Aldi, Lidl, Rewe und Edeka Wie Handelsriesen mit ihren Lieferanten umspringen

Leere Regale bei Real, Zahncreme-Bann bei dm, Preisschlachten bei Aldi – nie war der Ton zwischen Händlern und Herstellern rauer. Mit allen Mitteln feilschen die Konzerne um Konditionen. Die nächsten Streitigkeiten zeichnen sich jetzt schon ab.

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Versteckte Verteuerung und Mogelverpackungen Quelle: Getty Images

Thomas Roeb kann nur noch weniges im deutschen Einzelhandel überraschen. Der Professor für Handel und Marketing an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg kennt die Branche aus dem Effeff. Schließlich war er jahrelang selbst als Manager bei Aldi im Einsatz, bevor er in den Wissenschaftsbetrieb wechselte. Doch als er im Rahmen einer Untersuchung zu Lieferbeziehungen im Lebensmittelhandel jüngst etliche mittelständische Hersteller interviewte, war Roeb dann doch erstaunt - zunächst über die Aussagen seiner Gesprächspartner, später über die Folgen der Untersuchung.

"Sind Sie besoffen?"

Denn was die Vertreter der Hersteller Roeb unter Zusicherung von Anonymität berichteten, klingt nicht unbedingt nach friedlicher Geschäftspartnerschaft. Im Gegenteil: Vor allem die Verhandlungen bei einem der großen deutschen Handelskonzerne haben es demnach in sich. „Sind Sie besoffen?“, habe ihn ein Einkäufer angeherrscht, berichtete der Manager eines Lieferanten, nachdem er gewagt hatte, eine mögliche Preiserhöhung anzudeuten.

Auch Beleidigungen wie „Vollidiot“ will einer von Roebs Gesprächspartnern beim Preisgezerre vernommen haben. Bei Präsentationen würden Teilnehmer „ostentativ gähnen“ oder „spielen mit ihrem Handy“, gab ein anderer Hersteller zu Protokoll.

Den Namen des Handelskonzerns, bei dem sich die Szenen zugetragen haben sollen, will Roeb nicht nennen. Kein Wunder: Schon im Vorfeld bekam der Experte Post von einem Medienanwalt. Im Auftrag des Handelsriesen wurde der Professor mit dem Vorwurf konfrontiert, seine Untersuchung sei unwissenschaftlich, bei Veröffentlichung drohe Ärger. Roeb widerspricht vehement, fürchtet aber eine langwierige Auseinandersetzung, falls er den Namen des Handelskonzerns publik macht.

Zunächst will Roeb nun die Untersuchung ausweiten und sucht nach weiteren Gesprächspartnern aus der Industrie. Schon jetzt ist klar: Das Verhältnis zwischen Herstellern und Händlern verändert sich, die Fronten hinter den Regalen sind verhärtet wie selten zuvor.

Real gegen Lieferanten

Keine Frage, schon immer kämpfen beide Seiten mit harten Bandagen um die für sie besten Konditionen. Und auch die Industrie klagt regelmäßig über die sogenannten Jahresgespräche, wie die Preisrunden in der Branche beschwichtigend heißen. Doch neuerdings gewinnen die Auseinandersetzungen eine andere Qualität. Fand das Gefeilsche um den besten Preis früher hinter verschlossenen Türen statt, werden die Konflikte heute auch vor den Augen der Konsumenten ausgetragen.

Die größten Lebensmittelhändler Deutschlands

So standen Kunden der Metro-Tochter Real unlängst vor halbleeren Tiefkühltruhen und Regalen. Pizza und Frischkäse, Schokolade und Milchprodukte schienen zeitweise Mangelware in den Märkten zu sein. Den Grund erfuhren die Kunden auf Hinweisschildern. „Aufgrund der aktuellen Preisverhandlungen hat sich der Lieferant entschieden, die Lieferung bis auf Weiteres einzustellen“, war darauf zu lesen.

