Ahornsirup Kanadas flüssiges Gold lockt klebrige Finger

Für Kanadier hat Ahornsirup einen emotionalen Wert. Der zähflüssige Saft gehört zu ihrer Kultur wie Eishockey und die rotbefrackte Reiterpolizei „Mounties“. Doch das flüssige Gold ist auch ein großer Wirtschaftsfaktor.

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Pfannkuchen mit Ahornsirup sind für viele eine Delikatesse. Quelle: Imago

Ottawa Er ist süß, klebrig – und ein beliebtes Diebesgut: Ahornsirup aus Kanada. Kürzlich stiegen Einbrecher in ein Lagerhaus am Flughafen von Montréal ein. Was sie stahlen, waren mehrere Paletten „Maple Syrup“, wie Feinschmecker den goldgelben Saft nennen. Die Ladung, gut 15.000 Liter in Dosen sollen die Kriminellen abgezapft haben, sollte von Québec per Schiff nach Japan gehen. Und umgerechnet rund 100.000 Euro bringen, was den Diebstahl zu einem vergleichsweise geringen Vergehen machte. Um weit größere Mengen ging es vor vier Jahren bei der „großen Sirup-Gaunerei“: Damals verschwanden mehr als 2,5 Millionen Liter für knapp 15 Millionen Euro.

Kanadas flüssiges Gold ist auch bei ehrlicheren Verbrauchern heiß begehrt. Im Jahr 2014 produzierte die Ahornsirup-Industrie um die 35 Millionen Liter, wovon sie ein Großteil zu Butter, Zucker und Lutscher veredelte. Alle Ahornprodukte zusammen gingen im vergangenen Jahr für 357 Millionen Dollar über den Ladentisch, wie das Statistikamt errechnete. Doch der Wirtschaftsfaktor Ahornsirup ist weitaus größer.

„Québecs Ahornsirup-Hersteller steuern jedes Jahr rund 600 Millionen Dollar zur Wirtschaft der Provinz bei“, erklärt Serge Beaulieu, Präsident der Föderation der Ahornsirup-Produzenten in Québec. „Sie schaffen 10.000 Vollzeit-Stellen, vor allem in den ländlichen Regionen.“

Im Vergleich zu anderen Rohstoffen, die das ressourcenreiche Land vorhält, ist Ahornsirup zwar ein Nischenprodukt. Doch gerade für eine große Zahl an Familienunternehmer auf dem Land ist es eine wichtige Einnahmequelle. Den Großteil des Sirups füllen sie für den Export ab. Zu den größten Abnehmern gehören die USA. Aber auch Deutsche sind auf den Geschmack gekommen und schütten Ahornsirup über Pfannkuchen.

Die Unternehmen im Osten Kanadas stellen nach Angaben des Landwirtschaftsministeriums rund 80 Prozent des weltweiten Aufkommens her. Die Region Québec gilt dabei mit einem Anteil von 90 Prozent als Zentrum der kanadischen Sirup-Produktion. Weit dahinter folgen Ontario mit vier und Neubraunschweig mit fünf Prozent. Allerdings hat Kanada in den vergangenen Jahren Marktanteile an die USA eingebüßt – in Neuenglandstaaten New York, Vermont, New Hampshire und Maine haben sich Sirup-Konkurrenten angesiedelt.

Neben dem materiellen Wert besitzt Ahornsirup für Kanadier auch einen emotionalen. Der zähflüssige Saft gehört zu ihrer Kultur wie Eishockey, die rotbefrackte Reiterpolizei „Mounties“ und das rote Ahornblatt auf der kanadischen Flagge.

Ahornsirup ist wie die meisten Rohstoffe ein knappes Gut. Denn nur in vier Regionen Kanadas wachsen „Zucker-Ahorn“ und „Schwarzer Ahorn“, die sich für die Sirup-Produktion eignen. Der Zuckergehalt des Saftes liegt bei bis zu drei Prozent. Gut 40 Liter zuckerhaltiges Wasser werden für einen Liter Sirup benötigt. Ein Baum gibt 1,5 Liter Saft, bevor er Schaden nimmt.

Wie sich aus Bäumen der Süßstoff gewinnen lässt, wussten angeblich schon die kanadischen Ureinwohner lange vor der Ankunft der Siedler aus Europa. Nach der ursprünglichen Technik ritzten sie die Baumstämme an und ließen die Flüssigkeit über ein Stück Rinde in Behälter aus Birkenrinde fließen. Dann füllten sie den Saft in ausgehöhlte Holzklötze, brachten ihn mit erhitzten Steinen zum Kochen. Erst ließ sich daraus Sirup, dann Zucker destillieren. Schon auf seiner ersten Reise nach Kanada 1534 soll der französische Entdecker und Seefahrer Jacques Cartier – der Überlieferung zufolge – gehört haben, dass die Indianer einen „leckeren Zucker“ aus Saft, der aus Bäumen fließt, gewinnen: Tatsächlich soll es sich um Ahornzucker gehandelt haben.


„Aus Deutschland kommen sehr viele“

Ivan Garland arbeitet heute nach ähnlichen Methoden wie seine Vorfahren. In der Nähe von Ottawa gehören ihm etwa 20 Hektar Ahornwald. Mit dem Kauf eines benachbarten Waldstücks – einem weiteren „Sugar bush“ – hat er seinen Baumbestand verdoppelt. In den kommenden Jahren will er die Produktion von derzeit rund 3.500 Litern Sirup pro Saison erhöhen. Viel Arbeit steht ihm bevor. „Im Herbst müssen Unterholz und abgestorbene Bäume und Büsche entfernt werden, damit wir im Frühjahr, wenn noch Schnee liegt, die Leitungen legen können, durch die der Saft fließen soll“, erklärt Farmer Garland.

Denn erst wenn der Ahornsaft entlang der Baumrinde hochsteigt, können ihn die Erntehelfer abzapfen. Während der Saft früher in einen Eimer tropfte, läuft die Produktion heutzutage weitaus professioneller ab. An Tausenden von Bäumen sind jeweils mehrere Zapfhähne angebracht. Während es in ganz Kanada dem Statistikamt zufolge um die 44 Millionen „maple taps“ gibt, bringt es Farmer Garland in seinem „Sugar Bush“ auf 4.200. „Wir zählen nur die Zapfhähne, nicht die Bäume“, sagt er.

Die jeweiligen Hähne sind verbunden mit Gummischläuchen, in denen Unterdruck entsteht und der wiederum den Saft direkt in Sammelbehälter fließen lässt. Diese Leitungen verlaufen kreuz und quer durch die Ahornwälder. Trotz technischer Hilfe bleibt die Sirup-Gewinnung ein aufwendiges Verfahren – so wie Kohle und Eisenerz mühsam aus der Erde geholt werden müssen.

Dass die Deutschen Ahornsirup mögen, weiß auch Farmer Garland. In seinem Hofladen hängt eine Landkarte. Darauf hat er die Heimatländer der Kunden, die bei ihm Ahornsirup gekauft haben, markiert. „Aus Deutschland kommen sehr viele“, sagt der Kanadier.

Und im Gegensatz zu den Dieben aus Montréal zahlen sie ordentlich. Für unter 20 Euro ist der Liter hierzulande kaum zu haben.

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