Aldi eröffnet Bistro Warum der Billigheimer jetzt den Gastronom gibt

Spaghetti, Pannacotta und Fischpfanne: Mit reichlich Tamtam hat Aldi Süd eine Pop-up-Gaststätte in Köln eröffnet. Ein Marketing-Gag? Nicht nur. Der Discounter erneuert mit Verve sein Geschäftsmodell.

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Aldi Bistro Quelle: dpa

Der Champagner ist kalt, die Musik wummert aus den Boxen. Ein paar Privatfernseh- und Youtube-Prominente posieren vor der Fotowand mit dem Logo von Aldi Süd und dem Slogan „Jedes Mahl einfach lecker“, bevor sie ein aus Schiffscontainern zusammengewürfeltes Bistro im Kölner Media Park betreten. Willkommen im ersten Restaurant-Ableger von Aldi. Am Mittwochabend wurde die Pop-up-Gaststätte mit reichlich Tamtam und einem Auftritt des Berliner Rappers Fargo eröffnet. Drei Monate will Aldi seinen Gästen hier nun täglich wechselnde Kreationen des TV-Kochs Robert Marx auftischen: Von einer „beschwipsten Tomatensuppe“ bis zum Limetten-Basilikum-Panna-Cotta. Alles ausschließlich aus Produkten des Discounters gekocht, versteht sich.

Ein Bistro von Aldi? Ein Eröffnungsevent samt Promi-Auflauf? Ein Rapper? Hätten es Manager vor ein paar Jahren gewagt, das Konzept für das Restaurant samt Eröffnungsevent ernsthaft vorzuschlagen, sie hätten wohl ihre Schreibtische räumen müssen. Zumindest aber wären ihre Ideen als teurer Werbe-Firlefanz abgetan worden, der nicht zu Aldi passt. Schließlich standen die Verkaufsstellen über Jahrzehnte für die geballte Tristesse des Harddiscounts, wie ihn die Aldi-Patriarchen Karl und Theo Albrecht seit 1961 ersonnen hatten. Ihre Doktrin: Statt üppig bestückter Regale sollte es bei Aldi nur ein karges Produktangebot geben, allerdings zu unschlagbar günstigen Preisen.

Und tatsächlich ist das Kölner Pop-up-Bistro natürlich keine neue Geschäftsidee sondern ein Marketing-Gag (der Dank der breiten Medienwirkung durchaus funktioniert). Und dennoch lohnt ein Blick in die Schiffscontainer von Aldi Süd. Denn das Bistro-Konzept zeigt, wie stark sich der Konzern in den vergangenen Jahren gewandelt hat und mit welcher Wucht der Doppelkonzern derzeit auf Erneuerung drängt. Immer weiter weg von der reinen Lehre des Ur-Discounts, hin zu einem runderneuerten Verkaufsansatz. Gleich fünf zentrale Felder lassen sich identifizieren, auf den Aldi Neues wagt.

1. Mehr Marketing und Werbung
Das Bistro ist nicht die einzige Marketing-Aktion, mit der der Discounter zuletzt um die Aufmerksamkeit der Kundschaft buhlte. Zur Weinmesse Pro Wein in Düsseldorf eröffnete Aldi Süd eigens einen Wein-Pop-up-Store. Zuvor hatte das Unternehmen bereits mit einer Modeschau eine Kollektion der Designerin Jette Joop beworben und ein Konzert in einer Kölner Filiale veranstaltet. Anfang Mai soll ein sogenannter „Mach dich krass“-Workout mit Fitnessguru Daniel Aminati folgen.

