„Solange der Markenkern erkennbar bleibt, halte ich die Strategie für sinnvoll“, sagt Klaus-Dieter Koch, Gründer der Managementberatung Brandtrust und Markenexperte. Von Fremdähnlichkeit spreche man in diesem Zusammenhang – Aldi passt sich Marktführer Edeka an, der dem Discounter mit seiner Mischung aus Markenprodukten und günstigen Eigenmarken in der Vergangenheit immer mehr Kundschaft abknöpfte. „Auf diese Weise Marktanteile zurückzugewinnen kann durchaus gelingen – das ist alles eine Frage der Dosierung.“
Im besten Fall schwappt das wertige Image der Markenprodukte auf den Discounter über – aber das sollte nur bis zu einem gewissen Maß passieren. „Sonst verlieren die Discounter das Billig-Image, das für sie wesentlich ist“, sagt Georg Felser, Professor für Markt- und Konsumpsychologie an der Hochschule Harz.
Zudem bringt der Schwenk die Gefahr mit sich, dass Rewe oder Edeka zumindest zeitweise Markenprodukte günstiger anbieten als Aldi. Damit einher geht ein zunehmendes Risiko, das Image als Preisführer zu verlieren.
„Jeder, der auf die Preise schaut, weiß, dass der Aldi-Preis von anderen Anbietern mittlerweile häufig unterboten wird“, sagt Felser. Die Einführung von Markenprodukten, deren Preise die Kunden relativ gut kennen, zeige aus seiner Sicht auch, dass die Erwartung der Konsumenten, sie könnten nirgendwo billiger einkaufen als bei Aldi, mittlerweile brüchig ist. „Diese Erwartung muss Aldi wieder neu aufbauen und pflegen.“
Was droht Aldi, wenn es das Billig-Image verliert?
Sollte Aldi mit der Premiumstrategie zu weit gehen, dürfte das für den Discounter zu Problemen führen. „Dann gleicht sich Aldi Rewe und Edeka zu sehr an und markiert in der Folge keinen relevanten Unterschied mehr“, sagt Koch von BrandTrust. Die Folge: Aldi büße seine klare Markenpositionierung ein. „Und der Kunde geht lieber zum Original.“
Zumal Edeka und Rewe Aldi in diesem Bereich mit ihren Preiseinstiegsmarken angreifen. „Gut & Günstig wird momentan wieder intensiv beworben“, sagt Fassnacht. „Die Botschaft, die dahinter steckt, lautet: Bei uns könnt ihr genau so günstig einkaufen wie bei Aldi.“ Die Folge: Ein Abnehmen der Kundenfrequenz, des Umsatzes und des Gewinns.
Was bedeutet das für die Supermärkte?
Für die Supermärkte bedeutet die Markenoffensive Aldis zusätzlichen Druck. 2015 etwa hatte Aldi mit der Einlistung von Red Bull dafür gesorgt, dass Konkurrent Lidl, aber auch der restliche Handel, mit den Preisen für die Energiebrause runtergehen musste.
Aus Sicht von Markenexperte Koch steckt Kalkül dahinter. „Es geht Aldi immer darum, taktische Vorteile gegenüber Edeka und Rewe erzwingen.“ Zudem wolle der Discounter bewusst Unruhe zwischen den Markenproduzenten und den Wettbewerbern stiften.
Wie Aldi groß wurde
Wer hatte eigentlich die Idee Aldi so zu gründen, wie wir es heute kennen? Es wird wohl nie endgültig zu klären sein. Aber viele Indizien deuten darauf hin, dass es eher Karl Albrecht war als sein Bruder Theo. Das soll aber nicht schmälern, welch wichtigen Beitrag auch Letzterer beitrug.
Der Krieg war aus. 1946 im zerbombten Essen-Schonnebeck begann die Erfolgsgeschichte zwischen Lebensmittelkartons und Krämerware. Das Brüderpaar Karl und Theo Albrecht erkannte die Chance, die die Phase der sozialen Umorientierung bot. Sie bauten den Tante-Emma-Laden der Eltern aus.
Karl und Theo Albrecht erkannten rasch, dass der Laden der Eltern ihnen beiden keine Zukunftsaussicht bot. Sie entdeckten die betriebswirtschaftliche Zauberformel der Zeit „Nachfrage versus Bedarfsdeckung“ für sich und schafften es, sie im Sinne des Kunden zu lösen.
