben basierenden Wertefundament handelt. „Ich lasse mit mir reden“, sagt er. „Aber wenn mir etwas wichtig ist, dann entscheide ich.“

Das Hipp Knuspermüsli Quelle: obs

So wie in den Neunzigerjahren, als Hipp aus Preisverhandlungen mit der Drogeriekette Schlecker ausstieg. Schlecker – damals einer der wichtigsten Kunden – listete den Babybrei aus Pfaffenhofen aus. Ein schwerer Schlag für das Familienunternehmen, dem dadurch 25 Prozent des Umsatzes wegbrachen. Doch seine Gläschen unter Wert zu verkaufen kam für Hipp nicht infrage. Jahre später gaben die Schlecker-Einkäufer nach und nahmen den Babybrei aus Pfaffenhofen wieder in die Regale auf – zu Hipps Konditionen.

Wenn man ein Beispiel für das von Ratgebern abgenutzte Adjektiv „authentisch“ suchen würde, Hipp wäre der beste Kandidat. Als ihn die Kreativen seiner Werbeagentur vor einigen Jahren überreden wollten, für einen Werbespot nicht mehr den traditionellen Janker zu tragen, den in Bayern beliebten Trachtenanzug, wiegelte er ab: Kommt nicht infrage. Ich bin, wie ich bin. Etwas anderes kann ich nicht.

„Damit war die Diskussion beendet“, erinnert sich einer, der dabei war. Hipp würde sich nie verbiegen. Er will berechenbar sein und glaubwürdig – bei Kunden, Mitarbeitern und Zulieferern.

Unklare Definition "Nachhaltigkeit"

Diese Glaubwürdigkeit lässt er sich einiges kosten: Rechts neben dem Haupteingang in der Pfaffenhofener Firmenzentrale erstreckt sich über drei Etagen ein bestens ausgestattetes Lebensmittellabor. Durch die Fenster an den Türen fällt der Blick auf Menschen mit Schutzbrillen und weißen Kitteln, die an Monitoren und High-Tech-Analysegeräten hantieren.

Bodenproben von 6000 Vertragsbauern untersuchen sie hier und Stichproben aller Gemüse- und Obstlieferungen. 225 000 solcher Tests haben sie im vergangenen Jahr durchgeführt, so penibel, dass auch andere Unternehmen und Behörden dort Lebensmittel untersuchen lassen. Stolz weist Hipp darauf hin, dass seine Kontrolleure so genau prüfen, dass sie in einem mit Wasser gefüllten Schwimmbecken sogar ein Salzkorn aufspüren würden.

Es exakt zu wissen, das ist für Hipp Nachhaltigkeit. So inflationär der Begriff anderswo genutzt wird, so wenig Klarheit besteht meist darüber, was damit gemeint ist. Hipp muss darüber nicht lange nachdenken: „Nachhaltigkeit“, sagt er „ist vergleichbar mit der Apfelernte: Sie dürfen die Früchte nehmen. Sobald Sie aber einen Ast absägen, um schneller an die Früchte zu gelangen, ist es nicht mehr nachhaltig.“

Er ist überzeugt, dass eine Generation nichts verbrauchen darf, was ihren Kindern zusteht, dass sie ihren Nachkommen keine Probleme hinterlassen darf.

Mit diesem Mantra ist er groß geworden. Als sein Vater Georg 1956 beschließt, auf Ökolandbau umzuschwenken, sind die Bauern alles andere als begeistert. Sie haben gerade die industrielle Landwirtschaft für sich entdeckt: Bessere Unkrautvernichter und leistungsfähiger Dünger lassen ihre Erträge wachsen. „Der spinnt, der Hipp“, sagen sie nur, erinnert sich Hipp junior in einem Interview mit der „Frankfurter Rundschau“.

Claus Hipp, Geschäftsführer Quelle: dpa

Hipp senior lässt sich nicht beirren. Wer nicht hinter dem Konzept steht, fliegt raus. So wird das Unternehmen zum Biopionier, während viele später prominente Vertreter der Ökoszene selbst noch Babybrei schlürfen. Auch der kleine Claus lernt, ein Leben im Einklang mit der Natur zu führen. Während sein Vater sich mit den Bauern anlegt, lehrt seine Mutter ihn, Pflanzen niemals ohne Grund auszureißen: Auch sie seien Geschöpfe mit einer eigenen Lebensberechtigung.