Doch der Billigheimer setzt nicht allein auf PR-Events, um die Kunde vom runderneuerten Discounter zu verbreiten: Erstmals seit der Gründung starteten Aldi Nord und Süd im vergangenen Herbst eine gemeinsame Werbekampagne, die das Image der Marke Aldi auf allen Kanälen in den Vordergrund rückte. TV-Spots flimmerten zur besten Sendezeit über die Bildschirme, selbst Kino-Werbung wurde gebucht. Zuvor hatte der Discounter allenfalls in Zeitungen in Form von Beilagen und Anzeigen geworben. Schließlich hielt schon Aldi-Süd-Patron Karl Albrecht nicht viel von kostspieliger Reklame. „Unsere ganze Werbung liegt im billigen Preis“, lautete seine Devise. Inzwischen wurde die Werbedoktrin gelockert, niedrige Preise allein reichen offenbar nicht mehr aus. Selbst das Aldi-Süd-Logo wurde kürzlich aufgehübscht.

Die Discounter mit den zufriedensten Kunden

2. Die Entdeckung des Internets
Wurde die Eröffnung des Aldi-Bistros schon mit - für Aldi-Verhältnisse - reichlich Pomp gefeiert, grenzte der Start in den chinesischen Markt am Tag zuvor schon an barocke Prachtentfaltung. Mit Unterstützung chinesischer Designer und Künstler präsentierte Aldi Süd in Shanghai eine Fashion-Show unter dem Motto "Handpicked For You". Dabei schwebten Models über den Laufsteg, um für Aldi zu werben und trugen Haarteile aus Schokolade, Röcke mit Keksen oder Kleider aus Bio-Tee-Beuteln. Aldi hat sogar den bekanntesten chinesischen Sänger und Schauspieler, Chen Kun, engagiert, der mit einem ganzen Stab an Mitarbeiterinnen und Sicherheitsleuten einmarschiert. Er hat mit zig Millionen Followern die weltweit meisten Fans über einen Social-Media-Kanal.

Neues Filialdesign und mehr Marken

Davon will Aldi offenbar profitieren. Denn Aldi startete erstmals nicht mit stationären Filialen in einem Land, sondern verkauft seine Waren zunächst über die Online-Plattform Tmall, die zum Internet-Riesen Alibaba gehört. Das Vorgehen zeigt, dass Aldi das Netz nicht mehr nur als Marketingkanal sieht, sondern zusehends auch als Verkaufsinstrument. Bislang verzichtet der Discounter zwar hierzulande auf einen vollwertigen Online-Shop und bietet auf seinen Plattformen anders als Lidl nicht einmal Nonfood-Artikel zum Bestellen an. Doch das könnte sich schneller ändern als gedacht. Jüngst meldete die „Lebensmittelzeitung“, dass sich auch Aldi Nord wohl bald in Belgien ins Online-Geschäft wagt. Doch das dürfte nur der erste Schritt sein.

3. Aldis neue Filialwelt
Sichtbarer ist bereits Aldis neue Fililalwelt. Zunächst möbelte das Süd-Reich einen Teil der deutschen Filialen auf. Anfang April legte der Norden nach und präsentierte in Herten einen Markt, der einen Eindruck davon vermittelt, wie in Zukunft alle neuen oder renovierten Aldi-Märkte in der Nordhälfte der Republik aussehen werden: mit breiten Gängen, modernem Ladendesign und mehr Frischwaren. Schriftzüge an den Wänden zeigen, wo die Kunden Fleisch, Gemüse oder Tiefkühlkost finden, auf großen Bildschirmen werden Videos mit der Aktionsware gezeigt. Auch eine Kundentoilette soll es ähnlich wie im Süden in neuen Aldi-Märkten künftig geben.

