Aldi, Lidl, Rewe und Edeka Wie Handelsriesen mit ihren Lieferanten umspringen

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Immer rauerer Ton zwischen Handel und Industrie

Auch Experten hat das Verhalten des Drogerieunternehmens überrascht. „Früher hätten vielleicht Verbraucherschutzorganisationen wie Foodwatch darauf hingewiesen, dass ein Hersteller das Preis-Leistungsverhältnis verschlechtern will, aber doch nicht der Händler“, sagt Martin Fassnacht, Professor für Marketing und Handel an der WHU – Otto Beisheim School of Management.

Die erfolgreichsten Handelsmarken in Deutschland

„Der Ton zwischen Handel und Industrie ist in den vergangenen Jahren deutlich rauer geworden“, konstatiert der Experte. Er geht davon aus, dass es in Zukunft zu weiteren Konflikten kommen dürfte. Schon bei den Jahresgesprächen diesen Herbst drohe Ungemach. Eine Erklärung dafür: der Aldi-Effekt.

Der Aldi-Effekt

„Aldi nimmt sowohl bei Lebensmitteln als auch bei Drogerieartikeln seit geraumer Zeit immer mehr Markenprodukte ins Sortiment auf“, sagt Fassnacht. Das sorge bei den klassischen Supermärkten und Discountern aber auch bei den Drogerieketten für Nervosität. Die Folge: Einzelne Händler zücken den Rotstift und verkaufen Markenprodukte zu besonders günstigen Preisen. Andere Konzerne versuchen mit den Herstellern nach zu verhandeln, um im Preiswettbewerb mit Aldi bestehen zu können. „All das sorgt für zusätzlichen Zündstoff zwischen Handel und Industrie“, so Fassnacht.

Preiskämpfe wie sie vor ein paar Wochen um die Energiebrause Red Bull tobten, werden damit wohl zunehmen. Denn Aldi (Süd) will im zweiten Halbjahr bis zu 50 zusätzliche Marken einlisten.

Hinzu kommt ein langfristiger Trend: So haben sich die Machtverhältnisse in den vergangenen Jahren zugunsten des Handels massiv verschoben, der das Geschehen fast nach Belieben diktieren kann: Nach einem gewaltigen Konzentrationsprozess beherrschen die zehn größten Lebensmittelhändler 88 Prozent des Marktes. Allein die Top Fünf - Edeka, Rewe, Aldi und die Schwarz-Gruppe mit den Marken Lidl und Kaufland – dominieren nach Daten des Marktforschers Nielsen knapp 73 Prozent. Gemessen an deren Umsätzen, wirkt selbst das Geschäft riesiger Markenartikler wie Nestlé und Unilever wie Peanuts.

Und der Konzentrationsprozess geht weiter: Ausgerechnet Marktführer Edeka will sich derzeit die Supermarktkette Kaiser’s Tengelmann einverleiben. Zwar hat das Bundeskartellamt den Deal gestoppt – auch wegen Befürchtungen, dass Edeka seine wachsende Nachfragemacht gegenüber Herstellern ausspielen könnte. Doch Edeka-Chef Markus Mosa und Tengelmann-Inhaber Karl-Erivan Haub haben bei Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel einen Antrag auf eine Sondergenehmigung gestellt. Falls sich Gabriel gegen die Wettbewerbshüter stellt, kann Edeka weiter wachsen.

Auf Seiten der Industrie werden die Übernahmepläne denn auch mit Argwohn verfolgt. Schon heute haben vor allem mittelständische Anbieter der geballten Markt- und Verhandlungsmacht von Deutschlands größtem Lebensmittelhändler oft wenig entgegen zu setzen – auch juristisch. So enthalten Verträge mit einzelnen Herstellern Klauseln, die es den Hamburgern erlauben, ihre Geschäftspartner im Zweifel massiv unter Druck zu setzen.

Heikle Preisklauseln bei Edeka

Experte Roeb, der die Allgemeinen Geschäftsbedingungen verschiedener Handelsunternehmen untersucht hat, bewertet vor allem Edekas Preisklauseln als heikel. So verlange der Handelsriese mitunter Preisgarantien, in denen er sich zusichern lässt, bei sinkenden Marktpreisen vom Hersteller eine Anpassung verlangen zu dürfen. Komme es dabei zu keiner Einigung, habe Edeka das Recht, fristlos zu kündigen.

Für Lieferanten, die einen Großteil ihrer Umsätze mit Edeka bestreiten, wäre das ein Fiasko. „Nach meinem Eindruck erreicht Edeka durch solche Klauseln eine äußerst komfortable Position gegenüber Herstellern“, bewertet Roeb die Passage. Edeka äußert sich dazu nicht im Detail, verweist aber auf eine Initiative für den fairen Umgang zwischen Industrie und Handel, der das Unternehmen bereits im Dezember 2013 beigetreten sei. Dort habe es bis heute keine Beschwerde gegeben.

Ärger gibt es trotzdem. Im Frühjahr hatte es der Hamburger Konsumgüterkonzern Beiersdorf gewagt, bei der Handelsgruppe Preiserhöhungen für die Kosmetik-Marke Nivea zu reklamieren. Die Edeka-Zentrale reagierte prompt. Als es zu keiner Einigung mit Beiersdorf kam, verschwanden die weißblauen Pflegemittel aus den Regalen.

Daraufhin probten viele der selbstständigen Edeka-Kaufleute den stillen Aufstand. Sie unterliefen den Hamburger Orderbann und füllten die Regale auf eigene Faust mit Nivea-Ware.

Die Nivea-Episode erhält gerade neue Aktualität. Denn sie ist Teil der 102-seitigen Begründung, mit der Edeka Bundeswirtschaftsminister Gabriel zu einem Ja zur Übernahme von Tengelmann bewegen will. Das „Beispiel Beiersdorf (Nivea)“, schreibt Vorstandschef Mosa darin, zeige schließlich, wie sehr die Verhandlungsmacht von Edeka doch eigentlich überschätzt werde.

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