Karl und Theo Albrecht lebten die Anforderungen der damaligen Zeit in perfekter Symbiose. Sie hatten weder äußerlich viel gemeinsam noch waren sie ähnlich gepolt. Theo überragte seinen Bruder um Kopfeslänge. Doch der „Kleinere“ war Vordenker und Impulsgeber. Ungeduldig, beredt, rastlos, bisweilen explosiv war Karl. Theo wirkte dagegen eher zurückhaltend, sogar zögerlich abwägend.
Die beiden Brüder waren in ihrer uniformen Arbeitsauffassung füreinander ein Glücksfall. Von vornherein waren die Aufgaben geteilt: Karl versah den Innen-, Theo den Außendienst. Sprich: Karl kümmerte sich um die schwierige Einkaufspolitik. Es war nicht einfach, die richtige Ware preiswert und in ausreichende Menge zu erhalten. Theo betreute die Verkaufsstellen sowie die Verwaltung und Buchhaltung.
1946 begann es mit dem kleinen Laden der Eltern. 1950 nannten die beiden Brüder eine Kette von 13 Läden inklusive Bedienungen ihr Eigen. Nun strukturierten sie ihre Läden nach dem Discountprinzip um. 1961 trennten sie ihre Geschäfte in Aldi Nord und Aldi Süd.
Zur moralischen Stabilität ihrer Konzerne trug maßgeblich die persönliche Lebensweise der Brüder bei. Beide waren im Auftreten zurückhaltend und lebten bescheiden. Sie waren nach alter Schule nach den Prinzipien Sparsamkeit und Kargheit erzogen.
Als einzigen „Luxus“ erlaubten sie sich ein eigenes Auto. Auf sein Golfschloss in Donaueschingen schickte Karl Albrecht seine Führungskräfte zum Entspannen. Die Brüder kannten keine Scheu vor ihrer kleinbürgerlichen Herkunft. Die Adresse Huestraße 89 in Essen-Schonnebeck wollten sie nie abstreifen. Sie waren stets praktizierende Katholiken und wollten in der Öffentlichkeit so wenig wie möglich wahrgenommen werden.
Theo Albrecht hatte eine Marotte: Er wollte jede Filiale sehen, bevor die zentrale Schreinerei an die Fertigung der Regale und Einrichtungsteile ging. Dabei kümmerte den Hobbyarchitekten die Delegation von Aufgaben zur eigenverantwortlichen Erledigung nur bedingt. Es galt: In dubio pro Theo.
Es gab durchaus Spannungen zwischen dem quirligen Theo und dem abwägenden Karl Albrecht. Besonders deutlich wurde das beim ersten Schritt über die Grenzen Deutschlands. 1971 expandierte Aldi nach Österreich. Karl war es, der die Familie als erster international aufstellte. Heute firmiert Aldi Nord in Österreich übrigens unter dem Namen „Hofer“.
Verschwiegenheit war stets Trumpf im Hause Albrecht. Aldi lässt sich partout nicht in die Karten schauen. Die totale Verschleierung aller Kulissen ist institutionalisiert. So wenig undichte Stellen wie möglich, lautet die Devise.
Die Brüder gaben sich Maßregeln, die zu unverrückbaren internen Prinzipien wurden: Keine Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Keine Firmensprecher. Keine Interviews im Radio oder Fernsehen. Keinerlei mondäner Lifestyle. Keine Lobbyarbeit. Keine Firmenjubiläen. Lückenlose Rückgabe von Werbegeschenken.
Die Zurückhaltung hatte einen guten Grund: Abgucker und Schmarotzer sollten keine Gelegenheit zur Einsicht in Interna haben. Die innovative Discount-Struktur war eine zarte Pflanze und schutzbedürftig. Das neue Konzept musste sich in Ruhe verfestigen. Erfahrungen waren Gold wert.
Aldis Verwaltungsrat ist ein frei schwebendes Organ. Gesellschaftsrechtlich ist es nirgendwo in den Statuten eingebunden. Seine Mitglieder haben freiberuflichen Status, sind aber dennoch die „Macher“: Der Verwaltungsrat ist das zentrale Machtorgan des Konzerns. Aldi steht seit jeher zu seinem Führungssystem, dass sich mit dem Wort Durchgriffs-Management am besten umschreiben lässt. Der Verwaltungsrat hat den Alleinführungsanspruch.