Die Entscheidung der Hersteller kam nicht von Ungefähr. Seit dem 1. Juli verpflichtet Real Lieferanten dazu, Bestellungen über den Wareneinkäufer Markant abzurechnen. Den Wechsel zu Markant wollte das Unternehmen offenbar nutzen, um die Einkaufspreise zu senken.

Etliche Lieferanten wollten das jedoch nicht hinnehmen, pochten auf die alten Verträge und boykottierten die Kette kurzerhand. Zeitweise kappten mehrere Dutzend Hersteller die Lieferbeziehungen, darunter Nestlé, Dr. Oetker, Weihenstephan, Müller-Milch und Bergader. Doch das Real-Management ging auf Konfrontationskurs und ließ seine Lieferanten wissen: „Wir werden weiterhin keine Auseinandersetzung scheuen.“ Erst nach wochenlangen Streitigkeiten und immer größeren Lücken in den Regalen einigten sich die Parteien sukzessive auf neue Verträge.

dm gegen Colgate

Fraglich, ob das auch bei der jüngsten Machtprobe im Handel gelingt: dem Zahncreme-Bann bei dm.

Die Drogeriekette ließ vor wenigen Tagen Zahncreme der Marke Dentagard aus den Regalen entfernen. Stattdessen fanden Kunden dort ein Schild: „Gleicher Preis bei weniger Inhalt: Da streiken wir! dm“, hieß es darauf. Darunter die Erklärung: Der Hersteller von Dentagard - der Konsumgüterkonzern Colgate-Palmolive - habe die Inhaltsmenge der Tube von 100 Milliliter auf 75 Milliliter reduziert, fordere aber weiterhin den bisherigen Preis. Da wolle dm im Kundeninteresse nicht mitmachen.

Deutschlands größte Drogeriemarktkette stellte damit einen ihrer zentralen Lieferanten an den Pranger. Entsprechend verschnupft reagierte Colgate: Es sei unüblich, sich öffentlich zu Verhandlungen mit Handelspartnern zu äußern, teilte der Hersteller irritiert mit. Man hoffe trotz des Spektakels noch zu einer Einigung zu kommen.

Immer rauerer Ton zwischen Handel und Industrie

Auch Experten hat das Verhalten des Drogerieunternehmens überrascht. „Früher hätten vielleicht Verbraucherschutzorganisationen wie Foodwatch darauf hingewiesen, dass ein Hersteller das Preis-Leistungsverhältnis verschlechtern will, aber doch nicht der Händler“, sagt Martin Fassnacht, Professor für Marketing und Handel an der WHU – Otto Beisheim School of Management.

Die erfolgreichsten Handelsmarken in Deutschland

„Der Ton zwischen Handel und Industrie ist in den vergangenen Jahren deutlich rauer geworden“, konstatiert der Experte. Er geht davon aus, dass es in Zukunft zu weiteren Konflikten kommen dürfte. Schon bei den Jahresgesprächen diesen Herbst drohe Ungemach. Eine Erklärung dafür: der Aldi-Effekt.

Der Aldi-Effekt

„Aldi nimmt sowohl bei Lebensmitteln als auch bei Drogerieartikeln seit geraumer Zeit immer mehr Markenprodukte ins Sortiment auf“, sagt Fassnacht. Das sorge bei den klassischen Supermärkten und Discountern aber auch bei den Drogerieketten für Nervosität. Die Folge: Einzelne Händler zücken den Rotstift und verkaufen Markenprodukte zu besonders günstigen Preisen. Andere Konzerne versuchen mit den Herstellern nach zu verhandeln, um im Preiswettbewerb mit Aldi bestehen zu können. „All das sorgt für zusätzlichen Zündstoff zwischen Handel und Industrie“, so Fassnacht.

Preiskämpfe wie sie vor ein paar Wochen um die Energiebrause Red Bull tobten, werden damit wohl zunehmen. Denn Aldi (Süd) will im zweiten Halbjahr bis zu 50 zusätzliche Marken einlisten.