Wie Aldi mit neuem Filial-Design den Umsatz steigern will
Die Vorführ-Filiale bietet viel Tageslicht, breitere Gänge, viel Holz. Obst und Gemüse werden präsentiert wie an einem Marktstand. Quelle: obs
Lars Linscheid, Geschäftsführer der ALDI SÜD Regionalgesellschaft Ebersberg und Jeannette Thull, Geschäftsführerin Zentraleinkauf, bei der Vorstellung der Filiale der Zukunft in München-Unterhaching. Quelle: obs
Journalisten filmen am 11.05.2016 in Unterhaching (Bayern) die neu gestaltete Aldi-Filiale. Vor allem die Präsentation von Obst und Gemüse soll ansprechender werden. Quelle: dpa
Doch die Pappfigur von "Frau Weber", die um Aldi-Nachwuchs wirbt, gehört weiter zum Inventar des Discounters. Quelle: dpa
Wenn nicht Aldi drauf stünde, könnte man fast glauben, in einem Supermarkt von Rewe oder Edeka zu sein. Quelle: dpa
Das Sortiment, hier die Wurst- und Fleischwaren, bleibt im Wesentlichen das selbe. Quelle: dpa
Die größte Veränderung betrifft die Präsentation des Obstes und Gemüses, die an einen Wochenmarkt-Stand erinnern soll. Quelle: dpa

4. Mehr Marken in den Regalen
Jahrzehntelang war die deutsche Discounterwelt sorgsam austariert: Während Billigpurist Aldi sein Sortiment ausschließlich mit bewährten Eigenmarken bestückte, lockte Lidl die Kundschaft mit günstigen Markenartikeln. Doch seit einiger Zeit haben auch Aldi Süd und Aldi Nord den Glanz der Marken entdeckt. Produkte wie Butterkekse von Leibniz, Bier von Krombacher und Chips von Funny-Frisch füllen inzwischen die Regale des Discounters. Der Strategieschwenk hat sich laut Analysen von Marktforschern ausgezahlt. So sei das Umsatzniveau von Aldi in denjenigen Warenkategorien, in denen neue Markenprodukte angeboten werden deutlich gestiegen, konstatierten Ende 2016 etwa die Experten des Marktforschers GfK. Inzwischen setzt Aldi indes nicht mehr nur auf dauerhafte Listungen, sondern scheint auch das Aktionsgeschäft mit kurzfristigen Niedrigpreisen auszubauen, wird in der Branche beobachtet. Für den Händler, der nach wie vor sein Image als Preisführer pflegt, hat das einen entscheidenden Vorteil. Das Risiko sinkt, vom Wettbewerb – vor allem vom Erzrivalen Lidl - preislich unterboten zu werden. Markenartikel und Sonderangebote – auch das hat es vor ein paar Jahren im Aldi-Reich so nicht gegeben.

