Amazon Warum Jeff Bezos jetzt ein Rückschlag droht

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Der Billionen-Dollar-Konzern

In der Geschichte von AWS ist keine Region so schnell gewachsen wie Frankfurt. Allein im vergangenen Jahr hat Amazon wegen der hohen Nachfrage in Deutschland 200 neue Stellen in der Cloud-Sparte geschaffen und die Kapazität seines Rechenzentrums weiter ausgebaut.

Die Adressen seiner Rechenzentrums-Standorte hütet der Konzern wie ein Staatsgeheimnis. Außenstehende haben keine Chance auf Zutritt. Der Geschäftserfolg basiert darauf, Sicherheitsbedenken gar nicht erst aufkommen zu lassen. „Wir rühren die Daten unserer Kunden nicht an, sie gehen, wenn gewünscht, auch nicht aus Frankfurt heraus“, hat etwa Amazon-Chefarchitekt Glenn Gore im vergangenen Jahr auf einer AWS-Konferenz in Berlin den anwesenden Managern versprochen.

In den vergangenen Jahren sind die meisten US-Giganten dem Beispiel von Amazon gefolgt und haben in eigene Brückenköpfe investiert. Frankfurt ist dadurch zum regelrechten Cloud-Zentrum Zentraleuropas avanciert. Google hat dort erst im Herbst 2017 ein eigenes Datencenter eröffnet, auch IBM, Oracle und VMware sind in der hessischen Metropole ansässig. Microsoft bietet seit Anfang 2016 eine Lösung an, bei der die Deutsche Telekom mit Standorten in Frankfurt und der Nähe von Magdeburg als Datentreuhänder fungiert.

Im goldenen Käfig Amazon macht Kunden die Cloud-Nutzung einfach – und den Wechsel schwer

Zu möglichen Auswirkungen des Supreme-Court-Urteils halten sich die Cloud-Anbieter bedeckt. Auch Amazon will sich nicht äußern. Es steht enorm viel auf dem Spiel. „Ein Urteil pro US-Regierung würde nicht nur kurzfristige Auswirkungen auf die künftige Nachfrage nach AWS-Diensten haben“, meint Avispador-Mann Oppermann. „Es würde auch die gesamte Strategie von Amazon mit AWS als Speerspitze gefährden.“ Vor allem wegen der Gewinnperspektiven des Cloud-Geschäfts hat Amazon gute Chancen, als erster Konzern der Welt eine Börsenbewertung von einer Billion Dollar zu erreichen. In der vergangenen Woche hat der Konzern Microsoft überholt. Mit rund 700 Milliarden Dollar Wert liegt er in der Rangliste nun auf dem dritten Rang, knapp hinter Apple und der Google-Mutter Alphabet.

„Der Reiz der Amazon-Aktie liegt vor allem im Cloud Computing, der Onlinehandel ist ein netter Zusatzeffekt“, sagt John Scandalios, der vom Silicon Valley aus den Franklin Templeton Technologiefonds leitet. Dank früher Wetten auf Amazon und Apple gilt er als einer der erfolgreichsten Finanzstrategen im Technologiesektor.

Nervenzentrum der digitalen Welt

Die Zahl der internationalen Kunden ist lang und prominent. So listet etwa die Bettenbörse Airbnb freie Unterkünfte über AWS. Die Internetvideothek Netflix ist Amazons härtester Wettbewerber beim Streaming von Filmen und Serien. Trotzdem nutzt sie die Rechenleistung des Rivalen, um Videos in die Wohnzimmer von weltweit 120 Millionen Abonnenten zu liefern. Pikanterweise speichern auch das US-Heimatschutzministerium und die CIA Daten in der Bezos-Wolke. Als Nervenzentrum der digitalen Welt gilt AWS heute als genauso systemrelevant wie der Finanzsektor.

Dabei wollte Spartenchef Jassy erst mal gar nicht mit Bezos zusammenarbeiten. Als der ihm vor 15 Jahren anbot, sein technischer Assistent zu werden, lehnte er ab. „Die Aufgabenstellung war mir zu unspezifisch“, hat Jassy das später erklärt. „Wir haben dann gemeinsam an der Rolle gefeilt – und ich habe den Job doch noch gemacht.“ Bis heute eint beide Männer die gemeinsame Arbeit an Details, das ständige Feilen am Angebot.

Konzipiert wurde AWS zuerst in der Amazon-Niederlassung im südafrikanischen Kapstadt. Von Anfang an hat der Dienst auf eine moderne Version eines Konzepts gesetzt, das auch SAP groß gemacht hat. Wer erst mal seine Prozesse auf einen Anbieter angepasst, die Mitarbeiter geschult und die Lieferanten eingebunden hat, kommt kaum noch von dem Anbieter los. Unter US-Analysten ist dieser Effekt als „stickiness“ oder „lock-in“ bekannt. Die Kunden hängen in einer Falle fest, in die sie sich ganz freiwillig begeben haben.

Amazon hat das Konzept adaptiert – und zusätzlich erweitert. Dabei setzt der Konzern auf die erprobte Erfolgsformel aus dem Internethandel. Er will möglichst viel über seine Kunden erfahren, ihnen genau die gewünschten Dienste anbieten und den Service möglichst individuell auf sie anpassen. Im Cloud-Geschäft sind dem rechtlich allerdings deutliche Grenzen gesetzt. So darf Amazon den Inhalt der gespeicherten Daten nicht direkt auswerten.

Das muss das Unternehmen aber auch gar nicht. Denn mittels intelligenter Algorithmen kann der Konzern allein aus dem Nutzungsverhalten der Kunden Rückschlüsse darauf ziehen, wie sich ihr Bedarf künftig entwickeln wird. So kann AWS die Systeme schon heute an Wünsche anpassen, die Nutzer erst morgen haben werden. Ähnlich wie beim Onlineeinkauf gilt eine möglichst einfache Bedienung und Nutzung dabei als oberstes Leitprinzip. Die Kunden sollen sich in ihrem goldenen Käfig schließlich möglichst wohl fühlen.

Wie gerne sie sich von Bezos und Jassy gefangen nehmen lassen, zeigt das eindrucksvolle Wachstum der vergangenen Jahre. 2012 setzte AWS bloß 3,1 Milliarden Dollar um, im vergangenen Jahr waren es 17,5 Milliarden. Im gleichen Zeitraum steigerte etwa SAP seine Erlöse nur vergleichsweise bescheiden von 22 Milliarden auf 28,7 Milliarden Dollar. In diesem Jahr will Jassy dann die Marke von 20 Milliarden Dollar überspringen. Wenn sich das Wachstum wie bisher fortsetzt, dürfte das problemlos klappen.

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