Alkoholverbot Indien sitzt auf dem Trockenen

Das höchste indische Gericht erklärt Teile des Landes zur Sperrzone für Alkohol. Getränkehersteller und Gaststätten fürchten Einbußen in Milliardenhöhe. Mit kreativen Einfällen versuchen sie, die Prohibition zu umgehen.

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Indien ist mit einem Verbrauch von mehr als 1,5 Milliarden Litern der größte Whiskykonsument der Welt- Quelle: Reuters

Bangkok Seinen Gästen macht es der indische Wirt Shiju nicht gerade leicht: Vor seiner Bar im Bundesstaat Kerala hat er ein Labyrinth aufgebaut. Wer für einen Drink in sein Lokal kommen möchte, muss erst 250 Meter durch den Irrgarten laufen. Der erzwungene Umweg bis zum Kneipeneingang soll für Shijus „Aishwarya Bar“ die Rettung sein. Denn seine Gaststätte hat ein Problem: Sie liegt zu nahe an einer Autobahn – und wurde deshalb über Nacht illegal.

Grund ist ein Urteil von Indiens Obersten Gerichtshofes, das die Gastronomiebranche des 1,3 Milliarden Einwohner großen Landes mit voller Wucht trifft: Seit 1. April dürfen Kneipen, Restaurants und Schnapsläden im Umkreis von einem halben Kilometer rund um Autobahnen keinen Alkohol mehr verkaufen. Damit soll Indiens massives Problem mit betrunkenen Autofahrern bekämpft werden. Einen Monat nach dem Inkrafttreten des Verbots zeigen sich aber auch weitreichende wirtschaftliche Folgen: Getränkehersteller und Gaststätten rechnen mit Milliardeneinbußen. Auch internationale Hotelketten geraten in Schwierigkeiten. Indische Bundesstaaten fürchten einen Wegbruch der Steuereinnahmen.

Kreative Versuche, die neuen Vorschriften zu umgehen, sind nicht nur dem Barbesitzer in Kerala eingefallen. Die Betreiber von Ausgehbezirken und Shoppings-Malls schlossen Zufahrtsstraßen und Eingänge, um in den Augen der Behörden genug Distanz zu den Schnellstraßen zu wahren. Das Einkaufszentrum Ambience Mall leitet seine Kunden neuerdings um einen Wohnkomplex um, damit es weiter Alkohol verkaufen kann.

Doch den meisten Unternehmern fehlen die Möglichkeiten, sich gegen das Verbot zu wehren. Wie gravierend der Eingriff ist, zeigt ein Blick auf Maharashtra, einer der bevölkerungsreichsten Bundesstaaten Indiens. Registriert sind dort rund 25.600 Bars und Alkoholläden. 15.700 – also mehr als 60 Prozent – davon liegen in dem neuen Sperrbezirk rund um die Autobahnen und mussten deshalb schließen oder auf den Verkauf von Alkohol verzichten. „Grob geschätzt glauben wir, dass der Gastronomiebranche fast zehn Milliarden Dollar Umsatz jährlich verloren gehen werden“, sagt der Unternehmer Rahul Singh, der im Führungsgremium der indischen Gaststättenvereinigung NRAI sitzt. Er ist Gründer der Kette Beer Cafe, die in Indien mehr als 30 Niederlassungen hat.


Indien galt als Wachstumshoffnung für Hersteller

In der Stadt Gurgaon ist auch er von dem Verbot betroffen. Weil seine Niederlassung dort kein Bier mehr ausschenken darf, seien die Umsätze um 99 Prozent zurückgegangen. Singh verdeutlicht das Desaster mit einer rhetorischen Frage: „Würde noch irgendjemand zu Starbucks gehen, wenn es dort keinen Kaffee mehr zu kaufen gäbe?“

Dabei galt Indien für die Getränkeindustrie noch vor kurzem als große Wachstumshoffnung: Denn die Nachfrage der Inder nach Hochprozentigem ist groß. Der Subkontinent ist mit einem Verbrauch von mehr als 1,5 Milliarden Litern der größte Whiskykonsument der Welt – die USA liegen mit rund 500 Litern abgeschlagen auf Platz zwei.

Doch das neue Verkaufsverbot vermiest den Herstellern das Geschäft: Der Spirituosenhersteller Pernod Ricard, zu dem Scotch-Marken wie Ballantine's und Chivas Regal sowie der Rum Havana Club und Absolut Vodka gehören, warnte bei der Vorstellung seiner jüngsten Quartalszahlen Mitte April vor negativen Folgen der Vorschrift auf sein Geschäft. Der indische Markt steht für zehn Prozent der Umsätze des Konzerns. Auch Spirituosen-Weltmarktführer Diageo leidet unter dem Verbot: Seit dessen Inkrafttreten brach der Börsenkurs der indischen Tochter United Spirits um mehr als 13 Prozent ein. Branchenvertreter erwarten einen Umsatzrückgang von acht Prozent in diesem Jahr.

Im Tourismusgewerbe beschäftigen die Turbulenzen in Indien die Chefetagen globaler Konzerne: Die weltgrößte Hotelkette Marriott International will ihre Präsenz in Indien kräftig ausbauen. Über 85 Hotels verfügt das Unternehmen derzeit in dem Land, 80 weitere befinden sich gerade im Bau. Konzernchef Arne Sorenson zeigt sich jedoch besorgt über die Einnahmemöglichkeiten: „Eine Bar, die keinen Alkohol verkaufen kann, ist nicht besonders erfolgreich“, sagte er im Gespräch mit dem Handelsblatt am Rande des Jahrestreffens der Branchenvereinigung World Travel & Tourism Council in Bangkok.

Analysten zufolge machen Alkoholverkäufe 15 bis 30 Prozent der Umsätze gehobener Hotels in Indien aus, die vor allem von der Ausrichtung von Veranstaltungen wie Hochzeiten profitieren. Sorenson sagt, sein Unternehmen prüfe derzeit noch wie genau die Regeln zu interpretieren seien. Eine zentrale Frage ist für ihn noch immer unbeantwortet: „500 Meter von wo nach wo?"

Auch Indiens Behörden ringen noch um Antworten, wenn es um die genaue Auslegung der neuen Vorschriften geht. Die Interpretation von Wirt Shiju in Kerala, der sich mit Hilfe seines Labyrinths an die 500-Meter-Regel halten wollte, scheint sich jedoch nicht durchzusetzen. Künstlich errichtete Umwege auf Privatgrundstücken würden bei der Messung des nötigen Abstands nicht berücksichtigt, sagte ein Behördenmitarbeiter mit Blick auf den Irrgarten.

Finanznöte der Bundesstaaten sind nun die letzte Hoffnung vieler Barbesitzer. Denn Alkoholsteuern gehören zu den wichtigsten staatlichen Einnahmequellen – in einigen Bundesstaaten stehen sie für rund ein Viertel der Erlöse. Aus Angst vor wegbrechenden Einnahmen haben die Behörden in Rajasthan, Mahrashtra und Westbengalen hunderte Autobahnkilometer offiziell als Stadtstraßen umdefiniert. Dort darf nun wie früher getrunken werden.

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