Auf diesem Wertefundament errichtet Claus Hipp ein 2000-Mann-Unternehmen, in dem mittlerweile 1,5 Millionen Gläschen Babybrei vom Band laufen – jeden Tag. Die Hälfte ihres Umsatzes machen die Pfaffenhofener im Ausland, und dort liegen auch die größten Wachstumschancen, „vor allem in Osteuropa“, sagt Claus Hipp. Denn die Zahl junger Familien in Deutschland schrumpft.

Millionen Gläschen

Angst macht ihm das nur aus demografischer Sicht. Sein Unternehmen werde es nicht so hart treffen. Umfragen zeigen, dass 20 Prozent der Gläschen von Erwachsenen verspeist werden, von jungen Frauen insbesondere. Wenn schon keine Babys mehr, dann wenigstens Babybrei.

Damit der Wertekanon von einst in seinem immer größeren, immer internationaleren Unternehmen nicht in Vergessenheit gerät, hat Hipp eigenhändig ein Biomanifest mit 13 Geboten verfasst. Darin steht: „Effektiver betrieblicher Umweltschutz ist nur durch das Mitwirken aller Beschäftigten möglich.“

Überall in der Firmenzentrale sieht man, dass das kein hohles Gerede ist: Das helle Holz in den Treppenhäusern und die meterhohen Pflanzen im Eingangsbereich verleihen dem Gebäude den Charme eines Landhotels. Betritt man die Toiletten, brennt dort niemals Licht, der Hinweis auf dem roten Aufkleber, das Licht zu löschen, hat längst Wirkung gezeigt.

Das Dach des Gebäudes wiederum hat Hipp so konstruieren lassen, dass es einige Meter vorsteht. Wenn das sommerliche Sonnenlicht steil einfällt, spendet der Dachvorsprung Schatten. Steht die Sonne im Winter am Horizont, strahlt sie in die Räume. Scheint die Sonne gar nicht, liefert ein nahe gelegenes Biomasseheizkraftwerk Strom. So produziert Hipp in Pfaffenhofen seit 2007 CO2-neutral. Dabei helfen unternehmenseigene Solarkraftwerke, eine Biogasanlage sowie ein Fuhrpark mit modernster Spritspartechnik.

Am liebsten aber ist es Hipp, wenn seine Kollegen ihr Auto stehen lassen: Wer die Bahn ins Büro nimmt, erhält die Fahrtkosten erstattet, wer mit dem Fahrrad kommt, erhält bis zu 14 Cent pro Kilometer.

Künstler Hipp Quelle: dpa

Hipp lebt das vor: Wenn er in München zu Terminen fährt, bei denen andere von einem Chauffeur abgesetzt werden, kommt er mit dem Fahrrad. Ihm gefällt es, anders zu sein; er kultiviert es, und er erzählt davon. Fast jede Woche ist er für Vorträge gebucht. Wenn er spricht, hat er diesen ruhigen, pastoralen Ton eines Menschen, den nichts mehr aus der Ruhe bringen kann.

Neulich erst sprach er vor den Wirtschaftsjunioren in Dingolfing-Landau. Er referierte über Unternehmertum, über die Grundsätze des ehrbaren Kaufmanns und die Tatsache, dass die Wirtschaft viel für die Zufriedenheit der Menschen tun kann, wenn sie von der Politik nicht allzu sehr mit Vorschriften behindert werde.Es gab viel Applaus und eine angeregte Debatte.

Wenn Claus Hipp nach solchen Veranstaltungen nach Hause fährt, muss er oft über die jungen Menschen nachdenken: wie fleißig sie sind, wie viel strebsamer als er und seine Altersgenossen.