Aldi stellte stets besondere Anforderungen an seine Mitarbeiter und richtet seine Personalsuche darauf ab. Vorstellungsgespräche sind exzessiv angelegt, manchmal über mehrere Sitzungen. Man lotet die charakterlichen und sozialen Hintergründe des Bewerbers genau aus. Personalvermittlungen kommen nicht zum Zug.
Natürlich variiert das Anforderungsprofil je nach Stelle, aber es gibt gewisse Grundvorstellungen: Der Bewerber sollte unauffällig und zurückhaltend im Auftreten sein, seine Bekleidung schlicht und gediegen, seine Herkunft möglichst bodenständig, die Familienverhältnisse geordnet, Sparsamkeit wird sehr geschätzt wie auch Pflichtbewusstsein und Normalität hinsichtlich des Lebensprinzips.
Das Warenumschlagssystem von Aldi mit seinen schematisierten Abläufen erfordert erfahrene Praktiker. Es wird nicht vorrangig Kopfarbeit am Schreibtisch verlangt. Wer richtig aufsteigen wollte, hatte bei den Albrechts eine Ochsentour vor sich. Ein Akademikerstatus ist entbehrlich.
Für Aldi liegt das Geheimnis des langfristigen Erfolges im Zeitmanagement der Führungskräfte. Es gibt eine detaillierte Planungsphilosophie und strenge Normen nach dem Motto: Plan dich oder friss dich! Zudem hat Aldi ein umfangreiches Prämiengerüst. Bezirksleiter bekommen solche und vergeben wiederum welche an ihre Filialleiter. Einzig der Geschäftsführer bekommt keine Prämie.
Wer den Ansprüchen Aldis gerecht werden will, muss sie beherrschen: die Handbücher. Das gilt aber vor allem für die regionalen Geschäftsführer. Aldi Nord hat im Laufe der Jahre alles, was Firmeninterna angeht, in solchen Handbüchern fortgeschrieben. Da ist einiges Zusammengekommen – viel Lesestoff.
Aldi-Mitarbeiter lachen wenig. Zu stark lastet der Druck auf allen. Er wird von der Spitze her aufgebaut und durchgereicht. Das einzige, was lacht, ist die Liquidität.
Es ist auch für Journalisten vom Fach sehr schwierig, Details über die beiden Aldi-Konzerne herauszubekommen. Das Unternehmen ist nicht börsennotiert und somit nur zu bestimmten Veröffentlichungen verpflichtet. Umso wertvoller sind glaubwürdige und detaillierte Berichte, wie sie Eberhard Fedtke in seinem Buch nun geliefert hat. Er war viele Jahre lang Gesellschafter bei dem Konzern.
Bibliografie:
Eberhard Fedtke
Aldi Geschichten. Ein Gesellschaftler erinnert sich
NWB Verlag, Herne 2011
296 Seiten
Was haben die Markenhersteller davon?
Aldi Nord und Süd nehmen mit den Markenprodukten von Unilever – von Knorr Fix über Langnese-Eis hin zu Duschdas – einen der letzten großen Markenproduzenten in ihre Regale auf, wie die „Lebensmittel Zeitung“ berichtet.
Auf den ersten Blick ist das überraschend. Noch im vergangenen Jahr hatte Ulli Gritzuhn, Deutschlandchef von Unilever, den Preiskampf im deutschen Einzelhandel kritisiert - insbesondere die Rolle von Aldi. „Der Wahnsinn muss ein Ende haben“, sagte er gegenüber der „Welt“. Die Preiskämpfe auf Kosten der Markenhersteller könnten die Unternehmen auf Dauer nicht verkraften.
Aus Kochs Sicht ist solche Kritik lediglich Kalkül: „Markenhersteller kriegen einen Riesenärger mit Edeka und Rewe, wenn sie sich bei Aldi listen lassen.“ Für die Hersteller sind dagegen Aldis rund 4000 Filialen interessant. „Hersteller wie Unilever sind sehr daran interessiert, im Discounter zu landen.“ So können sie sich neben Rewe und Edeka ein weiteres Standbein aufbauen können. „Dadurch sinkt die Erpressbarkeit.“
Und auch finanziell lohnt es sich vielfach, so Koch: „Mir sind Fälle bekannt, wo Lieferanten lieber Aldi beliefern.“ Dort gäbe es im Verhältnis zum Volumen deutlich bessere Margen.