Amazon Fresh Der Fressfeind ist zahmer als gedacht

In den USA sorgt Amazon Fresh schon länger für Aufsehen. In Deutschland ist es auch Monate nach dem Start noch vergleichsweise ruhig. Quelle: REUTERS

Amazons Lebensmittellieferdienst Fresh spürt Gegenwind: Die Expansion in Deutschland stockt, lokale Kooperationspartner wirken ernüchtert und die Branche fragt sich: Kommt da überhaupt noch was?

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Die Angst vor Amazon war groß: Ausgerechnet der Angstgegner der deutschen Handelszunft, jener Konzern, der schon Buch- und Elektronikhändler das Fürchten gelehrt hatte, schickte sich im Mai 2017 an, die letzte onlinefreie Bastion im Handel zu schleifen. Mit Amazon Fresh, einem Schnelllieferdienst für frische Lebensmittel, wollten die Amerikaner das hiesige Brot- und Buttergeschäft aufmischen.

Eineinhalb Jahre ist das nun her und schon im Vorfeld hatten Amazons Pläne die Branche in Alarmstimmung versetzt. Teils wurde bereits über eine Pleitewelle im Lebensmittelhandel spekuliert, teils eine Revolution im Handel ausgerufen. Alain Caparros, damals Chef des Supermarktkonzerns Rewe, warnte vor einer Verschärfung des Verdrängungswettbewerbs durch den neuen Player. „Für Amazon ist Deutschland der zweitwichtigste Markt der Welt. Wer glaubt, dass dieses Unternehmen hierzulande nur mal so testet, was geht oder nicht geht, ist naiv“, sagte Caparros damals. Seine Prognose: „Wahrscheinlich wird nicht nur Staub aufgewirbelt, sondern ein Sturm entfacht“.

Der erwartete Sturm hat sich bislang allenfalls als laues Lüftchen erwiesen. „Da hatte man eigentlich mehr erwartet“, sagt der Chef einer deutschen Handelskette. Und er wie andere Branchengrößen fragen sich: Kommt da noch was?

von Henryk Hielscher, Matthias Hohensee, Silke Wettach

Tatsächlich ist Amazon Fresh für die Kunden bis dato nur in Berlin und Potsdam, München und Hamburg verfügbar. Von einer flächendeckenden Präsenz oder gar der Eroberung des deutschen Lebensmittelhandels sind die Amerikaner damit weit entfernt.

Konkurrent Rewe baut derweil die Position als Online-Marktführer im Lebensmittelhandel aus, karrt Käse, Gurken und Bananen in nunmehr 75 Städten zu den Kunden und hat jüngst ein neues Hightech-Lager nahe Köln eröffnet, das dabei helfen soll, die Profitabilität zu steigern.

Auch andere Rivalen haben den verhaltenen Start Amazons genutzt, um sich zu positionieren: Im April legte etwa der niederländische Onlineplayer Picnic hierzulande los. Inzwischen rollt die 40 Fahrzeuge umfassende Picnic-Flotte durch Düsseldorf-Oberkassel, die Vororte Kaarst, Neuss, Meerbusch und neuerdings Mönchengladbach. Beliefert werden momentan rund 7000 Haushalte. Und ihre Zahl dürfte schnell steigen. In den Niederlanden hat Picnic binnen weniger Jahre die Kundenzahl auf 195.000 gesteigert und strebt in diesem Jahr einen Umsatz von mehr als 200 Millionen Euro an.

Selbst das kleine ostfriesische Handelshaus Bünting powert derzeit in Sachen Onlinegeschäft und baut sein Lieferangebot Mytime aus.

Und wie läuft es bei Amazon? Gerne sprechen die Amerikaner über ihr stetes Bestreben, die Kunden und ihre Bedürfnisse ins Zentrum allen Handelns zu stellen. Doch sobald es um konkrete Aussagen oder gar messbare Zahlen geht, werden sie wortkarg. Klar ist: Es knirscht im Fresh-Geschäft, die Expansion stockt, lokale Kooperationspartner wirken ernüchtert.

So läuft es hinter den Kulissen ab: Eine Mitarbeiterin von Amazon Fresh packt in Berlin einen Bund Möhren in eine Transporttasche. Quelle: dpa

Dabei stürzten sich Händler und Hersteller zu Beginn noch mit Verve ins Abenteuer Amazon Fresh. So sollten beim Start neben großer Auswahl und rascher Lieferung so genannte „Lieblingsläden“ dabei helfen, den Service schnell in der Hauptstadt zu etablieren. 28 lokale Feinkosthändler und Spezialitätenhersteller machten anfangs begeistert mit. „Amazon Fresh ist für uns der perfekte Partner“, jubelte etwa der Inhaber des Berliner Schokoladenherstellers Rausch. Und auch Amazon schürte die Erwartungen: „Wir glauben, dass unsere Kunden den Service schätzen werden, lokale Spezialitäten direkt an die Tür geliefert zu bekommen“, sagte Florian Baumgartner, damals noch für das Fresh-Programm in Deutschland zuständig. „Deshalb werden wir das Programm weiter ausbauen und neue Lieblingsläden aufnehmen“, so Baumgartner.

Doch schon nach wenigen Wochen war die Schoko-Partnerschaft mit Rausch passé, zu überschaubar blieben dem Vernehmen nach die Fresh-Umsätze. Auch die Biokette Basic und zahlreiche weitere Lieblingsläden haben inzwischen ihre Amazon-Dependancen geräumt. Lediglich sechs der anfangs 28 Partner werden noch als Lieblingsläden in Berlin gelistet.

Eine Erklärung dafür liefert der Konzern nicht. Stattdessen teilt Amazon auf Anfrage mit: „Wir ermutigen unsere Partner, gemeinsam mit uns neue Wege zu gehen, da wir mit ihnen zusammen fortlaufend daran arbeiten, das Online-Shopping von Lebensmitteln langfristig zu verbessern“. Das Sortiment von Amazon Fresh könne je nach Verfügbarkeit, Saison und Kategorie variieren – das gelte auch für das Angebot unserer Verkaufspartner. „Bitte haben Sie Verständnis, dass wir Lieferantenbeziehungen darüber hinaus nicht kommentieren“, heißt es weiter.

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