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Scheitern verdient keinen Applaus

Mit Blick auf die Start-up-Szene in den USA versuchen gerade einige in Deutschland, Unternehmenspleiten in ein positives Licht zu rücken. Das verkennt, dass eine Insolvenz oft riesige Schäden anrichtet.

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Die Schäden von Insolvenzen sollten auch für Start-ups nicht unterschätzt werden. Quelle: dpa

Im Düsseldorfer Landtag gab es unlängst einen Streit, ob Scheitern zum Unternehmertum gehört. Es ging darum, ob Scheitern ein Zeichen unternehmerischen Muts ist, der eben seinen Preis hat. Und darum, ob der Nutzen der Risikobereitschaft unterm Strich nicht den Schaden überwiegt.

Vorweg: Diese Thesen halte ich im Grundsatz für sehr gefährlich, weil sie einschließen, dass es gut ist, auch wenn jemand nur aus Gier und Größenwahn handelt. Denn diese Sichtweise schließt in der Praxis auch ein, dass jeder machen können soll, was er will. Geht es gut, wird kassiert - geht es schief, wirft man den Bettel einfach hin. Dass die Mitarbeiter, die ihren Job verlieren, sowie die Steuer- und Beitragszahler, die für das Arbeitslosengeld oder Hartz IV aufkommen müssen, dann die Dummen sind, interessiert nicht.

Woher Startups ihr Kapital erhalten

Das hat mit Marktwirtschaft nichts zu tun. Im Gegenteil. Das widerspricht sogar einem zentralen Prinzip der Marktwirtschaft, nämlich dass die Entscheidungsträger, ob Unternehmer oder Manager, für ihr Tun haften.

Unternehmertum verpflichtet

Das gilt im Guten. Sprich: Jeder der Erfolg hat, soll viel Geld verdienen.

Das gilt aber auch im Schlechten. Das heißt, dass jeder für sein Handeln haften und für den von ihm durch sein Scheitern angerichteten Schaden aufkommen muss. Das muss generell auch für Gründer gelten.

Allerdings gilt es, bei Gründern zu differenzieren. Nehmen wir die amerikanische Start-up-Szene in der IT- und Internet-Hochburg Silicon Valley, aus der in kurzer Zeit Weltkonzerne wie Google und Facebook hervorgegangen sind. Das Prinzip dort ist folgendes: Es gibt viele Leute mit Ideen. Und es gibt Milliardäre und Fonds, die ihr Geld in diese Leute und deren Ideen investieren.

Diese Investoren, beziehungsweise sogenannte Risiko-Kapitalgeber, stecken viel Geld in Gründer, im Wissen, dass die meisten von ihnen wahrscheinlich am Ende kein tragfähiges Unternehmen zustande bringen werden.