Fahrrad statt Chauffeur

„Wir waren spaßbezogener“, sagt Hipp. „Der Beruf war egal, der kam irgendwann. Viel später.“ Doch er findet das problematisch: „Während die Ausbildung besser wird, verkümmert die Bildung“, sagt er. „Dabei brauchen wir Menschen, die -Lösungen unserer Probleme von morgen finden. Fachwissen allein reicht dafür nicht.“ Eine breite Bildung, vielseitige Interessen und Leidenschaft für Dinge außerhalb des eigenen Spezialgebiets seien notwendig für Kreativität, für selbstständiges Denken – für ein Leben, wie er es lebt.

Nach der Arbeit fährt Hipp selten direkt nach Hause. Sooft es sich einrichten lässt, hält er vor einem kleinen Forsthaus, seinem Atelier.

Dort zieht er die Anzugjacke aus, bindet seine Malerschürze um den Hals und wird zu Nikolaus Hipp, dem angesehenen Künstler. Seine Werke hängen in Kirchen und öffentlichen Gebäuden im ganzen Land; und sein Können gibt er gerne weiter: früher als Aushilfskunstlehrer in Gymnasien, heute als Professor für nicht gegenständliche Kunst an der Staatlichen Kunstakademie Tiflis in Georgien.

Wie er seinen Job als Chef, Hofbesitzer, Autor, Künstler und Vater von fünf Kindern unter einen Hut bekommt? „Ich bin geizig mit Zeit“, sagt er. „Besprechungen müssen nicht immer eine Stunde dauern.“

Gerade ist sein Kunst-Lehrbuch in zweiter Auflage erschienen. Darin stehen Sätze wie „Der freie Raum ist genauso wichtig wie Der gestaltete“ oder: „Gleichzeitig an mehreren Bildern arbeiten, um genug Zeit zum Trocknen zu haben“.

Dieser Satz könnte auch als Überschrift über seinem Leben stehen.

Während die Bilder auf seiner Staffelei trocknen, fährt er zu seinem Hof, wo seine Oboe und sein Englischhorn stehen. Er versucht, jeden Tag zu üben. Und wer bei Hipp arbeiten will, sollte das auch versuchen. Musisches Können ist für Hipp ein Einstellungskriterium: „Wenn zwei annähernd gleich intelligente Menschen mit der gleichen fachlichen Qualifikation vor eine bestimmte Aufgabe gestellt werden, wird der Musiker die Aufgabe fast immer besser lösen“, glaubt er. „Musiker haben andere Denkstrukturen.“

Zur Ausbildung junger Mitarbeiter gehören daher auch Opern-, Konzert- und Theaterbesuche – oftmals verbunden mit offiziellen Essen, bei denen junge Kollegen gleich noch Benimmregeln und freies Reden lernen sollen.

In seinem Kunst-Lehrbuch steht auch: „Wer nicht zum richtigen Zeitpunkt aufhört, macht leicht alles kaputt.“ Für Hipp selbst ist dieser Zeitpunkt noch nicht gekommen. Selbst wenn seine Söhne -Stefan und Sebastian längst in verantwortungsvollen Positionen im Unternehmen arbeiten. „Die sagen mir, wann ich nicht mehr gebraucht werde“, sagt er. „So lange freue ich mich, dass meine Meinung gefragt ist.“

Viel mehr hat Hipp dazu nicht zu sagen. Es gibt ja auch Wichtigeres. Die Energiewende zum Beispiel. Er glaubt, dass neben der Entwicklung von Speichertechniken das Energiesparen zum Megathema wird.

Vor wenigen Tagen hat er den Ernährungswissenschaftlern seines Unternehmens daher einen ungewöhnlichen Auftrag gegeben: Sie sollten prüfen, wie viele Kalorien Menschen in einer Woche zusätzlich verbrauchen, wenn die Temperaturen in Büros um ein Grad gesenkt würden. Das Ergebnis: So viele, wie eine Frau mittleren Alters verbrennt, wenn sie eine halbe Stunde joggen geht.

Frieren soll künftig bei Hipp in Pfaffenhofen niemand – nur die Zusammenhänge verstehen. Wer glaubhaft nachhaltig sein will, muss bei sich selbst anfangen.

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