Hinzu kommt ein langfristiger Trend: So haben sich die Machtverhältnisse in den vergangenen Jahren zugunsten des Handels massiv verschoben, der das Geschehen fast nach Belieben diktieren kann: Nach einem gewaltigen Konzentrationsprozess beherrschen die zehn größten Lebensmittelhändler 88 Prozent des Marktes. Allein die Top Fünf - Edeka, Rewe, Aldi und die Schwarz-Gruppe mit den Marken Lidl und Kaufland – dominieren nach Daten des Marktforschers Nielsen knapp 73 Prozent. Gemessen an deren Umsätzen, wirkt selbst das Geschäft riesiger Markenartikler wie Nestlé und Unilever wie Peanuts.

Und der Konzentrationsprozess geht weiter: Ausgerechnet Marktführer Edeka will sich derzeit die Supermarktkette Kaiser’s Tengelmann einverleiben. Zwar hat das Bundeskartellamt den Deal gestoppt – auch wegen Befürchtungen, dass Edeka seine wachsende Nachfragemacht gegenüber Herstellern ausspielen könnte. Doch Edeka-Chef Markus Mosa und Tengelmann-Inhaber Karl-Erivan Haub haben bei Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel einen Antrag auf eine Sondergenehmigung gestellt. Falls sich Gabriel gegen die Wettbewerbshüter stellt, kann Edeka weiter wachsen.

Auf Seiten der Industrie werden die Übernahmepläne denn auch mit Argwohn verfolgt. Schon heute haben vor allem mittelständische Anbieter der geballten Markt- und Verhandlungsmacht von Deutschlands größtem Lebensmittelhändler oft wenig entgegen zu setzen – auch juristisch. So enthalten Verträge mit einzelnen Herstellern Klauseln, die es den Hamburgern erlauben, ihre Geschäftspartner im Zweifel massiv unter Druck zu setzen.

Heikle Preisklauseln bei Edeka

Experte Roeb, der die Allgemeinen Geschäftsbedingungen verschiedener Handelsunternehmen untersucht hat, bewertet vor allem Edekas Preisklauseln als heikel. So verlange der Handelsriese mitunter Preisgarantien, in denen er sich zusichern lässt, bei sinkenden Marktpreisen vom Hersteller eine Anpassung verlangen zu dürfen. Komme es dabei zu keiner Einigung, habe Edeka das Recht, fristlos zu kündigen.

Für Lieferanten, die einen Großteil ihrer Umsätze mit Edeka bestreiten, wäre das ein Fiasko. „Nach meinem Eindruck erreicht Edeka durch solche Klauseln eine äußerst komfortable Position gegenüber Herstellern“, bewertet Roeb die Passage. Edeka äußert sich dazu nicht im Detail, verweist aber auf eine Initiative für den fairen Umgang zwischen Industrie und Handel, der das Unternehmen bereits im Dezember 2013 beigetreten sei. Dort habe es bis heute keine Beschwerde gegeben.

Ärger gibt es trotzdem. Im Frühjahr hatte es der Hamburger Konsumgüterkonzern Beiersdorf gewagt, bei der Handelsgruppe Preiserhöhungen für die Kosmetik-Marke Nivea zu reklamieren. Die Edeka-Zentrale reagierte prompt. Als es zu keiner Einigung mit Beiersdorf kam, verschwanden die weißblauen Pflegemittel aus den Regalen.

Daraufhin probten viele der selbstständigen Edeka-Kaufleute den stillen Aufstand. Sie unterliefen den Hamburger Orderbann und füllten die Regale auf eigene Faust mit Nivea-Ware.

Die Nivea-Episode erhält gerade neue Aktualität. Denn sie ist Teil der 102-seitigen Begründung, mit der Edeka Bundeswirtschaftsminister Gabriel zu einem Ja zur Übernahme von Tengelmann bewegen will. Das „Beispiel Beiersdorf (Nivea)“, schreibt Vorstandschef Mosa darin, zeige schließlich, wie sehr die Verhandlungsmacht von Edeka doch eigentlich überschätzt werde.

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