Die spektakulärsten Pleiten 2014
Stadtwerke GeraWas bislang in Deutschland als undenkbar galt, ist im Sommer 2014 erstmals eingetreten: In Gera, der mit 95.000 Einwohnern drittgrößten Stadt Thüringens, haben die Stadtwerke Insolvenz angemeldet. Insolvenzverwalter Michael Jaffé aus München, der schon das Insolvenzverfahren von Kirch-Media betreut hat, setzt seither auf eine Sanierung der Stadtwerke, in deren Sogwelle auch der Verkehrsbetrieb und die Flugbetriebsgesellschaft Insolvenz anmelden mussten. Busse und Bahnen fuhren zwar unverändert weiter, aber Jaffé arbeitete Sparkonzepte aus, um den Zuschussbedarf für den Betrieb zu senken. Außerdem lotet er den Einstieg privatwirtschaftlicher Investoren aus und plant den Verkauf von Anteilen an einer Wohnungsbaugesellschaft. Die Folgen der Pleite reichen indes weit über die Grenzen von Gera hinaus. Auch in andere Kommunen ist die Schuldenlast drückend, gelten Insolvenzen städtischer Tochtergesellschaften nach Gera-Exempel nicht mehr als ausgeschlossen. Damit könnten zugleich aber auch Fragen nach der Absicherung und Eigenkapitalunterlegung von Bankkrediten an öffentliche Unternehmen auf die Agenda rücken. Quelle: dpa
Burger King GmbHNach monatelangen Querelen reichte im Dezember der größte Betreiber von Burger King Restaurants in Deutschland einen Insolvenzantrag ein. 89 Schnellrestaurants mit 3000 Mitarbeitern sind betroffen. Sie hatten schon im November schließen müssen,  nachdem die Burger-King-Zentrale dem Franchisenehmer Yi-Ko nach Schlagzeilen um Hygienemängel und schlechte Arbeitsbedingungen fristlos gekündigt hatte. Der vorläufige Insolvenzverwalter Marc Odebrecht erreichte eine schnelle Einigung mit Burger King und die Wiedereröffnung der Restaurants. Die insolvente Gesellschaft soll nun verkauft werden.   Quelle: dpa
ProkonDie Insolvenz des Windkraftunternehmens Prokon war nicht nur ein Schock für die Beschäftigten. Betroffen waren auch rund 74.000 Anleger, die insgesamt 1,4 Milliarden Euro in das Unternehmen investiert hatten. Sie werden nach Angaben von Insolvenzverwalter Dietmar Penzlin wohl rund die Hälfte ihres eingesetzten Kapitals verlieren. Penzlin will Prokon über ein Insolvenzplanverfahren sanieren und sondiert derzeit die Möglichkeit, den Konzern als Genossenschaft weiter zu führen. Quelle: dpa
WeltbildEine Debatte um erotische und esoterische Literatur stürzte das Verlagshaus Weltbild ab 2011 in eine tiefe Krise. Weltbild geriet ins Abseits, dann drehte die Kirche den Geldhahn zu. Anfang 2014 musste der defizitäre Verlag Insolvenz anmelden. Für die Beschäftigten begann ein Jahr der Ungewissheit: Ein interessierter Käufer sprang kurz vor einem Vertragsabschluss wieder ab. Doch Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz konnte einen neuen Kaufkandidaten aus dem Hut zaubern: Im Sommer übernahm die Düsseldorfer Droege Group den Verlag und kündigte weiteren Jobabbau an. Knapp ein Drittel der einst mehr als 3500 Stellen war zu diesem Zeitpunkt bereits weggefallen. Quelle: dpa
MS DeutschlandDie finanzielle Havarie der als ZDF-„Traumschiff“ bekannten MS Deutschland wurde im Oktober offenkundig. Die Geschäftsführung der MS-Deutschland-Beteiligungsgesellschaft stellte beim Amtsgericht Eutin Insolvenzantrag. Auf dem Schiff lasten Schulden von rund 56 Millionen Euro, davon sind 50 Millionen Anleiheschulden und drei Millionen Euro Zinsen. Wie viel die Anleger davon wiedersehen werden, hängt vom Verkaufserlös des Schiffes ab, den der Insolvenzverwalter Reinhold Schmid-Sperber erzielen kann. Quelle: dpa
MifaMifa, der größte deutsche Fahrradhersteller meldete Ende September Insolvenz an. Zuvor war eine Vereinbarung mit der indischen Hero Cycles gescheitert. Hero sollte eigentlich mit mindestens 15 Millionen Euro bei dem Unternehmen einsteigen. Zuletzt machte Mifa 13,2 Millionen Euro Verlust. Zudem kamen Fehler in der Bilanzierung ans Licht. So wurde Investoren 2012 und 2013 ein profitables Geschäft vorgegaukelt, das es so nie gegeben hat. Die Insolvenz trifft auch Mifa-Großaktionär Carsten Maschmeyer. Statt ihm steuert nun Insolvenzverwalter Lucas Flöther das Unternehmen. Quelle: dpa
StrenesseDer Nördlinger Modehersteller Strenesse stellte im April einen Antrag auf Insolvenz in Eigenverwaltung. Grund für den Schritt waren drückende Altlasten, die die Sanierung des Unternehmens behinderten wie der Strenesse-Vorstand erklärte. Seither mühen sich Sanierungsexperte Michael Pluta und der Sachwalter Jörg Nerlich um die Rettung des Modeunternehmens. Von der Insolvenz sind mehr als 350 Beschäftigte betroffen. Quelle: dpa

Das Kalkül dieser Investoren beruht aber darauf, dass die wenigen Erfolgreichen unter ihrem Einfluss so durchschlagenden Erfolg haben, dass der Verkauf der Firma den Geldgebern viel mehr einbringt, als sie in die erfolglosen Start-ups gesteckt haben. Wer also sein eigenes Geld zum Spielen oder Ausprobieren gibt in der Hoffnung, den großen Treffer zu landen, dem kann man nichts vorwerfen.

Gegen ein solches Scheitern ist grundsätzlich nichts einzuwenden, so lange dadurch nicht die öffentliche Hand, Beitragszahler oder Zulieferer einen Schaden haben.

Hier wäre auch Mitleid für diejenigen, die ihren Arbeitsplatz verlieren, eher fehl am Platz. Entweder hatten diese Leute vorher keinen Job, dann verdienten sie in der Zeit, in der das Start-up existierte, immerhin etwas. Oder sie ließen sich für ein besseres Gehalt beim Start-up von anderen Unternehmen abwerben. Wer das riskiert, muss damit leben, dass er verlieren kann.

Zocken mit fremdem Geld

Etwas anderes ist es, wenn Manager oder Unternehmer garantierte hohe Einkommen haben, egal welche Leistung sie bringen. Ich habe in Deutschland noch keinen Unternehmer oder Topmanager erlebt, der nach seinem Scheitern in Hartz IV gelandet ist. Viele haben sich vor der Insolvenz mit Selbstverständlichkeit hohe Gehälter bezahlt und hatten dann persönlich durch die Insolvenz kein Problem.

Es ist für mich untragbar, dass jemand das Geld, das er aus dem Unternehmen herausgezogen hat, beim Scheitern einfach behalten darf. Und dass diejenigen, die unverschuldet darunter leiden, weil sie ihren Lohn nicht mehr bezahlt oder ihre Rechnung nicht beglichen bekommen, im Wesentlichen haften müssen.

Dies gilt insbesondere für Unternehmen, die mit öffentlichen Zuschüssen gegründet wurden und sich satte Gehälter genehmigt haben. Scheitern bedeutet hier nicht, unternehmerischen Mut bewiesen sondern den Steuerzahler geschädigt zu haben.

Deutschland ist in den vergangenen Jahrzehnten groß geworden, ohne dass es eine Risikokapital-Kultur wie in den USA gab. Wenn sich das ändern sollte und Milliardäre zunehmend Geld in Start-ups stecken, obwohl am Ende viele scheitern, ist das in Ordnung.

Jedem sei ein großer Gewinn gegönnt, wenn er mit seinem eigenen Geld viel riskiert hat. Nur darf er dabei nicht fremdes Geld verspielen.

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