So sehen die neuen Zentralen der deutschen Handelsriesen aus
Auf einem ehemaligen Kasernengelände in Darmstadt entsteht zurzeit das europaweit größte Bürogebäude aus Lehm: die neue Unternehmenszentrale der Biokette Alnatura. Sie soll Platz für rund 500 Mitarbeiter bieten. Quelle: PR
Das Alnatura-Gebäude wird über keinerlei technische Klimatisierung verfügen, sondern soll über einen Erdkanal mit Frischluft aus einem angrenzenden Wald versorgt werden. Auf dem Campus wird auch ein Waldorfkindergarten für rund 80 Kinder nicht fehlen. Es soll öffentliche Schul- und Erlebnisgärten sowie ein vegetarisches Bio-Restaurant geben. Der Bezug der neuen Alnatura-Zentrale ist für Anfang 2018 geplant. Quelle: PR
An der Fassade der neuen Konzernzentrale prangt das Logo - ein geschwungenes A in blau. Die Dächer sind begrünt, die einzelnen Gebäudeteile terrassenförmig angelegt. So sieht in Simulationen die neue Konzernzentrale von Aldi Nord am Stammsitz in Essen aus. Sie soll von Ende 2020 an Platz für 800 Mitarbeiter bieten. Das Areal, auf dem auch die bisherige Zentrale steht, bietet Expansionsmöglichkeiten für mehr als 2000 Mitarbeiter. Baubeginn ist Anfang 2018. Was hinter dem Bau-Plänen steckt, lesen Sie hier. Quelle: PR
In der lichten Eingangshalle des neuen Gebäudekomplexes will Aldi Nord laut eines Berichts der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung" auch an den 2010 gestorbenen Firmengründer Theo Albrecht erinnern. Dessen im Original erhaltenes Büro soll als Museumsstück gezeigt werden. Auf der Simulation ist auch ein Aldi-Laden im Inneren der Zentrale zu erkennen. Quelle: PR
In der Kurstadt Bad Wimpfen am Neckar nahe Heilbronn entsteht das neue Hauptquartier von Lidl Deutschland. 1300 Mitarbeiter sollen spätestens Anfang 2020 ein terrassenförmiges Gebäudeensemble beziehen, das in den kommenden Monaten für einen dreistelligen Millionenbetrag aus dem Boden gestampft wird. Über vier Hektar soll sich das Lidl-Areal erstrecken, samt unterirdischen Boulevards und hauseigenem Fitnessparcours. Ein Modell zeigt ein Gelände, das sich mit begrünten Flächen in die Umgebung fügt. Es sei das erste Mal in der Geschichte des Unternehmens, dass „wir für ein Verwaltungsgebäude so einen riesigen Aufwand“ betreiben, sagte jüngst Klaus Gehrig, Chef der Schwarz-Gruppe, zu der neben Lidl auch die Handelskette Kaufland gehört. Quelle: PR
Ähnlich spektakulär sind die Pläne von Zalando. Der Online-Modehändler lässt in Berlin-Friedrichshain den Zalando-Campus errichten, einen Bürokomplex für insgesamt rund 5000 Mitarbeiter. Kernstück ist ein Gebäude, das auf sieben Stockwerken 29 000 Quadratmeter Bürofläche vorsieht. Der futuristische Bau mit geschwungener Fassade soll ab 2018 die bisher vom Unternehmen genutzten Immobilien in Berlin ergänzen. Quelle: PR
Der börsennotierte Online-Modehändler - erst 2008 in einer Berliner Altbauwohnung als Schuhversender gegründet - ist rasant gewachsen. Inzwischen hat das Unternehmen weltweit 11 000 Mitarbeiter. Der neue Gebäudekomplex soll neben Büros auch große Gemeinschaftsflächen bereithalten, die wie Lounges wirken und in denen - so viel Start-Up-Folklore muss sein – auch Tischkicker und Tischtennisplatten stehen sollen. Quelle: PR

5. Das neue Hauptquartier
Nicht nur in den Filialen ist der Veränderungswille des Kultdiscounters erkennbar. Auch das neue Hauptquartier, das Aldi Nord derzeit am Stammsitz in Essen baut, hat mit der Krämer-Zentrale von einst nur noch wenig zu tun. In Modellen des Gebäudes leuchtet an der Fassade bereits das Aldi-Nord-Logo - ein geschwungenes, blaues A. Die Dächer sind begrünt, die einzelnen Gebäudeteile terrassenförmig angelegt. In der lichten Eingangshalle des neuen Gebäudekomplexes will Aldi Nord laut eines Berichts der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung" auch an den 2010 gestorbenen Firmengründer Theo Albrecht erinnern. Dessen im Original erhaltenes Büro soll als Museumsstück gezeigt werden. Auf der Simulation ist auch ein Aldi-Laden im Inneren der Zentrale zu erkennen. Der Architektenentwurf sieht sogar Skulpturengärten, Joggingstrecken und Sportplätze vor. Und auch von einem weiteren Symbol der alten Aldi-Welt, hat sich der Konzern unlängst verabschiedet: der Krawattenpflicht. „Wir können bestätigen, dass die Krawattenpflicht in unserem Unternehmen abgeschafft wurde“, sagte eine Unternehmenssprecherin Ende vergangenen Jahres der WirtschaftsWoche. „Damit setzen wir unsere Modernisierungsstrategie konsequent in sämtlichen Bereichen fort, so auch in Bezug auf den Dresscode in unserem Unternehmen.“

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